Psychotherapeutin Auguste Reichel
So erlebe und lebe ich mein Oma-Sein

Auguste Reichel bietet Psychotherapie, Supervision und Seminare an.  | Foto: Privat
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Oftmals prägen eigene oder fremde Idealvorstellungen die Rolle der Großmutter. Doch jede hat das gute Recht, ihre Großmutter-Rolle nach eigenen Vorstellungen zu interpretieren und zu gestalten, meint Psychotherapeutin Auguste Reichel aus Radlberg.

Wie Auguste Reichel ihre Großmutter-Rolle gestaltet, erzählt sie in ihrem Buch „Aber Großmutter, warum ...?“ (siehe Buchtipp):

Mit 62 Jahren erhielt ich den Titel „OMA“ nach der Geburt unseres ersten Enkels verliehen. „Oma“ sei für Kinder besser auszusprechen als Großmutter, sagte man mir. Stimmt, O-M-A sind drei angenehme Laute, sie klingen nach Kuchen und Geborgenheit. Kuchen kann ich nicht backen, Geborgenheit gebe ich gerne meinen inzwischen sechs Enkel*innen.

Sie bringen mich in Bewegung, sind neugierig und spielfreudig, sie lieben meine Geschichten. Ich bin gerne Oma auf Abruf oder zu geplanten Zeiten. In der Oma-Rolle erinnere ich mich wieder an die eigene frühere Zerrissenheit zwischen Muttersein, Beruf, Beziehung und persönlicher Freiheit. Aus der Großelternperspektive sehe ich, wie anstrengend, erfüllend und herausfordernd die Elternarbeit ist. Es zeigt mir, wie wenig flexible außerfamiliäre Unterstützung es für Eltern gibt. Der Spagat zwischen Familien- und eigenen Interessen bleibt bestehen, da im Hintergrund das unerfüllbare Mutterideal lauert. Ich kann jetzt als Großmutter-Oma über meine Zeit weitgehend selbst bestimmen und entscheiden, wie viel Partner-Familien-Freundschaft-Kulturzeit ich mir geben und nehmen will. Ich bin nicht mehr für Erziehung verantwortlich und die Freude mit den Kindern ist wesentlich größer als die Sorge um sie. Mitfühlen und Mitdenken bleiben, Mit- und Einmischen ist nicht sinnvoll.

„Die Freude mit den Kindern ist wesentlich größer als die Sorge um sie.“

Will ich wie eine „Oma“ aussehen? Wie schaut eine „richtige Oma“ aus? Als Oma ließ ich mir die Haare nicht mehr färben, sie waren bereits weiß und ich ließ sie wachsen. Einige Jahre später, nach einem Clownseminar, flocht ich meine Haare einseitig zu einem Zopf und färbte ihn blau. Ich will nicht dem beigen Oma-Klischee entsprechen, will ein bisschen auffallen.

Meine Großmütter waren während des Krieges Mütter, hatten viele Kinder geboren, einige verloren. Sie arbeiteten am Bauernhof mit. Ich als O-M-A habe unvergleichlich mehr Freiheit, Wohlstand und bin schon einige Jahre älter als meine Großmütter geworden sind.

Was mich als Oma glücklich macht

Es macht mich glücklich, wenn ich ein kleines Kind tragen darf, wenn es auf meinem Bauch einschläft, wenn ich mit dem Atem des Kindes mit atmen kann, es beruhigt auch mich. Es ist beglückend, die Bewegungslust eines kleinen Kindes mit zu erleben, wie es sich herantastet an die große Welt, neugierig und auch schmerzhaft die Grenzen kennenlernt. Zu sehen wie Kinder sich vom Liegen zum Sitzen, zum Stehen, zum Gehen entwickeln, lässt mich immer wieder staunen über diese unglaubliche Körperleistung hin zur Aufrichtung. Die ersten Schritte, das Wegbewegen von der sicheren Basis der mütterlichen, väterlichen oder auch großelterlichen Basis, ist ein Abenteuer, das sich nie wieder im Leben wiederholen kann.

Ich liebe es, mit den Enkel*innen Bilderbücher anzuschauen, Geschichten zu erfinden und Rollenspiele zu probieren, das regt die eigene Fantasie an. Jahr für Jahr werden die Enkel*innen größer und reifer, stellen Fragen und wollen mehr von der Welt und meiner und ihrer Geschichte wissen. Das eigene Älterwerden spiegelt sich im Heranwachsen der Kinder, die gelebten Jahre werden im Längenwachstum der Enkel*innen sichtbar. Früher lächelte ich, als man sagte: „An den Kindern sieht man, wie man älter wird.“ Jetzt erlebe ich es auch und das ist gut so.

Ich danke meinen Söhnen und Schwiegertöchtern, dass ich die Entwicklungen der Enkel*innen miterleben und sie dabei auch respektvoll begleiten darf.

Auszug aus „Aber Großmutter, warum ...?, Seite 17f.

Frühstücken, hören, sich austauschen



Im Rahmen eines Frühstücks im St. Pöltner Bildungshaus St. Hippolyt gibt Auguste Reichel einen Impuls zum Thema „Oma & Opa – Bilder im Wandel“, der eigene Erinnerungen wecken und zum Nachdenken anregen soll.
Nähere Informationen: Tel. 02742/352 104.
Mittwoch, 25. Mai, 9–11 Uhr

Buchtipp

Erwachsene Enkelinnen und Enkel erzählen über ihre Großmütter, die zwischen 1870 und 1940 geboren wurden. Unterschiede zu den heutigen Großmüttern werden deutlich und führen zu Fragen über Familienstrukturen, Kinderbetreuung und Vereinbarkeit von Familie und Beruf.
„Aber Großmutter, warum ...? Erinnern – Erzählen – Verstehen“ von Auguste Reichel, Verlag Buchschmiede 2022, Taschenbuch, Preis € 17,-.

Autor:

Kirche bunt Redaktion aus Niederösterreich | Kirche bunt

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