Erzählung von Paul Sieberer

Ein "geschätztes" Gespräch

Nun, erzähl mal!“ – „Was denn?“ – „Wie ist es dir im Leben ergangen?“ – „Womit?“ – „Mit anderen zum Beispiel.“ – „Mit anderen? Meinst du die, die anders waren?“ – „Antworte, was du antworten kannst.“ – „Okay, gut. Es war, so glaube ich, ganz okay. Zum Beispiel war ich kein Judenhasser, wenn du weißt, was ich meine.“ – „Ich weiß, was ich meine. Was du meinst, musst du mir erklären, bitte.“ – „Was soll ich dir groß erklären? Ich hatte nichts gegen Juden, obgleich sie natürlich ein eigenes Volk sind, oder? Du musst das ja wissen, gell?“ – „Wie recht du hast. Jedes Volk ist eigen!“ – „Da bin ich aber froh, dass du das auch so siehst. In unserer Siedlung haben wir zum Beispiel eine siebenköpfige Familie aus dem Ausland. Afghanen, Iraker oder so – glücklicherweise keine Afrikaner! Unglaublich, wie die so sind! Sie schauen anders aus. Gut, dafür können sie nichts, aber wenn die zu feiern beginnen, da bleibst du am besten im Haus. Deren Kinder laufen unbeaufsichtigt in der Straße auf und ab. Manchmal denk ich, die führen sich auf als wären sie … ich weiß nicht wo!“ – „Sie sind eben eigen.“ – „Und wie!“ – „Wie du.“ – „Wie bitte?“ – „Du bist doch auch eigen, nicht wahr?“ – „Ja, eigen bin ich, aber nicht eigenartig. Diese anderen sind unangenehm eigenartig!“ – „Denkst du, es gibt wertvolle Menschen und weniger wertvolle?“ – „Was soll die Frage?“ – „Die Frage soll mithelfen herauszufinden, wie du fühlst! Denkst du, dass du wertvoller bist als die?“ – „Als die?“ – „Ja.“ – „Herrgott! Ich habe nichts gegen Ausländer und andere Religionen. Ich habe den Sternsingern immer gespendet!“ – „Danke!“ – „Wofür?“ – „Für deine Spende. Aber dein Herz hast du nicht geöffnet, oder?“ – „Deine Fragen sind auch sehr unangenehm! Worauf willst du hinaus? Dass vor dir alle gleich sind?“ – „Rate mal!“
Paul Sieberer