Interview mit Dr. Renate Christ
Nur auf Papier werden Emissionen nicht weniger

Dr. Renate Christ, 68, leitete mehr als zehn Jahre – von 2004 bis 2015 – das Sekretariat des Weltklimarates, der 2007 mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet wurde. Als österreichische Delegierte nahm sie an den Verhandlungen für die Klimarahmenkonvention teil und als Mitarbeiterin der Europäischen Kommission war sie maßgeblich an den Verhandlungen für das Kyoto-Protokoll beteiligt. 
Sie war auch einige Jahre beim Umweltprogramm der Vereinten Nationen in Nairobi beschäftigt, wo sie gemeinsam mit der Global 
Environment Facility eine Reihe von Klimaschutzprojekten entwickelte. Der Klimaschutz und andere Umweltthemen und sozialen Anliegen, im Sinn einer nachhaltigen Entwicklung, waren immer ein zentrales Anliegen in ihrer beruflichen Tätigkeit. Auch seit ihrer Pensionierung engagiert sie sich weiter für effiziente Klimaschutzmaßnahmen. Renate Christ ist gebürtige Oberösterreicherin und studierte in Salzburg Biologie. | Foto: zVg/Studio Interfoto
  • Dr. Renate Christ, 68, leitete mehr als zehn Jahre – von 2004 bis 2015 – das Sekretariat des Weltklimarates, der 2007 mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet wurde. Als österreichische Delegierte nahm sie an den Verhandlungen für die Klimarahmenkonvention teil und als Mitarbeiterin der Europäischen Kommission war sie maßgeblich an den Verhandlungen für das Kyoto-Protokoll beteiligt.
    Sie war auch einige Jahre beim Umweltprogramm der Vereinten Nationen in Nairobi beschäftigt, wo sie gemeinsam mit der Global
    Environment Facility eine Reihe von Klimaschutzprojekten entwickelte. Der Klimaschutz und andere Umweltthemen und sozialen Anliegen, im Sinn einer nachhaltigen Entwicklung, waren immer ein zentrales Anliegen in ihrer beruflichen Tätigkeit. Auch seit ihrer Pensionierung engagiert sie sich weiter für effiziente Klimaschutzmaßnahmen. Renate Christ ist gebürtige Oberösterreicherin und studierte in Salzburg Biologie.
  • Foto: zVg/Studio Interfoto
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Vom 6. bis 20. November fand im ägyptischen Sharm el-Sheikh die 27. Welt­klimakonferenz (kurz COP 27) statt. Die Verhandlungen waren in vielerlei Hinsicht schwierig und die Konferenz kann nur in Teilen als erfolgreich bezeichnet werden. Dr. Renate Christ, Klimawissenschaftlerin und ehemalige Leiterin des Sekretariats des Weltklimarats (IPCC), war bei den Verhandlungen dabei. Im Interview mit „Kirche bunt“ führt sie u. a. drastisch vor Augen, womit wir rechnen müssen, wenn es nur bei den derzeitigen Maßnahmen bleibt.

Die UN-Klimakonferenz COP 27 in Sharm el-Sheikh endete am 20. November mit gemischten Gefühlen. Das Abschlussdokument, über das Vertreterinnen und Vertreter der Staaten stundenlang verhandelt hatten, ließ viele Teilnehmer enttäuscht, andere optimistisch zurück. Wie beurteilen Sie das Ergebnis?
Dr. Renate Christ:
Positiv ist sicherlich die Vereinbarung zur Finanzierung von klimabedingten Verlusten und Schäden in besonders verwundbaren Staaten. Das war ein langjähriges Bedürfnis der von Klimaveränderungen stark betroffenen Entwicklungsländer, das immer wieder von den industrialisierten Staaten abgeblockt wurde. Für mich ist diese Vereinbarung im Hinblick auf Klimagerechtigkeit wichtig und eine vertrauensbildende Maßnahme. Ich möchte betonen, dass es hier nicht um Almosen und „Hilfe“ geht, sondern um die Abgeltung von erlittenen Schäden.
Enttäuschend war, dass die Vereinbarung vom Vorjahr bei der Klimakonferenz in Glasgow, wo man aufgrund neuer wissenschaftlicher Erkenntnisse das 1,5-Grad-Ziel festgeschrieben hat, ein sehr großer Streitpunkt war. Manche Länder wollten zurück zu 2°C, das im Abkommen von Paris steht. Nach schwierigen Verhandlungen wurde letztlich die Formulierung von Glasgow in den Abschlusstext wieder hineingenommen. Aber andere wichtige Forderungen, etwa dass zur Einhaltung dieses Ziels der globale Höchststand an Emissionen vor 2025 erreicht werden muss, haben es nicht in das Abschlussdokument geschafft – und auch nicht die weiterreichende Frage zum Ausstieg aus fossilen Brennstoffen.

Das 1,5-Grad-Ziel kam nur nach langwierigen Verhandlungen wieder ins Abschlussdokument: Haben Sie Sorge, dass dieses Ziel in Zukunft doch noch kippen könnte?
Christ:
Eines ist klar: Von Erklärungen auf Papier werden die Emissionen nicht weniger. Es sind alle aufgerufen – Staaten, Regionen, Gemeinden, die internationale Finanzwelt oder private Unternehmen – ihre Maßnahmen wirklich mit dem 1,5-Grad-Ziel vereinbar zu machen. Denn eine Erwärmung von 1,5 Grad über dem vorindustriellen Niveau ist die Temperatur, bei der in vielen Bereichen Kipppunkte erreicht werden und daher ist ein weiterer Temperaturanstieg zu vermeiden. Ich warne davor, zu meinen, dass alles eh nichts hilft, denn dann kommt die große Resignation oft gepaart mit der Rechtfertigung dafür, dass man nichts tut.

Auf welchen Erderwärmungskurs bewegt sich die Welt im Vergleich zum vorindustriellen Zeitalter zu? Was würde es bedeuten, wenn wir das 1,5-Grad-Ziel nicht verfolgen würden?
Christ:
Mit derzeitigen Maßnahmen bewegen wir uns auf eine Erwärmung von 2,8°C zu. Das würde massive Schäden bedeuten. Wir würden in Europa eine stärkere Trockenheit haben und Verhältnisse, wie wir heuer in Südeuropa erlebt haben, hätten wir dann auch in Zentral- und Westeuropa. Was mich sehr betroffen gemacht hat: Es würde einen starken Anstieg an Mortalität und Morbidität aufgrund von Hitzewellen und Hitzeextremen bedeuten.
Global würde es drastische Auswirkungen auf die biologische Vielfalt geben mit massiven Störungen in Ökosystemen sowie Miss­ernten, Dürre, Überschwemmungen und Meeres­spiegel­anstieg. Das bedeutet Verlust von materiellen Gütern und Lebensgrundlagen, es bedeutet aber vor allem Verlust von Menschenleben.

Die Staaten haben sich nach langen Verhandlungen geeinigt, dass man an arme Länder, die besonders vom Klimawandel betroffen sind, zahlt. Wer wird in diesen Fonds einzahlen?
Christ:
Auf alle Fälle die Industriestaaten, die haben ja aufgrund der Konvention Zahlungsverpflichtungen – alles weitere ist noch Verhandlungsgegenstand. Bis zur nächsten Klimakonferenz sollen die Modalitäten geklärt werden, auch weitere Finanzierungsquellen wie multilaterale Entwicklungsbanken und andere.

Im Abschlussdokument ist auch der Ausbau der erneuerbaren Energien festgeschrieben. Inkludiert das auch die Atomenergie?
Christ:
Grundsätzlich ist natürlich der Hinweis auf die erneuerbaren Energien positiv. Was manche Länder – die man auch als „Bremser“ bezeichnen könnte – vorgebracht haben, ist die nationale Souveränität bei der Wahl der Energiequelle – und da gehören auch die Atomenergie und fossile Energien dazu. Viele Länder wollen sich nicht vorschreiben lassen, wo sie die Energie hernehmen, solange ihre Strategien im Einklang mit den generellen Klimazielen sind.

Wie steht Österreich beim Klimaschutz da?
Christ:
Österreich hat vor 30 Jahren die Klimakonvention unterschrieben, aber mit Ausnahme von einem coronabedingten Rückgang der Emissionen hat Österreich im Gegensatz zu anderen Industriestaaten keine nachhaltige Emissionsreduktion geschafft. Wir dümpeln auf dem Niveau von 1990 herum. Es gab lange Zeit eine große Ignoranz und daher jetzt großen Nachholbedarf.

Die großen CO2-Emittenten sind doch China, die USA, große Industriestaaten – ist es da wirklich so ausschlaggebend und wichtig, was das kleine Österreich beiträgt?
Christ:
Man muss schon betonen: Wir als Indus­triestaaten – und da gehört Österreich dazu –, sind die Hauptverursacher des Klimawandels. Wir haben unseren Wohlstand auf der Verbrennung von fossilen Brennstoffen aufgebaut und müssen daher zur Lösung beitragen. Außerdem ist es ein globales Problem, und wenn nur einige vorangehen, also nur China und die USA, dann reicht das nicht. Es braucht die globale Zusammenarbeit, denn es geht nicht nur darum, dass man aus Kohlekraftwerken aussteigt und zu erneuerbarer Energie wechselt. Es geht um große Wirtschaftsbereiche, die heute global organisiert sind, und da gehört jeder dazu, auch kleine Staaten wie Österreich. Aber auch die Entwicklungsstaaten müssen ihren Beitrag leis-ten und sie müssen gehört werden im Hinblick auf ihre speziellen Bedürfnisse wie Energieversorgung, aber auch Klimawandelanpassung.

Und ist es wirklich so ausschlaggebend, was jede und jeder Einzelne von uns im Hinblick auf Klimaschutz tut. Hat das wirklich Auswirkungen auf das Klima, wenn wir auf das Auto verzichten oder Müll trennen?
Christ:
Zum einen geht es darum, dass die öffentliche Hand eine Basis schafft, die klima-freundliches und nachhaltiges Leben ermöglicht. Die Entscheidungsträger – von der Bundesregierung bis hinunter zum Bürgermeis­ter – müssen dafür die Strukturen und gesetzlichen Rahmenbedingungen schaffen. Dazu gehört z. B., dass ich nicht mit Gas heizen muss, weil ich andere Alternativen habe; dazu gehört ein gutes Netzwerk an öffentlichen Verkehrsmitteln und die Bereitstellung von erneuerbarer Energie; und dazu gehört eine klimafreundliche Stadt- und Siedlungsstruktur, die Bodenverbrauch stoppt und uns ermöglicht, Einkauf, Arbeit, Sport und Freizeitangebote auf kurzem Weg zu erreichen.
Natürlich müssen wir, jeder und jede Einzelne, dann diese Strukturen nutzen. Was mich stört ist, dass wir im Hinblick auf Klimaschutz oft nur von Verzicht sprechen. Man könnte die Frage auch anders stellen: Was brauche ich für ein gutes Leben? Da wird einem bewusst, dass es viele Dinge gibt, die eigentlich gar nicht notwendig wären und die einem gar nicht abgehen würden. Ein Beispiel wäre selbstbestimmte Mobilität – die Möglichkeit, etwas zu Fuß oder mit öffentlichen Verkehrsmitteln zu erreichen und dabei ein Gespräch zu führen oder ein gutes Buch zu lesen, statt vom Auto abhängig zu sein. Es geht oft nicht um Verlust, sondern um eine neue Art von Freiheit und Wohlbefinden.

„Laudato si’“ ist die erste Umwelt-Enzyklika der katholischen Kirche. Wie beurteilen Sie den Einsatz von Papst Franziskus im Speziellen und der katholischen Kirche generell?
Christ:
Ich habe „Laudato si’“ vom Anfang bis zum Ende gelesen und wir haben uns bei einer Tagung ausführlich damit beschäftigt. Ich finde diese Enzyklika ausgesprochen gut, wichtig und mutig. Die katholische Kirche ist eine weltweite Organisation und hat einen Einfluss, den man nicht unterschätzen darf.

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Autor:

Kirche bunt Redaktion aus Niederösterreich | Kirche bunt

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