Interview
Zur Leichtigkeit finden

Dr. Georg Wögerbauer ist praktischer Arzt und Psychotherapeut mit Ordination im Kloster Pernegg. | Foto: Patricia Harant-Schagerl
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Dr. Georg Wögerbauer ist praktischer Arzt und Psychotherapeut in Pernegg. In seinem jüngst erschienenen Buch „Flugversuche“ und im Gespräch mit „Kirche bunt“ beschreibt er Wege zu mehr Leichtigkeit des Seins.

Sie sind praktischer Arzt und Psychotherapeut. Wie wichtig ist die Seele für die Gesundheit?

Georg Wögerbauer: Schon Hippokrates sagt: Der gute Arzt schaut, wie der Mensch lebt, wie er sich ernährt, schläft, in Beziehung lebt, wie er Feste feiert. Ich kann die Seele nicht vom Körper trennen. Der Körper reagiert auf äußere Reize unmittelbar: Es betritt jemand den Raum – und Ihnen geht das Herz auf. Oder es stellen sich die Nackenhaare auf. Im ers­ten Fall werden Bindungshormone frei. Im zweiten Fall werden die Stresshormone Kortisol und Adrenalin mobilisiert, das Herz klopft schneller.

Es ist also wichtig, auch auf die psychische Gesundheit zu achten?

Wögerbauer: Ja! Die Heilung kommt aber nicht einfach so von oben herab. In Beziehung entstehen wir – nämlich durch die Liebe unserer Eltern –, wir werden in Beziehungen aber auch verletzt und können in Beziehungen wieder heilen. Wenn echte Begegnung stattfindet, wenn einer dem anderen wirklich zuhört und ihn versteht, wenn Liebe spürbar wird – das sind dann „beseelte“ Momente. Das habe ich als Psychotherapeut oft erleben dürfen.

Sie haben ein Buch geschrieben mit dem Titel „Flugversuche“, in dem es um Wege zu mehr Leichtigkeit geht. Warum fühlt sich das Leben im Urlaub meist leichter an als im Alltag?

Wögerbauer: Im Urlaub sind wir „vogelfrei“ oder in der Sprache meines Buches: Ich bin „Vogel-befreit“. Wenn ich mich drei Wochen aus der Ordination zurückziehe, dann fliegen mein Leis­tungs-Vogel, der Helfer-Vogel und der Opfer-Vogel aus. Dann kann ich mir viel klarer die Frage stellen: Was will ich wirklich? Ich bin dann ohne Funktion, einfach ein Mensch in Beziehung.

Hat jeder Mensch einen Vogel?

Wögerbauer: Nicht nur einen, sondern hoffentlich sogar mehrere! Denn diese „Vögel“ sind gute Lehrmeister. Da ist der Angst-Vogel, der Kontroll-Vogel oder der Vogel der Perfektion. In meinem Buch beschreibe ich über 30 „Vögel“, die uns oft die Leichtigkeit nehmen. Das Buch „Flugversuche“ habe ich aus Sehnsucht nach mehr Leichtigkeit im Leben geschrieben.

Wie kann ich zu mehr Leichtigkeit kommen?

Wögerbauer: Es ist weise zu erkennen: „Auch ich habe einen Vogel!“ Gefährlich wird es, wenn wir immer nur die Vögel bei den anderen sehen. In der Bibel heißt es: „Was siehst du den Splitter im Auge deines Bruders?“ Zuerst sollte ich meinen eigenen „Vogel“ wahrnehmen. Der zweite Schritt ist: ihn benennen; der dritte: ihn akzeptieren. Zum Schluss gelingt es vielleicht, ihn sogar gern haben. In meiner Familie beispielsweise ist der „Helfer-Vogel“ gut genährt. Mittlerweile habe ich ihn gern, denn ich bin ja gern ein sozialer Mensch. Wenn der „Helfer-Vogel“ aber zu mächtig wird, dann bekomme ich das Gefühl: Es ist nicht genug, was ich tue.

Kann ich meine „Vögel“ loswerden?

Wögerbauer: Um meine „Vögel“ losschicken zu können, brauche ich einen Schutzraum, wo ich sein kann, wer ich bin. Ich darf dort vom Tempo heruntergehen, ich darf Fehler machen, es hört mir jemand zu. Wenn zwei sich verstehen, dann können sie gemeinsam „Flugversuche“ starten. Wenn Menschen sich konkurrenzfrei für etwas Ge­meinsames einsetzen, dann kann Heilung geschehen.
Manche Menschen bleiben lieber im Jammern stecken: Das ist der „Jammer-Vogel“. Sie spüren ganz genau, dass etwas nicht in Ordnung ist, aber sie wollen nicht genau hinschauen und „Flugversuche“ wagen. Bei manchen „Vögeln“ braucht es professionelle Begleitung.

Wie fühlt es sich an, mit Leichtigkeit zu arbeiten?

Wögerbauer: In guter Verbindung mit mir selbst zu sein – und mit den Menschen, mit denen ich arbeite. Wo Menschen miteinander wertschätzend kooperieren, wo jeder für seine Stärken geschätzt wird und diese einsetzen kann, da wird ungeahnte Energie frei.
Viele Menschen arbeiten unter enormen Druck: Konkurrenz- und Kontroll-Druck. Weil sie nicht wertschätzend geführt werden. Weil sie nicht in ihren Stärken gesehen werden. Das fängt leider schon in der Schule an. Unser Schulsystem ist noch immer auf Fehler fokussiert anstatt auf Ressourcen.

Was bedeutet für Sie Leichtigkeit?

Wögerbauer: Ich bin weg von meiner To-do-Lis­te. Ich kann im Augenblick sein, habe Zeit. Ich kann mich und die Umwelt wahrnehmen. Ich freue mich über den Regen. Genießen. Beflügelt sein. Andere Menschen beflügeln.

In seinem Buch „Flugversuche – Wie ich meine persönlichen Vogel zum Fliegen bringe“ lädt der Waldviertler Allgemeinmediziner und Psychotherapeut Dr. Georg Wögerbauer zur Leichtigkeit des Seins ein. Orac-Verlag 2020, Preis 22 Euro.

Autor:

Patricia Harant-Schagerl aus Niederösterreich | Kirche bunt

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