Weihbischof Stephan Turnovszky gibt Antworten
„Gott liebt jeden Menschen“

Verständnis ist ein Brückenkopf, sagt Weihbischof Turnovszky. | Foto: Erzdiözese Wien/Stephan Schönlaub
  • Verständnis ist ein Brückenkopf, sagt Weihbischof Turnovszky.
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Der SONNTAG startet ein neues Forum für die Fragen, Anliegen und auch für die Sorgen der Leserinnen und Leser. Weihbischof Stephan Turnovszky wird monatlich Antworten geben. Im Interview erzählt er mehr über seine Motivation zu seiner Rubrik mit dem Titel „Der Brückenbauer“.

Herr Weihbischof, wie kann die zunehmende Polarisierung in Gesellschaft und Kirche überwunden werden?
Das Wichtigste hinsichtlich der Überwindung von Polarisierungen ist das Interesse am anderen Menschen und an der Frage, warum er eben so denkt, wie er denkt. Polarisierungen lassen sich weniger leicht durch Argumente, und schon gar nicht durch Drohungen überwinden, sondern durchs eigene gelebte Beispiel und durch das aufrichtige Interesse am anderen: Sich empathisch zeigen, hineinfühlen und die Frage, warum ein Mensch im Laufe seines Lebens zu diesen und eben nicht zu anderen Ansichten gekommen ist. Ich glaube, das kann das Herz fürAnsichten öffnen, die man selbst nicht teilt, sodass man wenigstens Verständnis entgegenbringen kann. Meine Erfahrung ist, dass Menschen mit sehr pointierten Ansichten aus ihrem Eck herauskommen und selbst gesprächsbereiter werden, wenn sie erleben, dass man sich für sie interessiert. Das zu erreichen darf aber nicht das leitende Interesse sein, sondern es muss bei der Person des anderen selbst liegen.

Stichwort Interesse: Welche Rolle spielt dabei das Zuhören, das Aufeinander-Zugehen?
Empathie ist die Grundhaltung, Zuhören die Frucht der Empathie: Zuhören ist praktisch angewendetes Interesse. Wenn ich wirklich am anderen Menschen Interesse habe, dann höre ich ihm zu und versuche ihn zu verstehen. Ich habe von einem Pfarrverband im Weinviertel gehört, der veranstaltet Hausbesuchsaktionen. Da ziehen Menschen zu zweit los, ausgerüstet nur mit der Frage: „Wie geht es Ihnen?“ Und dazu kommt die Bereitschaft, einfach zuzuhören. Das gefällt mir sehr gut und wird mehr bewirken als die besten Pfarrblattartikel.

Wie können dann Brücken zu den oft verunsicherten Menschen gebaut werden?
Menschen, die sich leicht in Polarisierung begeben, sind oft verunsicherte Menschen. Wie sich da Brücken bauen lassen? Indem man ihnen nicht sagt, wie sie sein sollten, sondern ihnen signalisiert, dass man Verständnis hat für die Situation, in der sie sich befinden, für die Fragen, die sie haben, für ihre Unsicherheit, für all das, was sie bewegt. Verständnis gleicht einem Brückenkopf. Verständnis und Nachfragen, was denn jemanden so sicher macht, an seiner etwas extremen Position festzuhalten.

Brückenbauer exponieren sich, weil sie ideologisch weder da noch dort zugeordnet und darum leicht von allen Seiten angefeindet werden. Das Bild der Brücke macht das deutlich: Festen Halt gibt es nur an den Seiten, die freie Spanne in der Mitte ist exponiert und vergleichseise unsicheres Terrain.

Fragen an den Brückenbauer

Weihbischof Turnovszky beantwortet als Brückenbauer monatlich Ihre Fragen im SONNTAG. Schreiben Sie bitte an:

Was ist dabei die spezifische Rolle oder Aufgabe der Kirche?
Gott liebt jeden Menschen: Das kann die Kirche einbringen. Ihre spezifische Rolle dabei ist weniger die der Schiedsrichterin zwischen passenden und unpassenden Einstellungen, als vielmehr die, möglichst viele „Brückenköpfe“ anzubieten und in der Gesellschaft zu fixieren. Es gibt wenige Einstellungen, die die Kirche von vornherein ablehnen muss. Dazu gehören jedoch solche, die die Menschenwürde anderer infrage stellen. Und selbst in so einem Fall kann man immer noch versuchen zu erahnen, wie jemand zu einer deratigen Meinung gekommen ist. Verletzende Menschen sind meistens selbst verletzte Menschen. Wenn ein Mensch Einstellungen vertritt, die ich nicht teile, dann tue ich gut daran, mich damit zu beschäftigen, wie er denn dazu gekommen ist. Wichtig: möglichst wenig Berührungsängste haben, vor allem keine ideologischen, und keine Wehleidigkeit. Denn als Brückenbauer bekommt man Schläge ab. Wenn man sie von mehreren Seiten erhält, weiß man wenigstens, dass man nicht einseitig geworden ist.

Eine berühmte Enzyklika von Papst Johannes XXIII. trägt den Namen „Mater et magistra“ („Mutter und Lehrerin“). Ist die Kirche diesen oft verletzten Menschen gegenüber zuerst Mutter und dann Lehrerin?
Die Reihenfolge gefällt mir sehr gut, und das möchte ich unterstreichen: zuerst Mutter und erst danach Lehrerin. Mit Mutter-Sein verbinde ich die unbedingte Annahme des Kindes. Eine Mutter liebt ihr Kind, ganz gleich, was es getan hat. Aber sie heißt nicht alles gut. Und wenn das Kind eine Ahnung davon hat, dass die Mutter das Kind liebt, dann wird es leichter annehmen können, was die Mutter es auch lehren möchte. Natürlich gibt es viele Menschen, die solche Mutterliebe nicht so erfahren haben. Ich hoffe, dass sie woanders Liebe erfahren haben und nicht nur Lehre, im Sinn von Besserwisserei oder Befehl. Sondern „Lehren“ aus einer Haltung der unbedingten Wertschätzung heraus.

Folge 1: Freiheit – wie weit darf sie gehen?
Autor:

Stefan Kronthaler aus Wien & NÖ-Ost | Der SONNTAG

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