Kommentar: Die Kirche & ich
Ein Katholik im Weißen Haus. Und?

Mit Joe Biden ist also erstmals seit John F. Kennedy ein Katholik US-Präsident geworden. Ein übertriebener Grund zur Freude ist dieses Faktum allein noch nicht. Es kommt ja nicht darauf an, ob jemand auf katholische Weise „Herr, Herr“ sagt, sondern ob er wirklich „den Willen meines Vaters erfüllt“. Und das ist in der Politik besonders schwer, weil der Wille des Vaters ja ist, „in der Liebe zu bleiben“. Dafür ist die Politik kein besonders förderliches Biotop – wenngleich ich denke, dass es auch dort möglich ist.

Jedenfalls tut sich Biden genauso schwer wie ganze Parteien katholischer Prägung in Europa, sich wirklich zu einer konsequenten Verteidigung des nach dem Angesicht Gottes vom Vater geschaffenen Menschen, von der Empfängnis bis zum Tod, durchzuringen. Freilich ist das nicht der einzige Lackmustest für die Katholizität eines Politikers.

Etwas in diesem Zusammenhang ist vielleicht auch beachtenswert. Als Kennedy 1960 gewählt wurde, war das noch eine Sensation: Katholiken waren Außenseiter im protestantisch geführten Amerika. Nicht ganz so wie die Schwarzen, aber doch irgendwie unamerikanisch. Im US-Katholizismus gab es seit der Nachkriegszeit zwei einander misstrauisch gegenüberstehende Haltungen: entweder sich anzupassen und auf diese Weise richtig dazuzugehören. Oder das Katholische sehr streng und genau zu nehmen – denn wenn man schon nicht dazugehört, dann wenigstens deswegen, weil man seine Sache richtiger macht als die anderen und stolz darauf ist. Das macht also einen US-Katholiken nicht schon von vornherein zur großen Integrationsfigur.

Was die USA braucht, ist aber ohnehin nicht unbedingt ein katholischer, jedenfalls aber ein guter Präsident. Beten wir, dass Biden einer wird.

siehe auch:
US-Präsidentenwahl 2020: Trump ist nicht einfach vom Himmel gefallen.

Autor:

Michael Prüller aus Wien & NÖ-Ost | Der SONNTAG

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