Zum Abschied eines Freundes
Gestern haben wir Rudi zu Grabe getragen ...

Unser Leser, Rainer Fadinger schreibt uns: "Eine sehr intensive Zeit ist für mich zu Ende gegangen und ich musste mir das von der Seele schreiben."

Gestern haben wir Rudi zu Grabe getragen.

Rudi war 53 und er hatte Krebs – bösartig, aggressiv, gnadenlos. Gekämpft hat Rudi wie ein Löwe und aufgegeben hat er nie, auch wenn er in den letzten Tagen das medizinisch Unvermeidliche wohl akzeptiert hatte. Aber da war dann noch „das Theologische“, das Wunder, das ihm vielleicht zu Teil werden würde. Leider war auch diese letzte Hoffnung vergebens.

Wer viel und gerne lacht, der darf auch weinen. Und so konnte ich nicht anders als weinen, als ich seine letzte Nachricht an uns alle, die wir ihn gerne hatten, hörte. Schlicht waren sie, diese Worte, und unglaublich mächtig. Nicht traurig sollten wir sein, hatte er drei Tage vor seinem Tod geschrieben, da wir uns ja alle wiedersehen würden. Und ohne Groll würde er gehen, sich in sein Schicksal fügend. Es waren Worte, die Gänsehaut verursachten und die letzten 18 Monate, die ich Rudi auf seinem Leidensweg begleiten durfte, noch einmal mit aller Kraft präsent werden ließen.

Ich hatte noch nie einen Menschen – letztendlich – beim Sterben begleitet.

Auch hatte ich es nicht geplant. Es passierte einfach. Man könnte auch sagen, Gott hat mich dafür vorgesehen – neben einigen anderen, denke ich. Denn Rudi war offen, hat seine Krankheit nicht versteckt und wollte begleitet werden. Er wollte die medizinischen Möglichkeiten besprechen, er wollte sein Leid, seine Verzweiflung, seine Hoffnung teilen – mit jenen, die sich ihrerseits ihm öffneten. Und so geschah es, dass ich mich mindestens einmal wöchentlich mit ihm austauschte, viel zuhörte und versuchte, selbst die richtigen Worte zu finden. Es waren unglaublich offene Gespräche. Rudi hat keine Fakten beschönigt, er hat nichts verleugnet, nichts verschwiegen. Er hat aber auch der Hoffnung ihren Raum gegeben; und seinem Glauben. Gott war bei ihm, den ganzen Weg lang.

Für mich war diese Zeit enorm intensiv. Ich war sein Nachbar. Nicht mehr, nicht weniger – dachte ich

Jetzt weiß ich, dass ich sein Freund war, sein Bruder – und er meiner. Und ich weiß, dass mir diese Zeit, in der ich unauffällig an seiner Seite war, weder Energie noch Kraft gekostet hat; im Gegenteil, sie hat mich stärker und reicher gemacht. Und heute ist plötzlich jemand immer in meinen Gedanken, immer in meinem Herzen, auch wenn er physisch nicht mehr präsent ist.

Und noch etwas war da. Seine Verzweiflung über ein zunehmend unvermeidliches Schicksal, das sich auch mehr und mehr seiner Persönlichkeit bemächtigte und damit zur Last für seine geliebte Anne wurde, überwältigte ihn beinahe. Es gab kein Gespräch, in dem er nicht seine Sorge um Anne erwähnte und in dem er nicht hoffte, dass alles so wenig belastend wie möglich für sie sein möge – vor und nach seinem möglichen Tod. Diese Sorge, die immer spürbar war und die ihn ständig beschäftigte, war wohl das, was man Liebe nennt.

Eines hat es in unseren vielen Gesprächen nie gegeben – den Wunsch Rudis, das Ganze „zu beenden.“ Rudi war Nähe wichtig, er wollte diesen Weg, der zusehend unausweichlicher zu seinem letzten wurde, gemeinsam mit andern gehen – bis zum Ende. Für mich ein Vermächtnis – auch für unsere Gesellschaft. Den Weg zu Ende gehen – in Würde, möglichst schmerzfrei und an der Hand seiner Brüder und Schwestern.

Ruhe in Frieden, mein lieber Rudi!

Autor:

Sophie Lauringer aus Wien & NÖ-Ost | Der SONNTAG

Kommentare

online discussion

Sie möchten kommentieren?

Sie möchten zur Diskussion beitragen? Melden Sie sich an, um Kommentare zu verfassen.

add_content

Sie möchten selbst beitragen?

Melden Sie sich jetzt kostenlos an, um selbst mit eigenen Inhalten beizutragen.

Powered by PEIQ