Freundschaft in der Bibel
Die Revolution des Gottesbildes

Gute Freundinnen: Rut und ihre Schwiegermutter Noomi. | Foto: Irene Unger
  • Gute Freundinnen: Rut und ihre Schwiegermutter Noomi.
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Freundschaft ist nicht das zentrale Thema des Alten Testaments. Doch zeigen David und Jonatan sowie Noomi und Rut, wie Freundschaft gelebt werden kann. Ludger Schwienhorst-Schönberger erläutert im SONNTAG-Interview Dimensionen der Freundschaft im Alten und Neuen Testament. Teil 3 der Serie zum „Bibel-Pfad“ am 30. September in Wien.

Zwei bedeutende Freundschaftspaare finden sich im Alten Testament: David und Jonatan als Beispiel für eine Männerfreundschaft sowie Noomi und Rut, die für eine Frauenfreundschaft stehen. Der bis Ende September in Wien lehrende Alttestamentler Ludger Schwienhorst-Schönberger über Freundschaft im Alten Testament und die Revolution des Gottesbildes im Neuen Testament.

In „Dei Verbum“, Kapitel 2 (Zweites Vatikanisches Konzil) heißt es: „Durch diese Offenbarung redet also der unsichtbare Gott aus dem Übermaß seiner Liebe die Menschen als Freunde an und verkehrt mit ihnen, um sie zur Gemeinschaft einzuladen und aufzunehmen.“ Spricht Gott auch im Alten Testament die Menschen als Freunde an?
LUDGER SCHWIENHORST-SCHÖNBERGER: Ja, auch im Alten Testament spricht Gott die Menschen als Freunde an. Abraham wird Freund Gottes genannt (Jesaja 41,8; 2 Chronik 20,7). Im Neuen Testament greift der Jakobusbrief das Motiv auf (Jakobus 2,23). Der Bund Gottes mit seinem Volk ist Ausdruck seiner Liebe und Treue. Auch das Hohelied liegt auf dieser Linie, wenn es die Liebe und Freundschaft zwischen dem Mann und seiner Freundin besingt: „Siehe, schön bist du, meine Freundin, siehe, du bist schön“ (Hohelied 4,1), sagt der Mann voller Bewunderung zur Frau. Schon im Judentum wurde das Hohelied als ein Lied verstanden, das von der Liebe zwischen Gott und seinem Volk spricht. So findet sich bereits im Alten Testament eine Revolution im Gottesbild; in dem Sinn, dass es so etwas wie eine Beziehung „von Angesicht zu Angesicht“ zwischen Gott und seinem erwählten Volk gibt. Im Neuen Testament wird diese Dynamik christologisch konkretisiert und vertieft, wenn Jesus seinen Jüngern sagt: „Ich nenne euch nicht mehr Knechte, […] vielmehr habe ich euch Freunde genannt“ (Johannes 15,15).

Was lehrt uns die bewegende Freundschaft zwischen David und Jonatan im Ersten Buch Samuel?
Es gibt zwei bedeutende Freundschaftspaare im Alten Testament, einmal zwei Männer, David und Jonatan, einmal zwei Frauen, Noomi und Rut. Die Freundschaft zwischen David und Jonatan wird auch als Bund bezeichnet; beide schließen einen Freundschaftsbund: „Jonatan schloss mit David einen Bund, weil er ihn wie sein eigenes Leben liebte“ (1 Samuel 18,3). Jonatan unterstützt David gegenüber den Nachstellungen seines Vaters Saul. Er ist ihm in tiefer, freundschaftlicher Liebe verbunden. Bekannt ist das Wort aus der ergreifenden Totenklage Davids über seinen Freund Jonatan: „Wunderbarer war deine Liebe für mich als die Liebe der Frauen“ (2 Samuel 1,26).

„In einer Freundschaft kann die Beziehungsqualität tiefer sein als in einer Geschlechtsgemeinschaft ...“

Einige meinen, der Aussage Hinweise auf eine homosexuelle Beziehung entnehmen zu können. Das ist allerdings sehr unwahrscheinlich. Im Wörterbuch alttestamentlicher Motive schreibt der evangelische Alttestamentler Siegfried Kreuzer unter dem Stichwort „Freundschaft“ zu Recht, dass es unwahrscheinlich sei, „dass mit dem erwähnten Satz in 2 Samuel 1,26 eine den alttestamentlichen Geboten widersprechende homoerotische Beziehung Davids zu Jonatan geschildert werden soll.“ Richtig ist jedoch, dass in einer Freundschaft die Beziehungsqualität höher und tiefer sein kann als in einer Geschlechtsgemeinschaft zwischen Mann und Frau, die insbesondere in der Antike vor allem auf Nachkommenschaft hin ausgerichtet war, was allerdings auch als ein sehr hoher Wert angesehen wurde, wie in Psalm 128 zum Ausdruck kommt: „Deine Frau ist wie ein fruchtbarer Weinstock im Innern deines Hauses. Wie Schösslinge von Ölbäumen sind deine Kinder rings um deinen Tisch herum.“

Was zeichnet die Freundschaft zwischen Noomi und Rut aus?
Noomi stammt aus Juda und ist die Schwiegermutter der Rut, einer Moabiterin. Das Buch Rut erzählt uns von einer wunderbaren Freundschaft dieser beiden Frauen. Als Moabiterin darf Rut eigentlich gar nicht in die „Gemeinde des HERRN“ aufgenommen werden, so steht es im Gesetz (Deuteronomium 23,4). Rut ist der Prototyp der Konvertitin. Aus Solidarität mit ihrer verwitweten Schwiegermutter Noomi, die in ihre Heimat nach Betlehem zurückkehrt, bekennt sie sich zum Gott Israels: „Wohin du gehst, dahin gehe auch ich, und wo du bleibst, da bleibe auch ich. Dein Volk ist mein Volk und dein Gott ist mein Gott. Wo du stirbst, da sterbe auch ich, da will ich begraben sein. […] nur der Tod wird mich von dir scheiden“ (Rut 1,16-17). Beide Frauen unterstützen einander mit den ihnen eigenen Stärken. Rut ist eine junge Frau, die noch arbeiten kann; sie arbeitet auf den Feldern des Boas und sorgt für ihren eigenen und für den Lebensunterhalt ihrer Schwiegermutter. Die Schwiegermutter ist mit Boas verwandt und Erbin eines Grundstücks; sie macht ihren Einfluss geltend, so dass es zur Heirat zwischen Rut und Boas kommt. Aus dieser Ehe geht ein Sohn hervor; damit ist die Zu-kunft der Familie gesichert. Wir begegnen hier einer wunderbaren Freundschaft zwi-schen zwei Frauen, einer generationen- und nationenübergreifenden Freundschaft, die am Ende zur Geburt Davids führt, so dass Rut uns auch im Stammbaum Jesu begegnet (Matthäus 1,5).

Manche interpretieren diese Freundschaften als homosexuelle Verbindungen ...
Das Alte Testament unterscheidet zwischen gleichgeschlechtlichen Freund-schaften, die – wie etwa bei David und Jonatan – auch mit dem Begriff „Liebe“ umschrieben werden können, und der auf Geschlechtsgemeinschaft und Nachkommenschaft hin ausgerichteten Liebe zwischen Mann und Frau, die in der Rezeptionsgeschichte als Ehe verstanden wird. Vor allem das zweite Modell wird auf die Beziehung zwischen Gott und seinem Volk übertragen. Gott nimmt dann die Rolle des (Ehe-)Mannes und das Volk die Rolle der (Ehe-)Frau ein: „Wie der Bräutigam sich freut über die Braut, so freut sich dein Gott über dich“ (Jesaja 62,5); „Denn dein Schöpfer ist dein Gemahl, HERR der Heerscharen ist sein Name“ (Jesaja 54,5; vgl. Hosea 1–3). Entsprechend ist Christus, der Sohn Gottes, der Bräutigam und nicht die Braut, und Johannes der Täufer ist der Freund des Bräutigams (Johannes 3,29). Es finden sich in der Bibel keine Hinweise darauf, dass die Beziehung zwischen David und Jonatan oder die von Noomi und Rut eine Geschlechtsgemeinschaft gewesen sei.

„Gott spricht zu den Menschen wie ein Mensch.“

Schwierigere Freunde sind die Freunde Hiobs.
Hiob wird von schwerem Unheil geschlagen und da kommen seine drei Freunde, um ihn zu trösten; man gewinnt den Eindruck, dass sie es wirklich ernst meinen. Sie reden nicht von oben herab auf ihn ein, sondern sind in Solidarität mit ihm verbunden. Doch nach und nach kommt es zum Zerwürfnis. Hiob klagt. Er klagt über einen Gott, den er als ungerecht empfindet. Dafür haben die Freunde kein Verständnis mehr. Bei den Freunden begegnen wir der Problematik, dass ihre Weltanschauung, ihre Theologie über die Freundschaft siegt. Am Schluss beklagt er, dass seine Freunde ihm zu Feinden geworden sind. Die Freunde ver-lieren im Laufe der Auseinandersetzung jede Form von Empathie für ihn. Sie sind fest davon überzeugt, dass Hiob leiden muss, weil er gesündigt hat. Doch das entspricht nicht der Realität. Der allwissende Erzähler und auch Gott sagen am Schluss etwas Anderes.

In Johannes 15,15 heißt es: „Ich nenne euch nicht mehr Knechte, denn der Knecht weiß nicht, was er tut. Vielmehr habe ich euch Freunde genannt.“ Ist dieser Vers typisch für das Gottesbild des Neuen Testaments?
Dieser Aspekt findet sich bereits im Alten Testament, bekommt im Neuen Testament aufgrund der Menschwerdung des göttlichen Wortes noch einmal eine ganz neue Dramatik. Gott ist in Jesus von Nazaret Mensch geworden, einer von uns, und er hat die, die an ihn glauben, Freunde genannt. Und seine Freundschaft geht bis zum Äußersten, bis zur Hingabe am Kreuz: „Es gibt keine größere Liebe, als wenn jemand sein Leben gibt für seine Freunde“ (Johannes 15,13). Freundschaft vollendet sich hier in der Hingabe, der Liebe: „Das ist mein Gebot, dass ihr einander liebt, so wie ich euch geliebt habe“ (Johannes 15,12).

Begibt sich Gott mit der Menschwerdung gleichsam auf Augenhöhe mit den Menschen?
Ja. Der erhabene Gott im Himmel wird Mensch. Das ewige Wort Gottes bleibt nicht nur Wort, sondern es hat Fleisch angenommen und unter uns gewohnt, wie es im Johannesevangelium heißt. Damit wird die bereits im Alten Testament angelegte Bewegung göttlicher Anteilnahme an der Not seines Volkes, sein rettendes Eingreifen und seine heilende und erlösende Gegenwart in „seinem Eigentum“ zur Vollendung geführt. Gott begibt sich auf die Ebene der Menschen und spricht zu den Menschen wie ein Mensch. Der Kerngedanke des christlichen Glaubens ist die Inkarnation. Gott redet nicht mehr nur von oben herab, sondern er ist vom Himmel hinabgestiegen und Mensch geworden; er hat das Leben der Menschen geteilt, er hat es selbst durchlebt und durchlitten. Wer Leid aus eigener Erfahrung kennt, kann auch anderen Menschen im Leid nahe sein. Deshalb heißt es im Hebräerbrief: „Wir haben ja nicht einen Hohepriester, der nicht mitfühlen könnte mit unseren Schwächen, sondern einen, der in allem wie wir versucht worden ist, aber nicht gesündigt hat“ (Hebräer 4,15).
Mehr zum Bibel-Pfad am 30. September:bibelpfad.at

Autor:

Stefan Kronthaler aus Wien & NÖ-Ost | Der SONNTAG

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