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Dass alkoholfreie Getränke begeistern können, beweist der Soda Klub in Graz – ein alkoholfreies Event, geboren aus der Idee von BewohnerInnen des Aloisianums, einer Therapie-Einrichtung der Caritas für alkoholkranke Menschen: sicher alkoholfrei feiern.  | Foto: Neuhold
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  • Dass alkoholfreie Getränke begeistern können, beweist der Soda Klub in Graz – ein alkoholfreies Event, geboren aus der Idee von BewohnerInnen des Aloisianums, einer Therapie-Einrichtung der Caritas für alkoholkranke Menschen: sicher alkoholfrei feiern.
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Alkohol ist in unserer Gesellschaft allgegenwärtig.
Ein Gespräch mit Yasmin Gogl von der Caritas über Sucht, Entzug und Alternativen.

Aus zwei Dosen Bier wurden schließlich bis zu eineinhalb Flaschen Wein pro Tag“, erzählt Herr L. von seinem Studium – der Zeit, in der seine Alkoholsucht begann. „Ich merkte, dass Alkohol mir hilft, den Stress zu vergessen und besser einzuschlafen“, erinnert sich der junge Mann. Im Laufe der Zeit war er jedoch gezwungen, die Menge stetig zu steigern, um den gleichen Effekt zu erzielen.
Die Geschichte von Herrn L. erzählt mir die Sozialarbeiterin Yasmin Gogl. Sie leitet die Abteilung „Psychosoziales Wohnen und Gesundheit“ bei der Caritas Steiermark. In diesen Bereich fällt auch das Aloisianum – eine alkoholtherapeutische Wohngemeinschaft in Graz. Das Haus bietet Wohnmöglichkeit und Therapie für abstinenzmotivierte, alkoholkranke Männer und Frauen, erklärt mir die Sozialarbeiterin.

„Abstinenzmotiviert?“, wiederhole ich und blicke Yasmin Gogl fragend an. „Wenn alkoholkranke Menschen zu uns kommen, müssen sie den körperlichen Entzug schon hinter sich haben“, beginnt sie zu erklären. Und den macht man besser nicht alleine zu Hause, lerne ich. Ein körperlicher Entzug bei einer schweren Alkoholsucht kann lebensbedrohlich sein, so Gogl. Daher empfiehlt es sich, so einen Entzug stationär in einem Krankenhaus zu machen.

Etwa 15 % der ÖsterreicherInnen (Stand 2021) trinken Alkohol in einem problematischen Ausmaß, das längerfristig deutlich gesundheitsgefährdend ist. Ein Drittel davon – schätzungsweise 370.000 Menschen – ist alkoholabhängig. Problematisch ist ein Alkoholkonsum dann, wenn häufig zu viel und aus den falschen Gründen konsumiert wird, führt Yasmin Gogl aus. „Wenn ich zum Beispiel ohne Bier abends nicht mehr einschlafen kann“, also die „Substanz“ eine feste Funktion im Alltag übernimmt, dann ist der Konsum riskant und an der Schwelle zur Sucht, so die Sozialarbeiterin.
Eine Sucht erkenne man daran, dass z. B. die Arbeitsfähigkeit leidet, die Gedanken mehr und mehr um den Konsum kreisen, man immer mehr „braucht“ und gleichzeitig zu verbergen versucht, dass man trinkt, beschreibt die Caritas-Mitarbeiterin.

Die gute Nachricht: Besonders Jugendliche konsumieren stetig weniger Alkohol. Das zeigt die ESPAD-Erhebung aus dem Jahr 2024. Diese SchülerInnen-Befragung zu Alkohol und Drogenkonsum wird seit 2003 in Österreich durchgeführt und es zeichnet sich ein klarer Trend ab: Langfristig sei die Alkoholkonsumfrequenz von 14 bis 17-Jährigen deutlich rückläufig. Zwischen 2007 und 2024 habe sich der Anteil der Jugendlichen, die noch nie Alkohol getrunken haben, vervierfacht und der Anteil jener, die in den letzten 30 Tagen keinen Alkohol konsumiert haben, verdoppelt. Was in dieser Altersgruppe jedoch zunehme, sei die problematische Nutzung neuer Produkte wie E-Zigaretten oder Nikotinbeutel.

Alkohol-Land Östereich. „Österreich ist weiterhin ein Alkohol-Land“, stellt Yasmin Gogl klar. Alkohol ist Teil unserer Kultur: Eine Feier ohne Sektempfang? Ausgehen ohne Sommerspritzer? Ein feines Essen ohne ein gutes Glas Wein? „Alkohol ist die einzige Droge, bei der man sich rechtfertigen muss, wenn man sie nicht nimmt“, zitiert Gogl ein gängiges Sprichwort und will damit für die Realität alkoholkranker Menschen sensibilisieren. „Alkohol ist in unserer Gesellschaft allgegenwärtig“. Das macht alkoholkranken Menschen, die versuchen „trocken“, also abstintent zu bleiben, das Leben schwerer.

Weil sich das Fortgehen und Feiern, ohne Alkohol zu trinken, schwierig gestaltet, haben MitarbeiterInnen der Caritas-Einrichtung Aloisianum die Idee von BewohnerInnen aufgegriffen und den „SODA KLUB“ ins Leben gerufen. Bei guter Musik und leckeren, absolut alkoholfreien Getränken wird gemeinsam gefeiert.
Den typischen Alkoholiker oder die typische Alkoholikerin gibt es nicht, weiß Yasmin Gogl aus langjähriger Erfahrung. Natürlich gäbe es Umstände, die eine Alkoholsucht begünstigen, wie psychische Erkrankungen, familiäre Instabilität, Traumatisierungen, Gewalterfahrung, Alkoholiker als Elternteil ... Aber man könne nicht von vornherein sagen, daraus folge eine Alkoholsucht. Genauso wie „niemand sagen kann, ich werde nie AlkoholikerIn!“, ist Gogl überzeugt.

Für eine höhere Altersgrenze beim Konsum von alkoholischen Getränken würde sich Yasmin Gogl nicht aussprechen. Die Zahlen zeigen ja, dass Jugendliche nicht die große Problemgruppe darstellen, erinnert sie. Als Hochkonsumenten gelte die Altersgruppe 35+. „Gesetze machen Sinn“, so Gogl, „zum Beispiel wenn es um Alkohol am Steuer geht.“ Da könnte sich die Sozialarbeiterin auch strengere Vorgaben wie 0,0 ‰ vorstellen.
„Die Feierkultur ist der Schlüssel“, ist Yasmin Gogl überzeugt. Es brauche mehr Alternativen. Alkoholfreie Abende in Lokalen, eine „Happy Hour“ für alkoholfreie Drinks und natürlich attraktive nicht-alkoholische Getränke, jenseits von zuckrigen Limonaden und faden Fruchtsäften.
Ihr eigener Umgang mit Alkohol hat sich seit ihrer Arbeit mit Alkoholkranken verändert: „Natürlich denkt man über den eigenen Konsum mehr nach und überlegt genauer, wann und was man trinkt.“ Sie lebe nicht abstinent, aber „ich freue mich über das wachsende Angebot an interessanten alkoholfreien Getränken“, erzählt Gogl und beschreibt ihren neuesten Fund: Statt Sekt – Sparkling Tea.

Alkohol ist ein Gift, formuliert Yasmin Gogl ganz klar. Vor zwei Jahren hat die Weltgesundheitsorganisation den bisherigen Stand, nämlich dass es ein gesundheitlich „unbedenkliches“ Niveau an Alkoholkonsum gäbe, revidiert und sagt jetzt: „Beim Alkoholkonsum gibt es keine gesundheitlich unbedenkliche Menge.“ (WHO 2023). Die Risiken beginnen beim ersten Tropfen, so die ExpertInnen.

„Er braucht ja einfach nix trinken“ oder „Er muss sich nur ein bisserl zsammreißn“, sind Sätze, mit denen oft über alkoholkranke Menschen geurteilt wird, weiß die Sozialarbeiterin. Aber Alkoholsucht ist eine Krankheit, und man bleibt ein Leben lang alkoholkrank, erklärt sie. Wie wir als Gesellschaft diese Menschen unterstützen können? Grundsätzlich gilt für Gogl: „Wenn man merkt, da geht es jemandem schlecht, jemand konsumiert risikobehaftet viel Alkohol – bitte ansprechen!“ So hoch die Hürde scheinen mag, die Chance sei höher, dass die Person froh ist, gesehen zu werden, bekräftigt sie und plädiert für einen bewussteren Umgang mit Alkohol in unserer Gesellschaft. Zum Beispiel in der Gruppe bei ausgelassenen Anlässen keinen Zwang aufbauen. „Es muss nicht heißen, niemand darf Alkohol trinken, aber man muss sich selbst fragen dürfen: Will ich heute Alkohol trinken?“ Und diese Frage ohne Kommentare oder schiefe Blicke auch mit Nein beantworten können.

Katharina Grager

SODA KLUB: Für Prost ohne Promille steht die Grazer Initiative „Soda Klub“. Termine und viel Wissenswertes unter mehr-vom-leben.jetzt oder tinyurl.com/Caritas-Soda-Klub

HILFE: Sie suchen Hilfe für sich oder Angehörige? Unter 0800/4499 33 ist rund um die Uhr das psychiatrische Krisentelefon erreichbar. Der Suchthilfekompass hilft beim Finden von Einrichtungen oder Beratungsstellen unter suchthilfekompass.goeg.at.

Dass alkoholfreie Getränke begeistern können, beweist der Soda Klub in Graz – ein alkoholfreies Event, geboren aus der Idee von BewohnerInnen des Aloisianums, einer Therapie-Einrichtung der Caritas für alkoholkranke Menschen: sicher alkoholfrei feiern.  | Foto: Neuhold
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SONNTAGSBLATT Redaktion aus Steiermark | SONNTAGSBLATT

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