Das erste Glas

Bei einem Pressegespräch zum 50-Jahr-Jubiläum der Anonymen Alkoholiker Graz erzählten alkoholabhängige Männer und Frauen von ihren Erfahrungen und wie sie es schafften, „trocken“ zu werden und zu bleiben. | Foto: iStock
  • Bei einem Pressegespräch zum 50-Jahr-Jubiläum der Anonymen Alkoholiker Graz erzählten alkoholabhängige Männer und Frauen von ihren Erfahrungen und wie sie es schafften, „trocken“ zu werden und zu bleiben.
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50 Jahre Anonyme Alkoholiker Graz. Reden, worüber andere schweigen.

Ich bin E., Alkoholikerin, und begrüße Sie zum Pressegespräch.“ So beginnt jede Wortmeldung an diesem Vormittag in der Mesnergasse 3 in Graz. Rund 15 Menschen haben sich versammelt – im Herzstück der Anonymen Alkoholiker (kurz: AA) Graz, wo sonst „Meetings“ stattfinden: jene Gruppentreffen, die Menschen mit einer Alkoholabhängigkeit dabei unterstützen, ihr Leben wieder in Balance zu bringen und Freude daran zu finden. Unter dem backsteinernen Gewölbe hängen Schilder mit den „12 Schritten“ und „12 Traditionen“ der Gemeinschaft, daneben Porträts der Gründer. Fünfmal steht an den Wänden derselbe Satz: „Wen du hier siehst, was du hier hörst – wenn du gehst, lass es hier.“

Anonymität ist das Fundament der Gemeinschaft, die heuer ihr 50-jähriges Bestehen in Graz feiert – und ihr 90-Jahr-Jubiläum weltweit. Sich als AlkoholikerIn vorzustellen sei der erste Schritt, den es braucht: „Damit geben wir zu, dass wir dem Alkohol gegenüber machtlos sind – und unser Leben nicht mehr meistern konnten.“

Die Flasche – das Gefängnis. Herr H. erzählt von seiner Entscheidung vor 30 Jahren: „Entweder Exitus (Tod, Anm. d. Red.) – oder ich muss was tun.“ Der Hausarzt schickte ihn zu den AA. Noch am selben Abend ging er zum ersten „Meeting“ – nicht nüchtern. „Ich lernte: Es beginnt immer mit dem ersten Glas. Wenn du dem ersten Druck widerstehen kannst, hast du Kontrolle.“ Heute ist Herr H. seit über 30 Jahren trocken. „Aus der Gefängnisflasche befreit“, sagt er.

Für Frau V. war Alkohol ein Bewältigungshelfer. Schon in der Schulzeit hielt sie kein Referat ohne Alkohol. „Ich hatte Angst und Depressionen“, erzählt sie. Erst in einer Entwöhnung und beim ersten „Meeting“ der AA merkte sie, dass es auch anders geht. „Ich sprach zum ersten Mal nüchtern vor Menschen – und sie dankten mir. Diese Freundlichkeit war neu für mich.“
ÄrztInnen wie Martin Ecker vom LKH Graz und Michaela Leopold vom Krankenhaus de La Tour in Waiern (Kärnten) schätzen das Angebot der AA: niederschwellig, anonym, dauerhaft – etwas, das Ambulanzen oft nicht leisten können.

Eine Familienkrankheit. Aus den Meetings entstand auch Al-Anon, eine Gruppe für Angehörige. „Alkohol ist eine Familienkrankheit“, sagt eine Teilnehmerin. „Ich bin keine Hysterikerin, wie ein Arzt mir einst sagte, sondern das Kind eines Alkoholikers. Es braucht Generationen, bis sich das löst.“
Finanziert wird alles über Spenden aus den eigenen Reihen. Am Ende sprechen wir Hand in Hand das Gelassenheitsgebet: „Gib mir die Gelassenheit, Dinge hinzunehmen, die ich nicht ändern kann; den Mut, Dinge zu ändern, die ich ändern kann; und die Weisheit, das eine vom anderen zu unterscheiden.“ Dann wünschen sich alle „gute 24 Stunden“. Denn es beginnt immer mit dem ersten Glas.

Maria Wilbrink

Autor:

SONNTAGSBLATT Redaktion aus Steiermark | SONNTAGSBLATT

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