Von Dr. Ingeborg Gabriel
Wie aktuell ist die katholische Soziallehre?

Auf die menschenunwürdigen Lebens- und Arbeitsbedingungen der Arbeiter im Zeitalter der beginnenden Industrialisierung reagierte Papst Leo XIII. mit  ,,Rerum novarum“ – die erste Sozialenzyklika. Auf dem Foto oben: Gemälde „Eisenwalzwerk“ (1872–1875) von Adolph Menzel, im Stil des Realismus. | Foto: Gemeinfrei
  • Auf die menschenunwürdigen Lebens- und Arbeitsbedingungen der Arbeiter im Zeitalter der beginnenden Industrialisierung reagierte Papst Leo XIII. mit ,,Rerum novarum“ – die erste Sozialenzyklika. Auf dem Foto oben: Gemälde „Eisenwalzwerk“ (1872–1875) von Adolph Menzel, im Stil des Realismus.
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Gedanken zum 130. Geburtstag der ersten Sozialenzyklika „Über die Arbeiterfrage“

Was hat uns Rerum novarum von Papst Leo XIII. aus dem Jahr 1891 heute noch zu sagen? Überraschend viel. Schon die Einleitung, wo von „sklavenähnlichen“ Bedingungen, unter denen Industriearbeiter leben, die Rede ist, trifft die Lage in vielen Ländern. Und auch heute ist „das Kapital in den Händen einer geringen Zahl angehäuft“, wobei die Kapitalkonzentration – auch für die Weltwirtschaft – gefährliche Höchstwerte annimmt. Die Gestaltung des Arbeitslebens muss daher auch in Zeiten von Globalisierung, Digitalisierung und Umweltproblemen ganz oben auf der Agenda stehen. Trotz teils geänderter Detailprobleme sind die Grundfragen demnach die gleichen, weil alle Menschen dieselben materiellen und immateriellen Bedürfnisse haben.

Die Begriffe der katholischen Soziallehre können so Orientierungspunkte für heutige Debatten sein: Wie muss die nationale, europäische und internationale Wirtschaft organisiert sein, um elementare soziale Menschenrechte zu respektieren? Wie können wir Solidarität stärken und sinnvolle Strukturen schaffen (Subsidiarität, Föderalismus)?

Wie als Gesellschaft das Gemeinwohl neu denken? Auf diese und ähnliche Fragen sucht die kirchliche Soziallehre seit Rerum novarum Antwort zu geben. Es braucht Privateigentum (so gegen den Marxismus), damit die die „Quellen des Wohlstands“ nicht versiegen. Der Staat muss für faire Arbeitsbedingungen zugunsten der Schwächeren sorgen, für geregelte Arbeitszeiten, exis­tenz­si­chern­de Löhne und öffentliche Güter (so gegen einen Laissez-faire-Kapitalismus).

Dies gilt national, euro­päisch wie global. Mit der Enzyklika Laudato si (2015) hat Papst Franziskus die Umweltfrage mit der sozialen Frage verknüpft und in Fratelli tutti (2020) die Zusammenarbeit von Religionen eingemahnt. Erinnert sei zudem an das 20-Jahr-Jubiläum der Charta Oecumenica (2001), die die europäischen Kirchen verpflichtet, sich gemeinsam für soziale Anliegen einzusetzen.Gegenwart und Zukunft konfrontieren uns mit einer Vielzahl von Krisen. Um durch diese Wasser einigermaßen erfolgreich zu steuern, braucht es ethische Orientierungen. Wir alle wissen, es gibt keine perfekten Lösungen in dieser Welt, wohl aber gibt es bessere oder schlechtere, gerechtere oder ungerechtere. Christen und Chris­tinnen sind dazu verpflichtet, sich zu fragen, wie sie am Plan Gottes mitwirken können, der will, dass die Würde jedes Menschen geachtet, Unrecht überwunden und die Hoffnung gestärkt wird. Dokumente wie Rerum novarum können dazu wichtige Denkanstöße geben.
Von em. Univ.-Prof. Dr. Ingeborg Gabriel

Autor:

Kirche bunt Redaktion aus Niederösterreich | Kirche bunt

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