Gedanken zum Evangelium: Palmsonntag
Keine Sympathie für Populisten

Ein perfektes Beispiel für Massen­manipulation. | Foto: Pixabay

Matthäus 26, 14
Matthäus 27,1-66

Ich finde Pilatus im Matthäusevangelium erfrischend unsympathisch. Und das macht mir das Matthäusevangelium selbst wiederum sympathisch. Denn dadurch wird die Frage, wer schuld am Tod Jesu ist, differenzierter und vielschichtiger beantwortet als in den anderen Evangelien. Und das hat auch Auswirkungen auf die Rolle, die „das Volk“ dabei spielt.

Dass die Oberschicht Jerusalems, die Hohepriester und die Ältesten des Volkes, bei Matthäus nicht gut wegkommt, ist offensichtlich. Vorgeworfen wird den Volksführern List, Hartherzigkeit, Brutalität und Manipulation des Volkes. Aber Matthäus stellt ihnen keinen gutherzigen, schwachen Pilatus gegenüber, sondern versteht es sehr gut, hinter der scheinbaren Jovialität seines Pilatus dieselbe List, Hartherzigkeit, Brutalität und Manipulation des Volkes sichtbar zu machen.

Das fällt mir besonders an einem Detail auf: Anders als in anderen Evangelien gibt der matthäische Pilatus der Menge eine scheinbar freundliche Auswahlmöglichkeit zwischen der Freilassung von Jesus und der des Barabbas. Das erscheint mir verdächtig: Denn wenn die Menge üblicherweise einen beliebigen Gefangenen „verlangen“ darf (vgl. 27,15), warum darf sie dann diesmal nur zwischen einem von zwei vorgegebenen wählen? Und wenn Pilatus sich über den Usus hinwegsetzen wollte: warum dann überhaupt eine Wahl lassen und nicht gleich jemanden bestimmen?

Ich sehe darin eine bewusste Strategie, bei der Jerusalems Mächtige und Pilatus einander perfekt in die Hände spielen. Hätte Pilatus die Menge frei wählen lassen, hätten sie zwar vielleicht trotzdem nicht Jesus gewählt, aber es wäre kein Aufruhr entstanden. So aber hetzen die Mächtigen die Menge gegen Jesus auf und Pilatus sorgt mit seiner scheinbar harmlosen, in Wahrheit höchst provokanten Frage dafür, dass sich die Empörung gegen Jesus auch entlädt. Ein perfektes Beispiel für Massen­manipulation.

Die Empörung weiß Pilatus dann noch zu steigern, wenn er, wieder scheinbar jovial, fragt, was dann mit diesem „Christus“ geschehen soll.

Und auch, als er die Hände in Unschuld wäscht, versucht er keineswegs die in Rage gebrachte Menge zu beschwichtigen oder von der Unschuld Jesu zu überzeugen. Vielmehr erreicht er durch sein scheinbares Zögern, dass das „ganze Volk“ in seiner Aufgewühltheit den Rollentausch des Pilatus nicht bemerkt und sich als Entscheidungsträger fühlt.

Und plötzlich steht es mit einer Entscheidung da, die es nicht aus sich selbst getroffen hätte und die es auch gar nicht treffen kann, da es die Befugnis dazu gar nicht hat.

Pilatus nützt genau diesen Moment, um, nun wieder in seiner wahren Rolle, Jesus zur Kreuzigung auszuliefern, also das zu tun, was auch Judas tat, nur, dass man das Wort dort oft mit „verraten“ übersetzt hat. Ausbaden muss es „das Volk“, das durch übelste Manipulation dazu getrieben wird, eine Verantwortung zu übernehmen, die es nicht übernehmen hätte dürfen.

Nein, ich kann an diesem Pilatus nichts Sympathisches finden. Und dafür danke ich Matthäus.

Autor:

Elisabeth Birnbaum aus Wien & NÖ-Ost | Der SONNTAG

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