Biblische Gestalten - Rut
Wirtschaftsflüchtling im Stammbaum Jesu

Rut in der Malerei: Boas und Rut, wie sie im 19. Jahrhundert dargestellt wurden (Eduard Holbein, 1830).  | Foto: Wikimedia Commons
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  • Rut in der Malerei: Boas und Rut, wie sie im 19. Jahrhundert dargestellt wurden (Eduard Holbein, 1830).
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Das Buch Rut ist in Zeiten wie diesen mit seinem Inhalt hochpolitisch und brisant. Denn hier geht es um fähige Frauen, um Wirtschaftsflüchtlinge und um gelungene Integration, wie die Grazer Alttestamentlerin Irmtraud Fischer im Gespräch mit dem SONNTAG erläutert.

Rut, eine junge ausländische Frau, wird gleichsam zur Lebensretterin der alten Jüdin Noomi und letztlich sogar zur Urgroßmutter des für das Juden- und Christentum so wichtigen Königs David: So lässt sich das nur vier Kapitel umfassende Buch Rut aus dem Alten Testament in einem Satz zusammenfassen.

Irmtraud Fischer
lehrt Altes Testament an der
Universität Graz

Univ.-Prof. Irmtraud Fischer, sie lehrt Altes Testament an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Graz, über eines der schönsten Bücher des Alten Testaments.

  • Was fasziniert Sie an dem Buch Rut?

Das Rut-Buch ist so faszinierend, weil es eine Geschichte erzählt, die so locker daherkommt. Diese lockere Geschichte ist aber absolut dicht konstruiert. In jedem Kapitel gibt es Leitworte, die sich durch den Text ziehen und das Thema vorgeben, beispielsweise „Zurückkehren“ im Kapitel 1 oder „Hinlegen“ im Kapitel 3. Oder: Das erste Kapitel und das vierte entsprechen einander. Und das zweite und das dritte entsprechen einander spiegelbildlich in den Personen-Konstellationen. Das eine Kapitel spielt am ganzen Tag, das andere in der ganzen Nacht. Das Buch ist ein literarisches Kunstwerk der Sonderklasse.

  • Warum ist das Rut-Buch "das" Frauen-Buch des Alten Testaments?

Weil es die Lebensrealität weiblich und zugunsten der Frauen sieht. Das ist etwas Außergewöhnliches, denn wir haben andere Frauen-Bücher in der Bibel, die durchaus männerzentriert sind.

Ester wird beispielsweise nicht gefragt, ob sie in den Harem gehen will, sondern Mordechai bringt sie einfach in den Harem. Judit (Teil 1 unserer Serie) wiederum ist eine selbstbestimmte Frau, sie arbeitet sich ab an den Geschlechterstereotypen.

Rut hingegen ist eine Geschichte von der Lebensrealität von Frauen, und zwar einer unspektakulären Lebensrealität. Judit hingegen ist eine Heldin, die Israel rettet. Diese Alltagsrealität des Rut-Buches wird aus der Sicht der Frauen dargestellt. Zum Beispiel ist im Gesetzestext von Deuteronomium 25 der Begünstigte der Schwagerehe der verstorbene Mann, im Rutbuch wird sie als Versorgung der lebenden Frauen gesehen.

Das Levirat sah vor, dass der Bruder eines kinderlos Verstorbenen mit dessen Witwe einen Sohn zeugen soll, der dann als Erwachsener den Rechtstitel auf das Land weiterführt. Noomi, die Schwiegermutter der Rut, deutet diesen Rechtstext als Witwen-Versorgung und das Rut-Buch behauptet sogar, dass Noomi selber die Levirats-Linie garantieren könnte, was überhaupt nicht mit Deuteronomium Kapitel 25 konform geht.

Sagt sie doch: „Selbst wenn ich dächte, ich habe noch Hoffnung, ja, wenn ich noch diese Nacht einem Mann gehörte und gar Söhne bekäme: Wolltet ihr warten, bis sie erwachsen sind?“ Auch hier ist die Lebensrealität von Frauen anvisiert, da irgendwann die fruchtbare Lebensphase abflaut und zu Ende ist. Das Rut-Buch hat diese ganz realistischen Einschätzungen der Lebensrealitäten von Frauen.

  • Kann man sagen, dass Rut eine neue Erz-Mutter ist, wie Sara oder Rahel?

Ja, insofern sie in die Reihe von Lea und Rachel und auch Tamar gestellt wird. Und die genealogische Linie von Perez, dem Sohn der Tamar, bis David weiterführt. Damit wird durch das Rut-Buch die Juda-Linie aus dem Buch Genesis sozusagen bis David weitergeführt.

  • Welche Rolle spielt Rut im Stammbaum Jesu nach Matthäus? Schließlich wird sie mit Namen genannt...

Weil Rut im Juda-Stammbaum integriert ist. Aber man müsste sie nicht namentlich nennen, man könnte allein auch die dazugehörigen Männer nennen. Dass man Frauen auch im Stammbaum Jesu erwähnt, ist eine logische Fortsetzung der Genesis, wo es auch keinen Stammbaum gibt, der völlig frauenfrei ist. Wenn Rut im Stammbaum Jesu genannt wird, heißt das, dass hier auch die anderen Völker integriert werden.

  • Ist Rut ein Wirtschaftsflüchtling?

Im Buch Rut gibt es mehrere Wirtschaftsflüchtlinge. Die klassischen Wirtschaftsflüchtlinge sind Noomi und ihre Familie, ihr Mann Elimelech und die beiden Söhne, die aufgrund einer Hungersnot nach Moab ausweichen und dort offenkundig ohne Probleme integriert werden. Und als Rut dann zurückkommt, geht sie aus Liebe zu ihrer Schwiegermutter mit, aber sie geht nicht von dort weg, weil sie verfolgt wird.

In Betlehem hat sie letzten Endes keine Möglichkeit, ihren Lebensunterhalt zu bestreiten, außer durch die Gewährung des von den Reichen gewährten Privilegs für die Armen, auf den Feldern die Nachlese halten dürfen. Dies ist kein Recht der Armen, sondern ein freiwilliges Entgegenkommen, das die Reichen den Armen gewähren.

  • Warum sollen Katholikinnen und Katholiken das Buch Rut lesen?

Weil es eines der schönsten Bücher der Hebräischen Bibel ist. Und weil das Rut-Buch Menschen in ihrem Handeln vor Augen stellt, die die Güte Gottes verwirklichen. Im Rut-Buch finden sich keine Gegenfiguren, keine negativen Figuren. Die gibt es im Rut-Buch einfach nicht. Aber es gibt Figuren, die weniger gut handeln als andere.

Aber niemand handelt arglistig oder böse oder gegen einen anderen. Ich finde, das ist eine ganz interessante Art, wie man Ethik erzählend betreiben kann.

Serie „Biblische Gestalten"

Rut in der Malerei: Boas und Rut, wie sie im 19. Jahrhundert dargestellt wurden (Eduard Holbein, 1830).  | Foto: Wikimedia Commons
Irmtraud Fischer lehrt Altes Testament an der Universität Graz. | Foto: Christl Wenkel-Himmelmann
Autor:

Stefan Kronthaler aus Wien & NÖ-Ost | Der SONNTAG

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