Zum Welttag der Großeltern am 24. Juli
Ein ganz besonderes Leben

Johanna Hönigsberger, 1933 geboren, lebt seit ihrer Heirat 1956 in Pottenstein. Die verwitwete Bäuerin hat sechs Kinder, sieben Enkel sowie fünf Urenkel. | Foto: Sophie Lauringer
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  • Johanna Hönigsberger, 1933 geboren, lebt seit ihrer Heirat 1956 in Pottenstein. Die verwitwete Bäuerin hat sechs Kinder, sieben Enkel sowie fünf Urenkel.
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Es ist schade, wenn man alles vergisst. Das meint Johanna Hönigsberger und deshalb hat sie die vielen kleinen erlebten Geschichten ihres Lebens aufgeschrieben. Ihre Tochter Maria hat alles abgetippt. Daraus ist ein Buch entstanden. Dem SONNTAG hat Johanna Hönigsberger einige Geschichten über ihre DormayerGroßeltern weitergegeben.

Was war das Besondere an Ihren Großeltern Franz und Theresia?

Johanna hönigsberger: Ihr ganzes Leben war für mich etwas Besonderes. Ich habe mich bei meinen Großeltern immer daheim gefühlt, auch wenn ich nur in den Ferien bei ihnen war. Meine Großeltern haben nie gestritten. Der Großvater hat gerne einen Spaß gemacht, dann hat meine Großmutter „Du Narrentattel“ gesagt, das weiß ich heute noch. Der Großvater war aber ein ruhiger Mensch, ich war sehr gerne bei meinen Großeltern.

Was haben Sie bei den Großeltern gelernt?

Ich habe viel gelernt. Ich hätte es mit jedem Bauer aufnehmen können. Mich hat das alles interessiert. Bei den Großeltern habe ich die Landwirtschaft gelernt. Wenn das Wetter gepasst hat, war ich mit am Feld. Wer erkennt denn heute alle Getreidesorten?

Meine Großeltern haben mir gezeigt, wie man leben soll: nicht betrügen, nicht lügen und fleißig sein.

Was ist Ihnen im Alltag in Erinnerung?
Etwas Besonderes war ein Rauchfang in der Küche. Das sehe ich noch heute. Der Rauchfangkehrer ist hineingeklettert. Das Letzte waren dann die Füße und die waren dann auch fort. Das hat mich fasziniert.
Wie auf jedem Bauernhof lebten auch auf dem Hof meiner Großeltern verschiedene Tiere. Die wichtigsten waren die zwei Ochsen. Es gab ja noch keinen Traktor. Alle schwere Arbeit mussten diese zwei Ochsen machen: pflügen, eggen, Heu heimfahren, den Göpel antreiben (das war eine Vorrichtung als Motor), die karge Ernte einfahren, das Brennholz für das ganze Jahr vom Wald auf den Hof transportieren. Einige Kühe waren für die Milch unersetzlich. Die Milch, die Großmutter jeden Tag verkaufte, eventuell noch etwas Topfen und einige wenige Eier, das war die Einnahme meiner Großmutter. Alles, was für Küche und Haus gebraucht wurde, musste mit diesem Geld bezahlt werden.
Selbstverständlich gab es auch einige Schweine für Fleisch und Schmalz. Geschlachtet wurde nur im Winter, es gab ja keine Kühl- und Gefriermöglichkeit. Auch Katzen waren ganz wichtig. Sie sind ja Mäusefänger. Einige Enten und die Hühnerschar mit dem stolzen, großen Hahn bevölkerten unseren Hof. Von allen Tieren war eine Henne eine Besonderheit. Sie kam jedes Mal, wenn sie ein Ei legen wollte, in die Küche. Die Holzkiste war ihr bevorzugter Platz. War der Deckel einmal geschlossen, so zeterte sie so lange, bis dieser geöffnet wurde. Jetzt schnell das Ei gelegt, dann lautstark der ganzen Familie verkünden, dass das Werk vollbracht war – und schon war sie wieder draußen bei den anderen.

Waren Sie mit den Großeltern in der Kirche?

Die Großmutter ist am Sonntag um 7:00 Uhr in die Messe gegangen, der Großvater mit mir in die Spätmesse und danach zum Frühschoppen. Ich bin dann die paar Schritte alleine nach Hause gegangen. Und noch etwas. Das war für mich das Größte: Großmutter besaß in der Kirche einen bezahlten Sitzplatz! Die reicheren Damen des Dorfes, zu denen auch wenige Bäuerinnen gehörten, unterstützten mit dem Kauf eines Taferls mit Namensprägung ihren Pfarrer. Natürlich hätte auch ich diesen Sitzplatz benützen können, denn Großmutter erklärte mir: „In dem Kirchenstuhl unter dem Bild der heiligen Magdalena ist mein Platz. Du kannst das Taferl ja lesen!“ Nur – welches Bild zeigt die Heilige? Wie erkenne ich sie? Wo hängt es? Ich habe das Bild nie gefunden. Zu fragen getraute ich mich nicht. Und so habe ich diesen ersehnten Sitzplatz nie benützen können.

Was haben Sie vom Zweiten Weltkrieg mitbekommen?
Da mein Onkel Leopold auch einrücken musste, war Großvater wieder der Bauer. Soldaten mussten in der Umgebung Erntehilfe leisten. Es war der 13. August 1943. Dreschen war angesagt. Es war Pause zum Durstlöschen. Nach dem Lärm, den die Dreschmaschine verursachte, herrschte plötzlich Stille. Dadurch konnten wir den Lärm der tief über uns fliegenden Flugzeuge hören. Ich sehe es noch vor mir: Die beiden Fliegersoldaten schauten sich überrascht an, und einer sagte: „Das sind aber keine unsrigen!“ Das war schon etwas beängstigend. Kurz darauf hörten wir die Explosionen der Bomben in Wr. Neustadt! Das war der erste Bombenangriff auf diese Stadt.
Mein Vater war als Dreher unabkömmlich in der Fabrik und musste somit nicht einrücken. Er musste Flieger abwehren, da haben wir jeden Tag um ihn gezittert. Während des Unterrichts war auch oft Fliegeralarm, und wir mussten im ersten Schuljahr in der Hauptschule in Kellern, später dann im Bunker Schutz suchen.

War Politik ein Thema in Ihrer Familie?
Vor dem Krieg war ich zu klein, um von Politik etwas zu verstehen. Während des Krieges wurde vor Kindern nie über Politik und die Nazis gesprochen. Die Gefahr, dass Kinder etwas ausplaudern würden, war zu groß. Die Leute sind ja verschwunden, die etwas gesagt haben. Einer meiner Onkel, ein Bruder meiner Mutter, hatte Verfolgungswahn, so sagte man es. Und er ist gestorben, aber an Verfolgungswahn stirbt man nicht. Die Nazis haben ihn getötet, das war ein lebensunwertes Leben. Das traue ich mich heute zu sagen.

Wie ist Ihnen der Krieg erklärt worden, zum Beispiel, dass Ihr Onkel Soldat ist?

Darüber wurde mit uns Kindern nicht gesprochen. Außerdem war es damals nicht üblich, dass Kinder so viel geredet oder gefragt haben. Das meiste über den Krieg haben wir in der Wochenschau vor einer Kindervorstellung im Kino gehört und gesehen.

Wann sind Sie dann selbst Großmutter geworden?
1981 kam mein erstes Enkelkind zur Welt, ein Mädchen. Da war ich eine jüngere Großmutter. Sechs weitere Enkelkinder folgten noch. Mein jüngster Enkelsohn ist 19 Jahre alt.

Worin sind Ihre Großeltern Vorbild und wofür sind Sie ihnen dankbar?
Sie haben mir gezeigt, wie man leben soll: nicht betrügen, nicht lügen und fleißig sein.

Buchtipp

Lebenserinnerungen voller Lebensweisheit mir vielen Videohinweisen:
Johanna  Hönigsberger, Auf und Ab – Aus meinem bewegten Leben. 
452 Seiten, ISBN: 978-3-99129-893, EUR 30,– (gebundene Ausgabe): My Morawa

Der Schlachttag

Bei meinen Großeltern wird ein Schwein geschlachtet. Das Wasser, in dem die Blunzenkranzerl (Blutwurst) gekocht werden, heißt bei uns „Blunzensuppe“. Diese wurde auch immer gegessen, mit Brotschnitten. Denn sie war nicht nur Wasser, sie war ein wenig fett und ganz leicht würzig. Arme Leute holten sich bei Großmutter immer diese Suppe. Wertvoller war sie, wenn einmal ein Kranzerl aufgesprungen ist, denn der Inhalt schwamm jetzt in der Suppe. Diese war natürlich noch begehrter. – Und wenn einmal keines aufgesprungen war? Da sagte Großmutter: „Ich kann doch diesen hungrigen Menschen nicht nur eine klare Suppe geben. Ich muss ein Kranzerl aufreißen!“ Und das tat sie dann auch. So – jetzt gab es eine kostenlose, kraftvolle Mahlzeit! Großmutter wirkte vielleicht etwas wortkarg. Aber dieser Umgang mit der Blunzensuppe zeigte ihr wahres, großes Herz!

Großvater

Mein Großvater war ein ruhiger Mensch. Er redete wenig, aber er hat mich nie getadelt. Großmutter konnte schon ab und zu keppeln. Aber Großvater war auch lustig! Er freute sich, wenn er jemanden „hereinlegen” konnte. Da blitzte der Schelm aus seinen Augen. Ich erinnere mich, es war einmal nach dem letzten Federnschleißen. Da wurde der „Federnhahn” gefeiert, so wie nach dem letzten Dreschen der „Drescherhahn”. Die Gäste wurden bewirtet. Dann trat Großvater in Aktion.
Großvater stellte sich zur Haustür und sagte: „Ich gehe von dieser Tür nicht weg – und trinke doch aus meinem Glas, das auf dem Tisch steht!“ „Nein, Dormayer”, – so hieß Großvater, „das kannst du wirklich nicht. So lange Arme hast du doch gar nicht!“ „Nein, Franz, niemals!“ So tönte es gleich aus dieser gemütlichen Runde. Aber mein Großvater konnte es doch! Er hob die Tür etwas an, legte sie sich auf seinen Rücken und trug sie zum Tisch. Natürlich konnte er jetzt aus seinem Glas trinken! Wie bewunderte ich meinen Großvater! Ehrlich und liebevoll!

Des Teufels Gebetbuch

Großvater brachte mir das „Schnapsen“ bei. Ich war überglücklich, diese Spielkarten in der Hand zu halten. Die Könige mit ihren goldenen Kronen, die Damen mit ihren schönen Kleidern und prachtvollen Frisuren! Ich begriff die Spielregeln sehr schnell, und so konnten Großvater und ich uns so manches Duell liefern. Ich glaube, er war damals auch froh, dass er mit mir spielen konnte, denn Großmutter rührte keine Karte an! „Spielkarten sind des Teufels Gebetbuch!“, sagte sie immer. Ganz so unrecht hatte sie nicht, denn wenn mich Großvater zum Spaß beschwindeln wollte und ich ihn dabei ertappte, da wurde ich schon sehr böse. Aber Großvater lachte nur herzlich. Er freute sich doch, dass er ein guter Lehrer war.

Autor:

Sophie Lauringer aus Wien & NÖ-Ost | Der SONNTAG

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