Aus für Wiener Sängerknaben?
Durch Corona am Rand des Ruins

Wir hoffen auf private Spenden und die öffentliche Hand, damit wir es durch diese Krise schaffen. Es ist eine finanziell schwierige Situation, da wir im Herbst keine Tourneen nach Amerika oder Deutschland machen können. Ich bleibe aber optimistisch. (Gerald Wirth) | Foto: Wiener Sängerknaben / Lukas Beck
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  • Wir hoffen auf private Spenden und die öffentliche Hand, damit wir es durch diese Krise schaffen. Es ist eine finanziell schwierige Situation, da wir im Herbst keine Tourneen nach Amerika oder Deutschland machen können. Ich bleibe aber optimistisch. (Gerald Wirth)
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Kein Chor ist wohl berühmter und traditionsreicher als die Wiener Sängerknaben. Ein Sommergespräch (auch zum nachhören) über die „älteste Boygroup der Welt".

Interview

mit Gerald Wirth dem künstlerischen Leiter der Wiener Sängerknaben

Das Aushängeschild Österreichs steht vor der Pleite. Den Wiener Sängerknaben fehlen Millionen Euro. Wir sprechen darüber mit dem künstlerischen Leiter der Wiener Sängerknaben und Präsidenten des gleichnamigen Vereins, Gerald Wirth. (Stand 25.06.2020)

AUDIO: Gespräch mit dem künstlerischen Leiter der Wiener Sängerknaben

  • Die Corona-Pandemie hat die Wiener Sängerknaben hart getroffen. Wie schlimm ist die Situation?

Gerald Wirth: Über 70 Prozent unseres Budgets kommt aus Konzert- und Tourneegagen. Seit vier Monaten hatten wir keine Auftritte mehr. Aus heutiger Sicht haben wir bis Weihnachten, einen Verlust von zwei Millionen Euro aufgrund des Coronavirus.

  • Seit über 500 Jahren gibt es die Wiener Sängerknaben. Haben Sie Angst vor dem Aus?

Noch ist keine Lösung in Sicht. Wir hoffen auf private Spenden und die öffentliche Hand, damit wir es durch diese Krise schaffen. Es ist eine finanziell schwierige Situation, da wir im Herbst keine Tourneen nach Amerika oder Deutschland machen können. Ich bleibe aber optimistisch.

  • Das Kulturstaatssekretariat will Anfang Juli mit einem neuen Hilfspaket auffangen. Rechnen Sie mit einer ausreichenden Unterstützung?

Wir rechnen zumindest mit Fixkostenzuschüssen. Das wäre jedoch nur ein kleiner Teil. Wie bei allen pädagogischen und kulturellen Organisationen sind die höchsten Kosten, die Personalkosten. Angeblich werden diese nicht im Hilfsfonds ausgeglichen.

  • Sie sind das Aushängeschild Österreichs, aber keine staatliche Einrichtung. Erklären Sie uns das Konstrukt?

Wir sind ein gemeinnütziger Verein. Das bedeutet, wir sind nicht gewinnorientiert. Wir investieren unsere Einnahmen in die Ausbildung der Kinder. Egal welchen sozialen Hintergrund diese haben, jedes talentierte Kind findet bei uns einen Platz. Deswegen verlangen wir auch keine hohen Schulbeiträge.

  • Es wird oft von „Normalität“ und dem „Hochfahren“ gesprochen. Wie sieht ihre Normalität aus?

Normalerweise proben unsere Kinder mindestens zwei Stunden am Tag, das mussten wir reduzieren. Im Moment können wir nur in kleinen Gruppen arbeiten mit entsprechenden Abstand. Wir haben ebenso Kinder aus dem Ausland, die konnten aufgrund der Reisebeschränkungen nicht zurückkommen. Wir unterrichten sie übers Internet, aber eine wirkliche Klangentwicklung funktioniert digital nicht. Zudem gibt es die Bestimmungen der Bundesregierung. Somit kann im Schulbetrieb nur ein bestimmter Teil der Kinder, an gewissen Tagen, vor Ort sein. Ebenfalls leben unsere Chormitglieder normalerweise im Internat. Aus Platz- und Kostengründen ist dieses derzeit geschlossen.

  • Die Schule der Wiener Sängerknaben ist bekanntlich ein Palais im Wiener Augarten. Im Sommer wird ausgewichen in ein Ferienheim am Wörthersee. Was passiert dort?

Die Sommerwochen in Sekirn am Wörthersee sind eine wichtige Zeit. Hier formiert sich der Chor neu, musikalisch künstlerisch und sozial. Diese vier Wochen sind eine essenzielle Vorbereitung für unsere Konzertsaison. Heuer fällt Wörthersee Corona-bedingt leider aus.

  • Jährlich geben die Wiener Sängerknaben ca. 300 Konzerte weltweit. Wie sieht der aktuelle Corona-Spielplan aus?

Wir verschieben und planen ständig, wissend, dass mehrheitlich nichts daraus wird. In Wien spielen wir hoffentlich bald in der Hofmusikkapelle und im „MuTh", Weihnachtskonzerte sind ebenso in Planung. Vieles hängt von den nächsten Wochen und Monaten ab. Ein großes Streamingkonzert ist für Ende August geplant und vielleicht eine Outdoor-Veranstaltung. Konzerte sind immer eine Kostenfrage, private und öffentliche Veranstalter kommen uns hoffentlich entgegen. Ansonsten hoffen wir, dass im Frühjahr 2021 das Konzert- und Tourneeleben wieder beginnt.

  • Etliche Auftritte hat ihr Traditionschor im Jahr, etwa bei Staatsanlässen, bei Konzerten in der Staats- und Volksoper oder auf internationalen Tourneen. Ebenso oft spielen Sie in Kirchen. Was verbindet eine Kirche mit den Wiener Sängerknaben?

Seit der k.u.k Monarchie ist die sonntägliche Messgestaltung in der Hofmusikkapelle ein essenzieller Aspekt. Ebenso eine gute Möglichkeit für die Kinder, sich pädagogisch künstlerisch weiterzuentwickeln. Die Kapelle hat zudem eine ideale Akustik für Tonaufnahmen. International gesehen liegt der Ursprung des Knabenchores in der Kirchenmusik. Das traditionelle Repertoire der Wiener Sängerknaben wird schwerpunktmäßig immer die Geistliche Musik sein.

  • Als Komponist widmen Sie sich ebenso der Gregorianik. Warum inspiriert Sie dieser lateinisch liturgische Gesang und sind Sie ein gläubiger Mensch?

Ich würde mich als sehr spirituellen Menschen sehen. Aber nicht gläubig in dem Sinne, dass ich allen Dogmen der Kirche folge. Jedoch inspiriert mich der religiös-spirituelle Gehalt in der Gregorianik, in Kombination mit der Musik. Spannend ist, dass viele der Kirchentonarten in der Gregorianik deckungsgleich sind mit den Tonsystemen anderer Kulturen. Die Verwendung dieser Tonarten, in Bezug auf bestimmte Themen, überschneidet sich dann mit ähnlichen Tonfolgen anderer Länder.

  • Transzendenz bedeutet philosophisch gesehen, dass es mehr geben könnte als das irdisch-menschliche Dasein. Fördert die Kirchenmusik die Transzendenz?

Ich bin hundertprozentig überzeugt, dass wir durch die Musik spirituelle Erlebnisse erfahren können. Wahrscheinlich einfacher als durch eine Predigt. Balduin Sulzer, ein Ordenspriester und Komponist, war einer meiner Lehrmeister. Er sagte mir, dass der Gesang der Wiener Sängerknaben in einer Messe das Wichtigste ist. Im Gegensatz zum gesprochenen Wort, versteht jeder das Gesungene intuitiv in Bezug auf die Transzendenz. Wir schaffen dadurch Erlebnisse oder helfen zu Erkenntnissen, wenn wir diese Kirchenmusik mit einer entsprechenden Motivation und Gehalt begleiten.

  • Abschließend gibt es noch etwas, das Sie unseren Lesern mitgeben möchten?

Derzeit suchen wir Nachwuchs. Wir sind froh, wenn sich Familien aus Wien oder Wien-Umgebung melden. Es gibt aber keine geografischen Beschränkungen. Wir bieten eine lange Tradition in unserer Musik. Vor allem beschäftigen wir uns mit Musik im weitesten Sinne. Das Spektrum ist kaum vergleichbar mit anderen Chorgruppen und es gibt spannende Konzerterlebnisse weltweit.

In unserer derzeitigen finanziellen Krise sind wir ebenso froh über jegliche Unterstützung. Als gemeinnütziger Verein wäre eine Spende absetzbar. Wir sind auch dankbar, wenn sie anderen Menschen über die Wichtigkeit unserer Institution erzählen.

Die Wiener Sängerknaben brauchen jetzt Hilfe.

Autor:

Georg Gatnar aus Wien & NÖ-Ost | Der SONNTAG

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