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Überall lauerte „Modernismus“

Der Begriff „Modernismus“ wurde von Papst Pius X. mit seiner Enzyklika „Pascendi“ aus dem Jahr 1907 geprägt. (Im Bild: Papst Pius X. mit seinem Wappen; Prof. Dr. Klaus Unterburger Lehrstuhlinhaber für Mittlere und Neue Kirchengeschichte an der Fakultät für Katholische Theologie an der Universität Regensburg | Foto: wikimedia commons; privat
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  • Der Begriff „Modernismus“ wurde von Papst Pius X. mit seiner Enzyklika „Pascendi“ aus dem Jahr 1907 geprägt. (Im Bild: Papst Pius X. mit seinem Wappen; Prof. Dr. Klaus Unterburger Lehrstuhlinhaber für Mittlere und Neue Kirchengeschichte an der Fakultät für Katholische Theologie an der Universität Regensburg
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Geprägt von den Kulturkämpfen im 19. Jahrhundert begab sich die Kirche jahrzehntelang in eine defensive, abwehrende Haltung gegenüber der sogenannten „Moderne“.

Im Gespräch mit dem SONNTAG bringt der Regensburger Kirchenhistoriker Klaus Unterburger etwas Licht ins Dunkel. Und er erklärt den „Antimodernismus“.

Er ist ein etwas sperriger und zugleich missverständlicher Begriff, der unserer Kirche jahrzehntelang vorgeworfen wurde: der sogenannte Antimodernismus. Warum die Päpste Schwierigkeiten mit der Moderne hatten und warum die sogenannte Moderne nicht immer nur hell leuchtete, erläutert der Regensburger Kirchenhistoriker Klaus Unterburger im Gespräch mit dem SONNTAG. Unterburger spricht am 26. März über „Antimodernismus“ bei den „Theologischen Kursen“ in Wien.

  • Warum witterten die Verantwortlichen der Kirche seit der Mitte des 19. Jahrhunderts beinahe überall einen „Modernismus“?

KLAUS UNTERBURGER: Der Fortschritt in der historischen Forschung, auch innerhalb der Theologie, schien die Grundlagen des Glaubens in Frage zu stellen: Waren in der Bibel Irrtümer? Hatte der historische Jesus nicht das nahe Reich Gottes verkündet und eben nicht die hierarchische Kirche als Gnadenanstalt? Hat er wirklich alle sieben Sakramente und das Papstamt eingesetzt?

Ließen sich die alten Beweise und Begründungsfiguren für den Glauben noch halten? Diese Fragen, die man auf grundlegende, falsche Voraussetzungen zurückführte, wurden auch innerhalb der Kirche gestellt. Theologen und Intellektuelle versuchten, den Glauben mit Hilfe der neuen Denkformen zu begründen und zu deuten und ihm so wieder Plausibilität zu verleihen.

  • Was verstand man unter „Modernismus“ im katholischen Umfeld?

Der Begriff wurde von Papst Pius X. mit seiner Enzyklika „Pascendi“ aus dem Jahr 1907 geprägt. Nach dieser war Modernismus eine spezifische Irrlehre: Die historische Forschung relativiere alle Wahrheit; an die Stelle der Objektivität der Offenbarung und der kirchlichen Lehre trete die eigene Subjektivität.

Die Dogmen seien Bilder, die danach zu beurteilen seien, ob sie einem seelisch guttun. Zugleich bestimmte die Enzyklika den Modernismus aber als „Sammelbecken aller Häresien“, nämlich als falsche Grundhaltung, die letztlich hinter jeder Irrlehre und allen Irrtümern der modernen Zeit steckt.

  • Papst Pius X. bestimmte den Modernismus als „Sammelbecken aller Häresien“ Warum hatte die Kirche Schwierigkeiten mit der sogenannten „Moderne“?

Die Moderne wurde defensiv und abwehrend gedeutet in dem Sinn, dass die Menschen immer mehr der Kirche und Gott selbst den Gehorsam aufkündigen, eine falsche Autonomie vertreten und damit letztlich den Ursündenfall wiederholen, nämlich so sein zu wollen wie Gott.

So sah sich die Kirche als Opfer, von Renaissance und Reformation, von Aufklärung und Französischer Revolution, von Liberalismus, Laizismus und Sozialismus. Tatsächlich war das 19. Jahrhundert ja in nahezu allen katholisch geprägten Staaten von Kulturkämpfen gezeichnet, in denen ein laizistischer Liberalismus die katholische Kirche aus dem öffentlichen Raum hinausdrängen wollte.

Religion sei Privatsache, sodass Staat, Schule, Universität, Kunst und Kultur davon frei sein müssten. Dagegen galt es die Reihen zu schließen, die eigenen Gläubigen gegen diesen immer weiter voranschreitenden Abfallprozess zu immunisieren.

  • Hat sich diese Sichtweise heute geändert?

Allmählich hat man gelernt, dass diese Sichtweise auf die moderne Welt nicht adäquat und voller Ressentiments ist. Die Kirche war in diesem Prozess der Entfremdung selbst auch nicht nur passives Opfer gewesen, sondern durchaus auch Akteur.

Am prominentesten hat die kirchliche Kehrtwende wohl in der Pastoralkonstitution „Gaudium et spes“ des II. Vatikanischen Konzils ihren Ausdruck gefunden, die bereits in ihrem ersten Satz programmatisch feststellt: Die Freude und Hoffnung, die Trauer und Angst der heutigen Menschen werden von den Jüngern Christi geteilt.

Aber natürlich kann das auch nicht unkritische Anpassung bedeuten. Die Kirche muss ihre Rolle jeweils neu ausloten zwischen solidarischer Zeitgenossenschaft und kritischem Kontrast der modernen Welt gegenüber; sie will ja „Salz der Erde“ (Matthäus 5,13) sein.

  • Was meinte damals der kirchliche „Antimodernismus“ im katholischen Bereich konkret? Wie sah er aus in der Praxis?

Der kirchliche Antimodernismus setzte auf Kontrolle und Zensur, Denunziation und Bespitzelung. Aus Sorge um die Reinheit des Glaubens wurde durch kirchliche Verurteilungen und Zensur der Fortschritt in der historisch-kritischen Bibelexegese behindert, aber auch in den systematischen theologischen Wissenschaften und in der Kirchengeschichte.

Der Modernismusverdacht wurde auch auf die Felder der Politik und der Kultur ausgeweitet. Auch wenn nach dem Tod von Papst Pius X. 1914 die Päpste von dieser ganz rigiden Form des Antimodernismus ein Stück weit abrückten, wirkten die antimodernistisch-konservativen Netzwerke weiter.

Denunziation, Bespitzelung und ähnlich ausgerichtete Fragebögen spielten überdies auch noch sehr viel länger in der offiziellen katholischen Kirche eine wichtige Rolle, etwa beim Auswahlprozess der Bischöfe.

  • Theologen mussten auch einen Antimodernismus-Eid leisten. Was umfasste dieser Eid?

Man glaubte, viele Modernisten verstellten sich und wollten die Kirche als Wölfe im Schafspelz von innen heraus zerstören. Deshalb versuchte man, Amtsträger und Theologen in ihrem Gewissen durch einen Eid zu binden. Vor der Übernahme eines Amtes musste seit 1910 der „Antimodernisteneid“ geschworen werden (bis 1967).

Er umfasste vor allem fünf Inhalte: Gott sei objektiv beweisbar; die Offenbarung sei anhand der Wunder sicher erkennbar; der historische Jesus habe die Kirche mit dem Papst an ihrer Spitze gestiftet; die Glaubenslehren (Dogmen) seien unabänderlich von Anfang an geglaubt worden; der Glaube sei kein Gefühl, sondern ein rationaler Zustimmungsakt unter die Autorität des sich offenbarenden Gottes.

  • Hatte man da nicht allzu oft zu wenig Vertrauen in die „eigenen Leute“?

Genau, hinter all dem stand und steht Angst: Folge davon waren Enge, Verdächtigungen, was wiederum die Glaubensnöte vieler Theologen, aber auch den Verlust an intellektuellem Potential und Glaubwürdigkeit zur Folge hatte. Auf der anderen Seite muss man aber auch versuchen, den Antimodernismus von innen heraus zu verstehen; man muss fragen, was dessen Protagonisten unbedingt verteidigen wollten und warum und wo sie Gefahren zurecht verortet haben.

Das alles sind keine längst vergangenen Gefechte; Frontlinien, Themen und Konstellationen wirken bis in die Gegenwart nach.

Mehr Informationen: theologischekurse.at

Der Begriff „Modernismus“ wurde von Papst Pius X. mit seiner Enzyklika „Pascendi“ aus dem Jahr 1907 geprägt. (Im Bild: Papst Pius X. mit seinem Wappen; Prof. Dr. Klaus Unterburger Lehrstuhlinhaber für Mittlere und Neue Kirchengeschichte an der Fakultät für Katholische Theologie an der Universität Regensburg | Foto: wikimedia commons; privat
Autor:

Stefan Kronthaler aus Wien & NÖ-Ost | Der SONNTAG

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