25 Jahre Erzbischof von Wien
Kardinal Schönborn erzählt von seiner Hoffnung

Vor 25 Jahren, am 14. September 1995, trat Christoph Schönborn seinen Dienst als Erzbischof an. | Foto: Ernst Weingartner / picturedesk.com
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  • Vor 25 Jahren, am 14. September 1995, trat Christoph Schönborn seinen Dienst als Erzbischof an.
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Vor einem Vierteljahrhundert, am 14. September 1995, hat Papst Johannes Paul II. Christoph Schönborn zum Erzbischof von Wien ernannt. Was war das Bestimmende in diesen 25 Jahren im Leben der Kirche? Mitschrift eines Gesprächs von Kardinal Schönborn mit dem SONNTAG und radio klassik Stephansdom.

Man muss dafür nicht gerade bei Adam und Eva beginnen. Aber doch zumindest beim Zweiten Weltkrieg, nach dessen Ende die katholische Kirche speziell in Österreich einen unglaublichen Aufbruch erlebt hat. Das war nach der Verfolgung und den Grauen des Naziregimes und des Kriegs nicht überraschend. Auch die tiefen Gräben der Zwischenkriegszeit waren grundsätzlich überwunden: Die führenden Persönlichkeiten dieser Zeit hatten gemeinsam die Verfolgung durch die Nazis erlebt und wollten unbedingt ein gemeinsames Österreich. Die Kirche hat dabei eine wichtige Rolle gespielt.

Diese Freude bzw. dieser Enthusiasmus hat bis zum Konzil gedauert, das so etwas wie der krönende Höhepunkt dieses Nachkriegs-Aufbruchs war. Mit dem Ende des Konzils und den Jahren danach hat sich aber dann etwas anderes gezeigt, was man bis in die Mitte der 60er Jahre so nicht erwartet hatte, nämlich eine rasante Säkularisierung der Gesellschaft. Sie hat sich zunächst vor allem durch den schnell steigenden allgemeinen Wohlstand gezeigt, der auch dazu verleitet hat zu glauben, dass es immer aufwärts geht.

Schon manche Konzilsväter hatten behutsam versucht, gegen allzu viel Euphorie aufzutreten, und daran zu erinnern: Die Botschaft des Evangeliums ist auch Botschaft vom Kreuz. Und es ist uns nicht garantiert, dass das Reich Gottes identisch ist mit dem wachsenden Wohlstand eines Landes.

In dieser spannungsreichen Zeit sind dann große Konflikte in der Kirche aufgebrochen, die ich auch persönlich sehr intensiv erlebt, mitgelebt und zum Teil auch mitgelitten habe. Wobei für mich das Erstaunliche ist, dass auch 50 Jahre nach dem Konzil nicht eingetreten ist, was manche prophezeit haben: eine Kirchenspaltung. Und wir haben, glaube ich, in diesen Jahren auch gelernt, dass der säkulare Staat, die säkulare Gesellschaft nicht nur eine Bedrohung, sondern auch eine Chance sind.

Die prägende Gestalt: Johannes Paul II.
Und da bin ich bei dem angelangt, der meine eigene Zeit als Priester, als Professor und dann als junger Bischof am meisten geprägt hat: Johannes Paul II. Der Papst, der aus der Erfahrung des Nationalsozialismus in Polen heraus unter dem Kommunismus Priester und Bischof und schließlich Papst geworden ist. Das ist uns heute fast schon etwas weit entfernt, aber er ist eine der gewaltigen Erscheinungen in der neueren Welt- und Kirchengeschichte. Das Staunen über die damaligen Vorgänge haben wir allzu schnell verlernt.

Meine Generation ist ja aufgewachsen in einer gespaltenen Welt zwischen Ost und West, mit all den Bedrohungen und Spannungen. Und dann, unter dem Pontifikat und dem evidenten Einfluss von Johannes Paul II. gab es die ersten deutlichen Risse in dem übermächtig scheinenden sowjetischen Imperium. Man hat gespürt: Da ist eine Kraft, der der ganze Machtapparat des Sowjetimperiums nicht standhalten kann: Das Bewusstsein der Freiheit und der Menschenwürde. Und so kam das Jahr 1989.

Eigentlich unvorstellbar, dass ein so gigantischer Block einfach sang und klanglos in sich zusammengebrochen ist! Das hat bei vielen die Überzeugung bestärkt, dass der Glaube eine Kraft hat, die die Welt verändert.

Diese Kraft des Glaubens hat Johannes Paul II. in einzigartiger Weise repräsentiert. Sein Pontifikat war nicht nur vom Zusammenbruch des Kommunismus geprägt, sondern auch vom Aufbruch der Jugend. Das Phänomen der Weltjugendtage! Man kann gar nicht überschätzen, was sie kurz- und mittelfristig, wohl auch langfristig bedeutet haben. Auch da hat sich diese Kraft gezeigt.

Die Phase nach dem Aufbruch unter Johannes Paul II. würde ich vor allem mit der Enzyklika von 1991 in Verbindung bringen, „Centesimus Annus“. Für mich war diese dritte Sozialenzyklika Johannes Pauls II. seine prophetischste. Diese Prophetie ist das große Thema, das jetzt das Pontifikat von Papst Franziskus prägt. Denn Johannes Paul hat damals gesagt: Die Welt steht nach dem Zusammenbruch des Kommunismus vor einer Entscheidung. Sie kann zwei Wege wählen. Entweder alle Tore auf für einen schrankenlosen Kapitalismus. Oder die freie Marktwirtschaft als soziale Marktwirtschaft zu sehen, das heißt mit der sozialen Verantwortung, die mit dem Kapital und mit dem wirtschaftlichen Erfolg verbunden ist.

Der Weg ist nicht in die von Johannes Paul erhoffte Richtung gegangen. Wir haben zwar einen riesigen wirtschaftlichen Erfolg weltweit erlebt. Auch die Explosion der digitalen Dimension. Aber gleichzeitig ist schmerzlich feststellbar, dass die sozialen Verpflichtungen vernachlässigt wurden, und dazu gehören auch die ökologischen Verpflichtungen, die mit dem Wohlstand verbunden sind. Schon Papst Benedikt hat begonnen, nachdrücklich auf die ökologische Frage hinzuweisen, die eine entscheidende Zukunftsfrage der Menschheit ist. Und mit Papst Franziskus ist diese Frage ganz deutlich in den Mittelpunkt gerückt.

Wachsende Distanz zur Institution
Manche beklagen heute, dass die Kirche marginal geworden ist. Ich sehe das nicht so. Ich glaube, in vieler Hinsicht ist die Kirche heute gerade durch den Papst eine Stimme, die weltweit gehört wird. Doch im Raum der säkularen Gesellschaft gibt es vor allem zwei Phänomene, die unsere heutige kirchliche Situation prägen: Das eine ist die Distanz Institutionen gegenüber, speziell auch den religiösen. Es gibt eine starke Individualisierung, aus dem Gefühl, dass wir Institutionen gar nicht brauchen – weil sie selbstverständlich geworden sind und weil sie funktionieren, zumindest in unseren Breiten. So gibt es einen massiven Auszug aus den institutionellen Kirchen.

Das zweite, weltweite Phänomen, das die letzten Jahrzehnte zunehmend geprägt hat, ist die Individualisierung des Christentums in der Form der evangelikalen Strömungen. Man schätzt, dass heute neben den 1,2 Milliarden Katholiken die Freikirchen, Pfingstler, Evangelikalen mit geschätzten 400 Millionen die zweitgrößte Gruppe der Christenheit sind. Das hat auch mit der Distanz zur institutionellen Kirche zu tun, weil evangelikale Gemeindeformen sehr fluid sind, sehr flexibel, sehr schnell Zulauf, aber auch sehr viel Abgang haben.

Ich stelle mir die Frage, die offensichtlich auch für Papst Franziskus sehr präsent ist: Was heißt das für die größte der Großkirchen, für die katholische Kirche? Papst Franziskus sucht das Gespräch, den Kontakt, auch die Glaubensgemeinschaft mit diesen fluiden Formen von Kirchlichkeit und hat da interessante Zeichen gesetzt, die wohl aus seiner südamerikanischen Erfahrung kommen, wo die Freikirchen die katholische Kirche massiv betreffen und auch bedrängen.

Ich erinnere mich an das letzte Wort, das Papst Benedikt an seinen Schülerkreis gerichtet hat, es war 2012, als das Thema die Ökumene war: „Geht es letztlich nicht darum, dass wir aufeinander hören und voneinander lernen, was es heute heißt, Christ zu sein?“

Für mich ist das das Programm für die Neuevangelisierung: Die Liebe zu Christus, ja, die Beziehung zu ihm als Meister und Lehrer und Herrn, das können wir voneinander lernen. Das ist allerdings keine Einbahnstraße, die Evangelikalen können auch viel von der katholischen Kirche lernen.

Evangelisierung geschieht ja nicht nur dadurch, dass ich den Nächsten am Rockknopf festhalte und ihn frage: „Und Bruder? Hast du dich schon für Jesus entschieden?“ Sondern Mission geschieht auch durch den einfachen Dienst der Caritas, geschieht durch die Liturgie, im Gottesdienst, in dem wir mit Christus verbunden sind.

Und ich erinnere an das, was Helmut Schüller 1995 als Generalvikar gesagt hat: Wir sollten vielleicht weniger über und mehr mit Gott reden. Das ist die große Anfrage, die auch die säkulare Gesellschaft an die Kirche stellt: Was bewegt euch? Spürt man etwas vom Spirituellen bei euch? Ist das Evangelium, ist Jesus Christus eine lebendige Wirklichkeit bei euch? Schon Paulus hat gesagt: „Wenn man in eure Versammlung kommt, müssen die Menschen sagen: Bei euch ist Gott!“ Kann man das bei uns sagen, in unseren Gottesdiensten? Ja, man kann es. Aber es dürfte ausdrücklicher sein.

Ich glaube an die Überraschungen Gottes
Was bedeutet das für den weiteren Weg der Kirche? Manche bei uns im säkularisierten Europa glauben, dass radikale institutionelle Reformen das Entscheidende sein werden, also etwa in der Frauenfrage oder der Sexuallehre. Die üblichen Punkte, wo viele drastische Reformen erwarten und fordern.

Ich sehe das etwas nüchtern, im Blick auf die schwindende Bedeutung Europas: Wir sind noch acht Prozent der Weltbevölkerung und werden 2050, sagt man, nur mehr vier Prozent sein. Diese Fragen haben trotzdem ihren Platz. Ich denke, vor allem die Frauenfrage ist sehr dringend und drängend. Aber in welcher Form? Ist das einzige Großthema, das ansteht, die Frage „Frau und Amt“ – oder ist es zuerst eine Frage der christlichen Kultur des Miteinander? Eine Anfrage, die sich der Kirche der ganzen Welt stellt, und die nur gemeinsam beantwortet werden kann.

Rezepte hab ich keine dafür. Aber ich habe genug Hoffnungsreserven, um auf Überraschungen zu vertrauen. Was für Überraschungen ich schon erlebt habe! Die Überraschung des Papstes aus dem Osten, mit dem gewaltigen Umbruch, den wir heute für selbstverständlich halten, der es aber absolut nicht war. Die Überraschungen, die Gott der Menschheit bereitet mit der Coronakrise! Es hat noch nie eine Pandemie gegeben, die wirklich die gesamte Welt in ihrem Griff hält. Was bedeutet das für die Christenheit, für die Kirche in der Zukunft?

Ich glaube, die Überraschungen Gottes werden nicht ausbleiben. Wir können sie nicht prophezeien. Zumindest ich kann es nicht. Aber eines ist sicher. Und es ist für mich so sicher, wie der Glaube, dass Jesus der Christus, der Sohn des lebendigen Gottes, ist. Nämlich das, was Jesus seinen Jüngern gesagt hat: „Mein Vater ist am Werk und auch ich bin am Werk.“ Nachdem er der Herr ist, der Schöpfer, der Erlöser, der Vollender der Geschichte, bin ich voller Hoffnung. Ich müsste meinen Glauben verleugnen, wenn ich nicht wirklich voller Hoffnung wäre.
Ihr Kardinal Christoph Schönborn

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Autor:

Michael Prüller aus Wien & NÖ-Ost | Der SONNTAG

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