Medienkonsum in Zeiten der Pandemie
Homeschooling, TikTok, WhatsApp & Co

Das eine ist Arbeit für das Kind – so wie wir im Home- Office ja auch arbeiten und nicht nichts tun. Das andere pures Vergnügen und einzige Möglichkeit, derzeit Sozialkontakte zu pflegen.  | Foto: iStock/eclipse_images
  • Das eine ist Arbeit für das Kind – so wie wir im Home- Office ja auch arbeiten und nicht nichts tun. Das andere pures Vergnügen und einzige Möglichkeit, derzeit Sozialkontakte zu pflegen.
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Zum ohnehin bereits intensiven Medienkonsum von Kindern und Jugendlichen kommen in Zeiten der Pandemie und der damit einhergehenden Schulschließungen viele Stunden am Computer im Rahmen des Homeschoolings dazu.

Wie sehr wir Eltern uns deshalb Sorgen machen müssen, ob Kinder und Jugendliche durch den vermehrten Medienkonsum vielleicht sogar etwas lernen können und welche Aufgaben Eltern dabei haben – ein Gespräch mit Matthias Jax, Experte für Social Media, Datenschutz und Online-Sicherheit.

Die gute Nachricht gleich vorweg: „Ich kann alle besorgten Eltern beruhigen. Der erhöhte Medienkonsum, der in den vergangenen Monaten durch das Homeschooling angefallen ist, ist per se keine Katastrophe für unsere Kinder und Jugendlichen“, sagt Matthias Jax von Saferinternet.at: „Wir leben nun mal mitten in einer Pandemie und das ist eine Ausnahmesituation, mit der wir erst lernen müssen umzugehen.“ Und zudem eine Ausnahmesituation, die uns allen neue Verhaltensweisen abverlange und die eine neue Sicht auf den einen oder anderen Aspekt unseres Alltags erfordere.

Arbeit und Vergnügen
Im Hinblick auf den vermehrten Medienkonsum der Kinder und Jugendlichen bedeute das, dass man derzeit grundlegend unterscheiden muss: „Es gibt den schulischen Medienkonsum – da fallen die digitalen Schulstunden hinein oder das Hausübungen-Machen per Computer. Und es gibt den privaten Medienkonsum – das Spielen, das Treffen von Freunden im virtuellen Raum, den Austausch über Messengerdienste und Ähnliches“, bringt es Matthias Jax auf den Punkt.

Der Computer, der Laptop, das Smartphone seien also auf der einen Seite derzeit zu einem großen Teil ein „Lerntool“ für die Schule. Auf der anderen Seite die einzige Verbindung nach außen, zu den Freunden. „Da müssen viele Erwachsene ganz stark umdenken“, ist Matthias Jax überzeugt: „Das Kind sitzt eben nicht vor dem Computer oder dem Smartphone und spielt oder , macht Blödsinn‘.

Das eine ist Arbeit für das Kind – so wie wir im Home- Office ja auch arbeiten und nicht nichts tun. Das andere pures Vergnügen und einzige Möglichkeit, derzeit Sozialkontakte zu pflegen. Zu sagen: ,Du sitzt heute schon so lange vor dem Kastl, da gibt’s weniger Computer- oder Smartphone Zeit am Nachmittag und Abend ist deshalb total kontraproduktiv.“

Wann ist es genug?
„Gerade jetzt, wo man so viel mehr Zeit miteinander verbringt, ergebe sich aber vielleicht die Gelegenheit, Regeln für den Medienkonsum ganz klar zu besprechen und auch miteinander umzusetzen. „Regeln, die dann natürlich auch wirklich für alle Familienmitglieder gelten sollten“, wie Matthias Jax betont. Dazu kann zum Beispiel gehören, wann das Smartphone weggelegt werden muss, wann die Konsole oder der Computer abgedreht wird, dass die Nacht zum Schlafen da ist und nicht für Medienkonsum und vieles mehr.

Ganz wichtig erscheint dem Experten auch, dass Eltern einmal mehr Interesse und Verständnis für den Medienkonsum ihrer Kinder zeigen. „Das ist ja eigentlich eine Grundregel der Erziehung“, sagt Matthias Jax: „Interesse zeigen, im Gespräch bleiben. Ansprechpartner sein. Oder es wenigstens versuchen.“

Außerdem könne man wohl die Gelegenheit nutzen, Kindern und Jugendlichen gerade jetzt, wo sie so viel vor dem Bildschirm sitzen, klar zu machen, wann es genug Bildschirmzeit ist und wie sich dieses „Genug“ anfühlt. „Ich meine damit eine gewisse Anleitung zur Selbstreflektion“, sagt Matthias Jax: „Sätze wie ,Wenn Dir die Augen brennen, dann mach doch eine kurze Pause‘ oder ,Wenn der Rücken weh tut, dann geh doch ein bisschen im Zimmer herum‘ könnten jetzt, denke ich, auf wirklich fruchtbaren Boden fallen.“

Alternativen aufzeigen
Und was rät der Experte all jenen Eltern, die sich Sorgen machen, ihr Kind könne durch den vermehrten Medienkonsum süchtig werden? „Entspannen Sie sich. So schnell wird man nicht internetsüchtig“, sagt Matthias Jax.

Grundsätzlich müsse man mit dem Begriff Sucht sehr vorsichtig sein. Das sei ein medizinischer – etwa auch von der WHO definierter – Begriff. „Wenn wir von Sucht sprechen, dann geht es etwa darum, dass die Betroffenen in ihrer Freizeit nur mehr vor dem Computer, der Konsole, dem Smartphone sitzen, dass es da gar nichts anderes mehr gibt. Wir sprechen von Kontrollverlust, davon, dass man sich gar nicht mehr lösen kann. Davon, dass das den Betroffenen oft auch bewusst ist, sie aber trotzdem nicht aufhören können. Davon, dass die Dosis immer gesteigert werden muss. Und davon, dass eindeutig Entzugserscheinungen erkennbar werden – Unruhe oder Aggression etwa.“

Erst wenn das ausgeprägt vorhanden sei, könne man von Sucht reden. „Und dann gibt es auch kompetente BeratungsStellen, die weiter helfen können – das Anton Proksch Institut etwa oder die Sigmund-Freud-Privatuniversität.“

Beim Thema „Sucht“ gehe es also nicht in erster Linie – und vor allem nicht nur – um ein Mehr an Medienkonsum. „Viel im Netz unterwegs zu sein, sich mit seinen Freunden auf diversen Plattformen wie Discord zu treffen oder mit ihnen auf TikTok abzuhängen, reicht nicht.“

Da ist auch viel Positives
Generell plädiert der Experte einmal mehr für eine Spur mehr Gelassenheit und eine Portion positiveres Denken: „Bedenken Sie mal, was wir, was die Kinder und Jugendlichen durch die neuen Medien alles machen können. Sie können in Kontakt bleiben – mit Schule, mit Freunden, mit Großeltern“, sagt Matthias Jax: „Noch vor 10 Jahren wären wir technisch nicht so weit gewesen. Und mir ist schon bewusst, dass in vielen Familien Luft nach oben ist.

Ich weiß, dass es viel zu tun gibt, weil durch die Herausforderungen der Pandemie bewusst wird, wer auf der Strecke bleibt. Und dass technisch bei Weitem nicht alles ideal läuft. Aber dass wir es prinzipiell überhaupt versuchen können, dass nicht alles komplett still stehen muss, das finde ich schon wirklich sehr positiv.“

Autor:

Andrea Harringer aus Wien & NÖ-Ost | Der SONNTAG

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