Sr. Johanna Brandstetter spricht mit Carina Müller
Ein Leben dafür gewidmet, den Menschen zu helfen

Foto: Foto: Privat/Michael Stern
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Schwester Johanna Brandstetter über ihre Berufung zur Missionsschwester, ihr Leben und Wirken in Afrika und die schönsten, aber auch schrecklichsten Momente als Krankenschwester

Schwester Johanna, Sie haben Ihr Leben der Mission verschrieben. Wie ist es zu dem Wunsch gekommen, Missionarin zu werden?

SR. JOHANNA: Meine Schwester ist neun Jahre älter als ich und war schon jung auf Mission in Kanada. Das hat mich inspiriert, und ich besuchte daraufhin die Missionsschule. Nach Abschluss der Schule kam ich ins Kloster Wernberg und machte die Novitiat Ausbildung – das ist die Ausbildung im Kloster. Danach ging ich drei Jahre lang nach Graz in die Krankenpflegeschule.

Wie kam es dazu, dass Sie nach Ihren Ausbildungen in der Missionsschule und im Kloster noch eine weitere Ausbildung in der Krankenpflege machten?

SR. JOHANNA: Eigentlich habe ich die Ausbildung in Graz begonnen, weil man in Wernberg ein Krankenhaus oder ein Altenheim bauen wollte. Drei Schwestern, die die Hauptschule abgeschlossen haben, wurden ausgewählt, um in Graz die Ausbildung zu machen. Im zweiten Jahr der Ausbildung hat es dann aber geheißen, dass doch nicht gebaut wird. Wir waren aber fast fertig mit der Ausbildung und freuten uns auf den Abschluss, denn jetzt konnten wir nach Afrika gehen – das war immer unser Ziel.


Dieses Ziel haben Sie schließlich auch erreicht. War von Anfang an klar, dass Sie bald nach Afrika reisen werden?

SR. JOHANNA: Nein, als wir mit unserer Ausbildung fertig wurden, hat man zu mir gesagt, ich müsse nach Deutschland. Andere Schwestern aber reisten zur gleichen Zeit nach Afrika. Bevor wir unseren Dienst im jeweiligen Land antraten, mussten wir ins Mutterhaus in Heilig Blut in den Niederlanden. Dort angekommen, hat man verkündet, wer nach Deutschland geht – ich war nicht dabei. Ich habe mir gedacht: ‚Meine Güte, die Schwester Oberin denkt jetzt sicher nicht dran, dass ich dort mitfahren sollte.‘ Daraufhin bin ich zu ihr gegangen und habe gefragt: ‚Soll ich morgen mitfahren?‘ Worauf sie sagte: ‚Was wollen Sie denn dort?‘ Stattdessen schickte sie mich für nur drei Wochen nach Mönchengladbach. In der Zwischenzeit kam meine Schwester aus Kanada zurück und wollte auch nach Afrika. Meine Aushilfszeit wurde um neun Monate verlängert, bis wir beide so weit waren, um im Oktober 1966 nach Afrika zu fliegen.

Wohin ging es für Sie genau?

SR. JOHANNA:
Ich kam in St Anne‘s Hospital in Simbabwe, Brunapeg. Das erste Mal, waren wir zehn Jahre dort. Das zweite Mal waren es 20 Jahre. Das erste Mal als wir dort waren, war Kriegszeit in Simbabwe. Deswegen mussten wir für drei Jahre heimkehren. 1980 kam die Unabhängigkeit, da sind wir zurück. Das zweite Mal in Simbabwe war ich Krankenschwester und Finanzverwalterin.

Wie ist das Leben als Krankenschwester in Afrika?

SR. JOHANNA: Das, was man in Afrika als Krankenschwester macht, ist komplett anders als in Europa. Wir hatten nur eine Ärztin für das ganze Krankenhaus. Es gab weder genug qualifizierte Mitarbeiter:innen noch genug Gerätschaften. Aber wir waren da. Man hat uns angelernt und uns immer wieder zu Kursen geschickt, damit wir alles Mögliche machen konnten. Ich war im Labor, beim Röntgen und im Operationszimmer – dort habe ich die Narkose verabreicht oder half als Instrumentenschwester.

Was war ein typischer Tag im St. Anne’s Hospital?

SR. JOHANNA: Wir waren gut ausgelastet und hatten jeden Tag viel zu tun. Vor 22 Uhr kamen wir nie ins Bett. Das ging die ganze Woche lang so. Wenn die Ärztin weg war, dann mussten wir alles machen, was angefallen ist. Ist ein Patient mit schweren Verletzungen zu uns gekommen, mussten wir so weit sein, um eine Diagnose zu stellen. Je nach Diagnose haben wir den Patienten in die Stadt zum Zentralkrankenhaus geschickt. Wenn die Ärztin da war, wurde, was immer gemacht werden konnte, in unserem Krankenhaus gemacht.

Gab es für Sie ein besonders einschneidendes Erlebnis?

SR. JOHANNA: Ich kann mich an einen Tag erinnern, da war unsere Ärztin nicht da. An diesem Tag brachte man uns einen Mann, dem von einem anderen mit einer Axt in den Kopf geschlagen wurde. Er hatte eine große Platzwunde, und wir konnten schon die Gehirnmasse sehen. Als Erstes habe ich die Wunde zugenäht, damit er keine Infektion bekommt. Wir mussten immerhin drei Stunden auf einer staubigen Buschstraße zum Zentralkrankenhaus fahren. Wunden nähen haben wir zwar schon längst gekonnt, aber hier wusste man nicht, wie weit das Gehirn schon geschädigt war. Ich bin anschließend selbst mit dem Land Rover gefahren. Man muss dazusagen: Das war eine Zeit, wo viele Terroristen unterwegs waren. Ich habe mich nicht getraut, eine Pause zu machen und kurz zu schlafen, weil ich Angst hatte, dass einer der Terroristen mich erschießt. Deswegen war ich so müde, dass ich immer wieder während des Fahrens eingeschlafen bin. Wenn das Auto fast von der Straße abgekommen ist, habe ich eingelenkt. Das ist eines der einschneidendsten Erlebnisse, das in mir heute noch lebendig ist.

Gab es viele solcher Erlebnisse?

SR. JOHANNA: So etwas kommt leicht vor in der Mission. Das war zwar nicht der Alltag, aber es hat viele solcher Vorfälle gegeben. Vor allem inmittes des Unabhängigkeitskrieges kamen viele Schwerverletzte zu uns. Auch in der Entbindungsstation mussten wir vieles selbst machen. Einmal hatten wir einen Nabelschnurvorfall – d. h. die Nabelschnur war um den Hals das Babys gewickelt – und die Ärztin war nicht da. Die Mutter musste sofort operiert werden, weil das Baby sonst sterben würde. Die Schwestern kamen zu mir, um Rat zu holen, und ich sagte: ‚Das Baby muss raus. Wir können in dieser Situation nicht drei Stunden fahren.‘ Daraufhin machten wir eine Vakuumextraktion und das Baby überlebte. Das war auch ein Wunder.

Sie haben sich ja auch für Menschen mit Aids eingesetzt, oder?

SR. JOHANNA: Es gab eine Zeit, wo viele Menschen Aids hatten. Da habe ich mich eingeschaltet und war u. a. zwei Jahre in Südafrika. Als ich zurück nach Simbabwe kam, half ich in einem Aidsprojekt. Später hat man mich aber wieder gebeten, ein Krankenhaus zu verwalten. Das war ein kleines Krankenhaus, das St. Patrick‘s Hospital in Hwange. Ich habe gesagt, dass ich es für zwei Jahre probieren werde. Aus diesen zwei Jahren wurden 13 Jahre.

Gibt es eine besondere Erinnerung an diese Zeit?

SR. JOHANNA: Da war ein kleines Mädchen. Dieses Mädchen hatte deformierte Knochen und wurde bei uns mehrmals operiert. Wir haben ihr außerdem eine Lehrstelle als Näherin besorgt. In diesen Orten wird man, wenn man beeinträchtigt ist, abgeschoben. Bald konnte sie sich selbst versorgen, und wir mussten nicht mehr helfen. Das gab dem Mädchen Selbstbewusstsein. Auch das Gefühl, nicht mehr abhängig zu sein, war eine Erleichterung.

Da war ja wirklich alles dabei!

SR. JOHANNA: Ja, da war alles dabei – von offenen Wunden bis hin zu Brüchen, Geburten und vieles mehr. Eigentlich waren wir wie Assistenzärztinnen. Das war aber auch schön für uns. Das hat unseren Leben einen Sinn gegeben. Man hat gemerkt, dass man vielen Leuten helfen konnte.

Zur Person: 
Sr. Johanna Brandstetter war seit 1966 Missionarin in Simbabwe – zuerst im St. Anne’s Missions Hospital in Brunapeg. Weiters war sie in Mariannhill in Südafrika bei einem Aidsprojekt engagiert und koordinierte die Bauprojekte im St. Patrick’s Hospital in Hwange. Nun lebt sie bei den Klosterschwestern in Wernberg und engagiert sich dort weiter.

Autor:

Sonntag Redaktion aus Kärnten | Sonntag

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