Zeit für den Hirtenhund
Man könnte kommentieren

Foto: David Kassl

Eigentlich könnte, nein, müsste ich in dieser Woche über die „Causa prima“ schreiben: das Münchener Missbrauchsgutachten. Ich könnte, nein, müsste kopfschüttelnd und traurig reportieren, dass wieder mal hunderte mutmaßliche Täter – 173 davon Priester – ermittelt worden sind und fast fünfhundert Opfer.

Ich könnte, nein, müsste dabei natürlich auch die Verantwortung der Bischöfe von München und Freising ansprechen und dabei auch Joseph Ratzinger, den Papa emeritus, erwähnen.

In so einer Kolumne würde ich mich vor jeder voreiligen Apologie hüten: Ich kann und will mich – wie inzwischen so viele andere auch – nicht mit folgenlosen bischöflichen Scham- und Trauerbekundungen zufriedengeben.

Gewiss, ich würde fairerweise darauf hinweisen, dass es Ratzinger war, der als Präfekt der Glaubenskongregation stets auf Aufklärung gedrängt hat, u.a. in der „Causa Groër“. Sein kraftvoller Gegenspieler damals: das Kurienbollwerk Angelo Sodano, der die Missbrauchsberichte als „Geschwätz“ abtat und eine Kommission zur Untersuchung der Wiener Vorgänge verhindert.

Ich würde außerdem – darin ganz einig mit unserem filzmaiernden Allerklärer Paul Zulehner – auf den vorbildlichen Weg hinweisen, den Österreich mit der Einrichtung der Klasnic-Kommission schon vor über zehn Jahren eingeschlagen hat.

In über 2.600 Fällen hat die Kommission zugunsten der Betroffenen entschieden und ihnen bislang über 33 Millionen Euro zuerkannt.

Ich würde auch mit „Paul Peter Filzlehner“ betonen, dass die Reaktion Ratzingers auf das Münchener Gutachten wahrlich keinen schlanken Fuß im roten Schuh macht. Auch wenn er sich für seine offenbar von juristischen Beratern ausformulierte Stellungnahme entschuldigt hat – das Licht, das auf ihn fällt, wird dadurch nicht zwingend wärmer.

Und ich würde als notorisch kritisches Wauzi auf einen wichtigen Unterschied zur Situation in Deutschland hinweisen: Das Münchener Gutachten benennt klar Verantwortlichkeiten, nennt Strukturen, die Vertuschung begünstigten. Es gibt dem System der Täter ein Gesicht und verlangt Verantwortungsübernahme.

In Österreich hat man sich bislang sehr glaubhaft und richtig den Opfern zugewandt. Der Blick auf die Täter und etwaige Strukturen, die Missbrauch begünstigt haben – er fehlt bislang in der Öffentlichkeit.

Aber wer bin gerade ich, schlafende Hunde zu wecken …? Ich könnte, ja müsste so eine Kolumne schreiben. Allein: Sie wäre nicht witzig. Daher lasse ich es bleiben.

Leserforum des Hirtenhund

Autor:

Der SONNTAG Redaktion aus Wien & NÖ-Ost | Der SONNTAG

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