Tradition und ihre Brüche
Was die Theologie leistet

Jakob Deibl zum Zeitbewusstsein der Religionen: „Wir sind Teil einer viel größeren Geschichte – die auch noch eine Zukunft haben soll.“ Im Bild das Kreuzgewölbe des Wiener Stephansdomes. | Foto: Erzdiözese Wien/Stephan Schönlaub
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  • Jakob Deibl zum Zeitbewusstsein der Religionen: „Wir sind Teil einer viel größeren Geschichte – die auch noch eine Zukunft haben soll.“ Im Bild das Kreuzgewölbe des Wiener Stephansdomes.
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Mit Platz 29 hat die Universität Wien dieses Jahr beim renommierten QS-Ranking, einer internationalen Bewertung von rund 800 Hochschulen, im Bereich „Theologie und Religionsforschung” besonders gut abgeschnitten. Erfreulich! Hat es doch die Theologie oft schwer. Brauchen wir sie überhaupt noch? Jakob Deibl gehört einem Forschungszentrum an, das sich mit Religion und den Veränderungen in der modernen Gesellschaft befasst – und dem u.a. das gute Abschneiden zu verdanken ist.

Sind Sie stolz auf Platz 29?
Natürlich freut mich das…

…aber?
Ich sehe das kritisch. Auf den ersten Plätzen im Bereich Theologie und Religionsforschung ist die US-amerikanische Elite-Uni „Notre Dame“, gefolgt u.a. von Oxford, Haward, Yale. Dort gibt es 10.000 bis 20.000 Studierende, das sind wesentlich weniger als an der Universität Wien mit 90.000 Studierenden. Es ist als würde man einen Formel-1-Wagen mit einem Autobus vergleichen. Natürlich wird immer das Rennauto gewinnen. Allerdings kann der Autobus wesentlich mehr Leute transportieren.

Wien ist also der „Autobus“, mit Platz für viel mehr Studierende...
Die Universität Wien will offen und allgemein zugänglich sein. Man sollte also bei diesen Bewertungen immer dazusagen, was man genau bemisst. Das QS-Ranking bewertet - neben einem komplizierten Verfahren über Zitationen – sehr stark den Ruf, den eine Institution international genießt.
Umso erfreulicher, dass die Theologie in Wien einen guten Ruf hat! Früher einmal war die „Lehre von Gott“ die wichtigste Wissenschaft überhaupt. Warum ist das heute nicht mehr so?
Die Theologie hat immer mit dem gesellschaftlichen Kontext zu tun, in dem sie sich ereignet, es ist ihr Resonanzraum. Wenn aber der Resonanzraum zu schwinden beginnt, dann verliert auch die Theologie an Bedeutung. Denn die Theologie versucht die Prozesse und Fragen ihrer Zeit zu reflektieren.
Immer weniger Menschen verstehen sich als religiös. Die katholische Kirche hat nach mehreren Skandalen mit ihrer Glaubwürdigkeit zu kämpfen. Das führt auch in Wien dazu, dass weniger Menschen Theologie studieren.

Spüren Sie das?
Das merkt man natürlich, wenn man sich fragen muss, ob eine Lehrveranstaltung zustande kommen wird oder nicht. Ansonsten erlebe ich die Theologie an der Universität als einen Ort, wo Krisenphänomene diskutiert werden können. Meine Kolleginnen und Kollegen beziehen viele der aktuell brennenden Themen in ihre Forschung ein. Das Theologiestudium, besonders als Teil einer staatlichen Universität, setzt sich durchaus kritisch mit der Tradition und mit deren Brüchen auseinander.

Was würde drohen, wenn die Theologie von staatlichen Universitäten verschwindet?
Die Gründungsidee der Universitäten im Hochmittelalter war es, verschiedene Formen des Wissens unter einem Dach zu vereinen. Dabei decken die klassischen vier Fakultäten die vier Dimensionen des Menschen ab: Die juridische Fakultät das rechtlich geregelte Zusammenleben und die medizinische Fakultät die Körperlichkeit und Gesundheit des Menschen; die Philosophie betrachtet den Menschen als erkennendes Wesen; und die theologische Fakultät nimmt den Menschen als transzendentes, offenes Wesen ernst, theologisch gesprochen als ein auf Gott bezogenes Wesen. Wenn die Theologie wegfallen würde, stellt sich die Frage, ob dieser Aspekt noch irgendwo repräsentiert ist. Ein wichtiger Punkt aber ist, dass alle theologischen Fächer sich fragen müssen, welchen Beitrag sie in den großen gesellschaftlichen Herausforderungen der Gegenwart – Migration, Digitalisierung, ökologische Krise etc. – leisten.

Das ist das Anliegen des Forschungszentrums „Religion and Transformation in Contemporary Society“, dem Sie angehören. Worum geht es?
Wenn Gesellschaften sich verändern, hat das Einfluss auf die Religionen. Umkehrt, wenn Religionen sich verändern, wirkt sich das auf die Gesellschaft aus. Deshalb hat das Forschungszentrum das Wort „Veränderung“, englisch „Transformation“ im Namen.

Der Grundgedanke war, Kolleginnen und Kollegen der Universität Wien, die sich aus ganz unterschiedlichen Perspektiven mit Religion beschäftigen, zusammen zu holen: aus Theologie, aber auch aus Religionswissenschaft, Politik-, Rechts- oder Kulturwissenschaften und anderen mehr. Eines unserer großen Themen war zum Beispiel der Gedanke „Europa” und die Frage: Welche friedensstiftenden, aber auch welche zerstörerischen Potentiale haben Religionen?

Seit Beginn des Forschungszentrum 2010 geht es auch um Migration...
Die Religionsforschung kann aufzeigen, dass Menschen unterschiedlichster Gruppen zu uns kommen, und damit ein Stück Differenzierung in die Diskussion einbringen. Wir unterscheiden oft nur in „wir“ und „die anderen“. Dabei war gerade der Nahe Osten ein Raum von großer religiöser Vielfalt, mit Jahrhunderte alten Traditionen und Sprachen.

Können die Religionen auch in der Klimakrise einen Beitrag leisten?

Ich halte das für ein zentrales Thema. Ein Beitrag könnte das Nachdenken über unser Zeitbewusstsein sein. Im Hintergrund vieler ökologisch problematischer Entwicklungen steht der Gedanke einer unbegrenzt verfügbaren Zeit, die den Menschen nur als Konsumenten fasst, ein Konsum, der nie zu einer Erfüllung kommen kann.
Dagegen haben Religionen einen anderen Zeitbegriff. Aus christlicher Sicht z.B.: Wenn man eine Kirche betritt, kommt man in vielen Fällen in einen Raum, der vor Jahrhunderten gebaut wurde und sich in eine weite Vergangenheit ausdehnt, der aber auch so gebaut worden ist, dass Menschen in einer fernen Zukunft ihn noch verwenden können. Da wird uns bewusst, dass wir Teil einer viel größeren Geschichte sind, für die wir eine Verantwortung haben.

Es gibt Vorbehalte gegenüber der Theologie, z.B.: Ist sie überhaupt eine Wissenschaft? Man könnte sagen: Die Theologie befasst sich mit Gott, aber gibt es Gott überhaupt?
Da sind wir schon in sehr komplexen theologischen Themen. Die Frage nach Gott zu stellen ist eine, die der Theologie aufgeben ist. Nur ist Gott gerade nicht so gegeben, wie der Gegenstand anderer Wissenschaft. Gott ist nicht einfach ein Ding der Welt, von dem ich sagen kann, es gibt dieses Ding oder es gibt dieses Ding nicht.
Als Theologe oder Theologin stellt man sich in eine lange Tradition von Texten, v.a. der Bibel, von Riten und Praktiken - und deutet diese auf die Gegenwart und die Frage nach Gott.

Muss man an Gott glauben, um Theologie zu studieren?
(Lacht) Man muss das nirgends angeben. Theologie ist ein öffentliches Studium.

Die andere Seite der Frage: Kann man seinen Glauben verlieren, wenn man Theologie studiert?

Darauf gibt es keine eindeutige Antwort. Wenn, dann müsste man fragen, welchen Glauben hat man da eigentlich verloren? Es geht ja eher darum: Wie verändert sich der Glaube? Kann er nicht auch wachsen durch das Studium, wird er befragbarer, erhält er eine neue Gestalt, weil man eine lange, sehr plurale Tradition kennenlernt, in der vieles auch ganz anders gesehen wurde?

Jakob Deibl zum Zeitbewusstsein der Religionen: „Wir sind Teil einer viel größeren Geschichte – die auch noch eine Zukunft haben soll.“ Im Bild das Kreuzgewölbe des Wiener Stephansdomes. | Foto: Erzdiözese Wien/Stephan Schönlaub
Helmut Jakob Deibl | Foto: Klaus Ranger
Autor:

Stefanie Jeller aus Wien & NÖ-Ost | Der SONNTAG

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