Gedanken zur Fastenzeit von Pater Martin Werlen OSB - Teil 2
Schweres erleiden

Maria, die Frau des Cleophas, schreit unter dem Kreuz ihr Elend zum Himmel. (Joh 19,25) .  | Foto: Pater Martin Werlen OSB
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  • Maria, die Frau des Cleophas, schreit unter dem Kreuz ihr Elend zum Himmel. (Joh 19,25) .
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Unsere Lebenspläne werden immer wieder durchkreuzt. Alles kann bestens laufen – und von einer Sekunde zur anderen verlieren wir den Boden unter den Füßen. Schicksalsschläge nennen wir das. Diese Erfahrungen können ein schreckliches Gesicht haben: Diagnose einer schweren Erkrankung, Unfall, Naturkatastrophen, Todesnachricht und vieles andere. Früher oder später sind wir alle von solchen Erfahrungen betroffen.

Es gibt Menschen, die in besonderer Weise von schwerem Leid heimgesucht werden. Ich denke an die 84-jährige Klara. Sieben Kinder – drei Töchter und vier Söhne – sind ihr und ihrem Gatten geschenkt worden. Im Jänner im Jahre 1989 kam ihr ältester Sohn im Alter von 31 Jahren bei einem Autounfall ums Leben. Er war mit Kollegen unterwegs und saß auf dem Beifahrersitz.
Im April desselben Jahres verlor der drei Jahre jüngere Sohn bei einem Reit­unfall in den USA das Leben. Bei einer Flussdurchquerung gerieten Reiter und Pferd in einen Sog.
1991 wurde der 32-jährige Sohn bei einem Arbeitsunfall mit dem Traktor gelähmt und musste forthin im Rollstuhl leben.
Im Mai 1994 nahm er sich ohne Vorankündigung das Leben. Im Juli 2011 starb der Gatte.
Im Februar 2019 trugen Klara und ihre drei Töchter den vierten Sohn und Bruder zu Grabe: Mit 20 Jahren wurde ihm zum ersten Mal Krebs diagnostiziert. Die leidgeprüfte Klara bekennt: „Ich habe keine Tränen mehr. Ich habe um die drei verunglückten Söhne genug geweint.“ Wie ohnmächtig sind wir in solchen Situationen! „Das darf nicht wahr sein!“, schreien wir zum Himmel.

Gott macht es uns nicht immer einfach

Ein befreundeter junger Mann freute sich mit seiner Verlobten auf den gemeinsamen Lebensweg. Kurz vor der Hochzeit wurde sie mit der Diagnose Leukämie konfrontiert. Am geplanten Hochzeitstag war die Beerdigung. Dass der junge Mann nicht mehr an einen Gott glauben konnte, der das zulässt, kann ich verstehen. Er wurde zum Atheisten. Ein frommer Mensch meinte, dieser Mann hätte nie richtig geglaubt, sonst würde er wegen einer solchen Erfahrung nicht den Glauben verlieren. Wer so argumentiert, hat wohl noch keine großen Lebenserfahrungen, aber auch keine tiefen Glaubenserfahrungen gemacht.
Gott macht es uns nicht immer leicht zu glauben. Die große Mystikerin Teresa von Avila (1515–1582) beklagte sich einmal im Gebet über all die Schwierigkeiten, die sie zu erleiden hatte. Auf die Bemerkung Jesu, dass er so seine Freunde behandle, entgegnete sie schlagfertig: „Darum hast du auch nur so wenige.“ – Dem oben genannten Atheisten habe ich gesagt: „Ich bin überzeugt: Bei unserem Tod werden wir beide staunen – ich nicht weniger als du!“

Gott ist anders.

Unser Gott ist so anders, als wir ihn uns vorstellen oder wünschen. Damit zu leben ist nicht einfach. Davon zeugen auch die großen Glaubensgestalten in der Heiligen Schrift, die es in aller Deutlichkeit sagen: „Ich kann nicht mehr!“ Denken wir zum Beispiel an den Propheten Jeremia: „Verflucht der Tag, an dem ich geboren wurde; der Tag, an dem meine Mutter mich gebar, sei nicht gesegnet. Verflucht der Mann, der meinem Vater die frohe Kunde brachte: Ein Kind, ein Knabe ist dir geboren! und ihn damit hoch erfreute. Jener Mann gleiche den Städten, die der HERR ohne Erbarmen zerstört hat. Er höre Zetergeschrei am Morgen und Schreien am Mittag, weil er mich nicht tötete im Mutterleib. So wäre meine Mutter mir zum Grab geworden, ihr Schoß auf ewig schwanger geblieben. Warum denn kam ich hervor aus dem Mutterschoß? Nur, um Mühsal und Kummer zu erleben und meine Tage in Schande zu beenden?“ (Jer 20,14–18)

Ijob schrie sein Elend zum Himmel: „Erwürgt zu werden, zöge ich vor, den Tod meinem Totengerippe. Ich mag nicht mehr, ich will nicht ewig leben. Lass ab von mir, denn nur ein Hauch sind meine Tage!“ (Ijob 7,15–16) „Warum ließest du mich aus dem Mutterschoß kommen, warum verschied ich nicht, ehe mich ein Auge sah? Wie nie gewesen wäre ich dann, vom Mutterleib zum Grab getragen.“ (Ijob 10,18–19) Sind solche Worte nicht eine Ermutigung, das eigene Elend vor Gott auszubreiten? Gott ist nicht da, wo wir sein möchten, sondern da, wo wir sind – auch in den größten Schwierigkeiten. Welch ein Geschenk, wenn wir im Glauben die Kraft finden, die uns nicht verzweifeln und im Elend versinken lässt!

Vorbild.

Ein Österreicher ist mir Vorbild und Ermutigung, nicht bei schweren Leiden hängen zu bleiben. Als junger Mann hatte er alle Chancen, dass sein Leben gelingen würde. Er war begabt, hatte eine Umgebung, die ihn förderte, er genoss eine hervorragende Musikausbildung: Komposition und Geige. Alles sprach dafür, dass er ein berühmter Geiger werden würde. Die Verletzungen bei einem schweren Autounfall im Alter von 18 Jahren beendeten seine Karriere als Geiger abrupt. Alles vorbei – würden viele klagen. Schade! Bedauern. Resignation. Und er selbst? Er stellte sich der Situation. Er versuchte das Beste daraus zu machen. Er entdeckte unter dem Aschenhaufen die Glut, die nicht zerstört wurde. Geigenspielen auf hoher Konzertstufe war nicht mehr möglich. Aber Dirigent auf hoher Konzertstufe konnte er werden. Und daran machte er sich mit allem Eifer. Heute ist er einer der größten Dirigenten der Welt: Franz Welser-Möst.

Nehmen wir in allem schweren Leiden Jesus beim Wort: „Kommt alle zu mir, die ihr mühselig und beladen seid! Ich will euch erquicken.“ (Mt 11,28) Und schämen wir uns nicht, unser Elend vor ihm deutlich zur Sprache zu bringen!

Nächste Woche: „Ungerecht behandelt werden“

Autor:

Der SONNTAG Redaktion aus Wien & NÖ-Ost | Der SONNTAG

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