Zeit für meinen Glauben
Ich muss die Welt nicht mehr retten

Schwester Anna Mayrhofer: "Bei SOLWODI musste ich erst lernen, dass es nicht immer so eindeutig ist, wer wirklich Täter, wer Mittäter ist. Es hilft mir sehr zu glauben, dass es am Ende Gott ist, der weiß, wer wie schuldig geworden ist.“  | Foto: Sandra Lobnig
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  • Schwester Anna Mayrhofer: "Bei SOLWODI musste ich erst lernen, dass es nicht immer so eindeutig ist, wer wirklich Täter, wer Mittäter ist. Es hilft mir sehr zu glauben, dass es am Ende Gott ist, der weiß, wer wie schuldig geworden ist.“
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Schwester Anna Mayrhofer betreut Frauen, die aus der Prostitution aussteigen wollen. Täglich hört sie Geschichten von Gewalt und Ausbeutung. Ihr Gottesbild und ihr Glaube haben sich dadurch verändert.

Ich wollte diese Arbeit eigentlich nicht machen. Ich hatte Angst vor all den Geschichten von sexueller Gewalt. Aber viele Menschen haben mir gesagt, dass sie mir das zutrauen. Also habe ich zugesagt.“ Vor mehr als zwanzig Jahren wird die Ordensfrau Schwester Anna Mayrhofer – soeben fertig mit ihrem Studium der Sozialarbeit – gefragt, ob sie für den Verein Solwodi in Deutschland arbeiten möchte. Solwodi (Solidarity with women in distress) betreut Frauen, die Opfer von Menschenhandel, sexueller Gewalt und Ausbeutung geworden sind. In Österreich engagieren sich mehrere Frauenorden bei Solwodi. Das Institut der Franziskanerinnen der Missionarinnen Mariens, dem Schwester Anna angehört, ist einer von ihnen.

Auf der Schattenseite des Lebens

Geschichten von sexueller, psychischer und physischer Gewalt, hat Schwester Anna in den vergangenen zwei Jahrzehnten tatsächlich unzählige gehört. „Lebensgeschichten von Frauen, die eigentlich nicht zu verkraften sind“, sagt die 54-Jährige. „Meine Klientinnen sind Frauen, die selber mit Gewalt und in Armut aufgewachsen sind. Die dann geschlagen, vergewaltigt und gefügig gemacht wurden. Frauen, die auf die Schattenseite des Lebens gefallen sind. Diese Frauen haben mir gesagt: ‚Bevor sie mich umbringen, mache ich alles, was sie mir sagen.‘“

Schutzwohnung für zehn Frauen
In Wien bietet Solwodi Frauen, die aus der Prostitution aussteigen wollen, eine Schutzwohnung und Unterstützung an. „Wir haben bis zu zehn Frauen in unserer Schutzwohnung, viele sind aus Ungarn, Rumänien oder aus Nigeria. Manchmal kommen sie schwanger zu uns, deswegen leben auch immer wieder kleine Kinder in der Wohnung“, erzählt Schwester Anna. Fünf Sozialarbeiterinnen und an die fünfzehn freiwillige Mitarbeiterinnen, darunter zwei Mitschwestern von Sr. Anna, betreuen die Frauen und helfen ihnen bei allen organisatorischen Dingen – vom Arztbesuch über den Deutschkurs bis zum Finden einer eigenen Wohnung, die sie sich auch leisten können. „Viele der Frauen können schließlich ein halbwegs selbstbestimmtes Leben führen. Oft finden sie eine Putzstelle oder arbeiten als Küchenhilfe.“

Glaube und Gottesbild neu definiert
Schwester Anna tritt 22-jährig bei den Missionarinnen Mariens ein. Die gebürtige Niederösterreicherin wächst als ältestes von sechs Kindern auf einem Bauernhof auf und kommt „aus einer heilen Welt“, wie sie sagt. „Für mich war es früher leicht zu sagen, das ist richtig oder das ist falsch. Durch meine Arbeit musste ich mein Gottesbild und meinen Glauben völlig neu definieren. Ich musste lernen, dass es nicht immer so eindeutig ist, wer wirklich Täter, wer Mittäter ist. Es hilft mir sehr zu glauben, dass es am Ende Gott ist, der weiß, wer wie schuldig geworden ist.“

Ohne ihren Glauben könnte die Ordensfrau ihre Arbeit in dieser Weise nicht tun. „Ich sage mir: Ich mache was ich kann. Ich brauche die Welt nicht mehr zu retten, das hat Jesus schon getan.“ In den täglichen Zeiten des stillen Gebets übergibt sie Jesus die ihr erzählten Lebensgeschichten. Das Wissen, dass ihre älteren Mitschwestern für Solwodi und die dort betreuten Frauen beten, hilft ihr. Überhaupt ist die Gemeinschaft eine ganz große Unterstützung.

„Die Gemeinschaft ist für mich eine wichtige Korrektur. Ich würde mich sonst in meiner Arbeit verlieren. Meine Mitschwestern erwarten, dass ich auch zu Hause präsent bin. Das hilft mir, die Arbeit hinter mir zu lassen, weil ich daheim zur Vesper und von meinen Mitschwestern zum Singen gebraucht werde.“

Schwester Anna Mayrhofer: "Bei SOLWODI musste ich erst lernen, dass es nicht immer so eindeutig ist, wer wirklich Täter, wer Mittäter ist. Es hilft mir sehr zu glauben, dass es am Ende Gott ist, der weiß, wer wie schuldig geworden ist.“  | Foto: Sandra Lobnig
Schwester Anna Mayrhofer  | Foto: Sandra Lobnig
Autor:

Sandra Lobnig aus Wien & NÖ-Ost | Der SONNTAG

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