Assistierter Suizid
Tabubruch – die straflose Beihilfe zum Suizid

Die Vision: An der Hand und nicht durch die Hand eines anderen Menschen sterben dürfen. | Foto: Oberhaeuser/Caro/picturedesk.com
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  • Die Vision: An der Hand und nicht durch die Hand eines anderen Menschen sterben dürfen.
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Der Gesetzesentwurf zum assistierten Suizid birgt Chancen, aber auch eine Menge Gefahren, ist der Tiroler Anwalt Ivo W. Greiter überzeugt. Er befürchtet eine „Fristenlösung im Alter“, wo das Leben der alten Menschen nur mehr wenig zählt.

Für ein Gesetz mit dieser Tragweite ist die Begutachtungsfrist von drei Wochen, also bis 12. November, viel zu kurz. Die Regierungsparteien hatten ja seit 11. Dezember 2020 Zeit, sich auf das Urteil und die Konsequenzen daraus vorzubereiten“, sagt der Tiroler Rechtsanwalt Ivo W. Greiter im Interview mit dem SONNTAG.

1. Wie zufrieden sind Sie mit dem jetzt vorliegenden Gesetzesentwurf zum assistierten Suizid?

  • Das Gesetz über die Errichtung von Sterbeverfügungen ist in vielen Ansätzen sehr gut.
  • Vor allem wird das Thema Sterben aus dem Graubereich herausgenommen und die Abläufe der Beihilfe genau geregelt.
  • Trotzdem müssen einige wenige Punkte scharf kritisiert und erheblich verbessert werden.

2. Welche Chancen sehen Sie dabei, welche Gefahren?

a) Chancen: Die Grundlagen werden eindeutig und klar festgehalten:

  • Es wird der „dauerhafte, freie und selbstbestimmte Entschluss“ als Voraussetzung eindeutig eingefordert (§ 1. Zif. 1).
  • Der Sterbewillige muss eindeutig sowohl bei der Aufklärung als auch bei der Errichtung „volljährig und entscheidungsfähig“ sein (6. Zif. 1).
  • Dies wird nochmals zusätzlich festgehalten: „Entscheidungsfähigkeit muss zweifelsfrei gegeben sein“ (§ 6. Zif. 1, letzter Satz).

b) Gefahren: Der Entwurf des Gesetzes bringt für Österreich einen Dammbruch:

  • Durch die Straffreiheit der Beihilfe zum Selbstmord wird in Österreich ein Tabu gebrochen: Der Selbstmord wurde von der Gesellschaft, vom Staat bisher möglichst verhindert. Der gerettete Selbstmörder wurde nicht wegen seines Versuches bestraft. Jetzt erlaubt der Staat die straflose Beihilfe zum Selbstmord und bricht damit ein Tabu.
  • Damit kann sich die Gesellschaft langsam daran gewöhnen, dass die Beendigung des Lebens im Wege der Sterbehilfe ein normaler Vorgang wird. In der Folge können weitere Dämme gebrochen werden, ohne dass es viel Aufregung und Widerstände gibt.

3. Warum befürchten Sie in Ihrem Buch eine „Fristenlösung im Alter“?

  • Im November 1973 hat der Österreichische Nationalrat mit 5 Stimmen Mehrheit die Fristenlösung für Ungeborene beschlossen. Seit 1. Jänner 1975 ist die Tötung eines Embryos in den ersten drei Monaten nach der Empfängnis im Rahmen der „Fristenlösung“ straffrei möglich. Das im Jänner 1976 vorgelegte Volksbegehren über den Schutz menschlichen Lebens mit 895.665 Unterschriften, das damals größte Volksbegehren, wurde vom Nationalrat abgelehnt. Die Gesellschaft gewöhnte sich an die neue Regelung. Die zwei Parteien, die seinerzeit im Nationalrat gegen die Fristenlösung gestimmt hatten, bekamen dann 1999 bei der Nationalratswahl die Mehrheit. Doch keine der beiden Parteien dachte jetzt daran, die Fristenlösung rückgängig zu machen. Auch die Kirchen und sonstigen Gemeinschaften, die bisher engagiert gegen die Fristenlösung gekämpft hatten, entfalteten keine ernsthaften Initiativen mehr für die Abschaffung der Fristenlösung.
  • Und ähnlich könnte es bei der Fristenlösung für die Alten kommen. In den Niederlanden, Belgien und Luxemburg ist die Tötung alter Menschen unter bestimmten Voraussetzungen schon erlaubt. Es ist langfristig gesehen eine zunehmende Entsolidarisierung mit den Alten und mit den Menschen, die nicht arbeitsfähig sind, zu befürchten.
  • Denkbar ist, dass man die Beendigung des Lebens eines Menschen befürwortet, der ein gewisses Alter überschritten hat, weil er ausreichend, also lange genug, gelebt hat.
  • Durch ihr Wahlrecht sind die Alten derzeit weitgehend davor geschützt, dass sie im politischen Kräftespiel einfach an die Wand gedrängt werden können. Aber Überlegungen in die Richtung der Entmachtung der Alten gibt es immer wieder: zB ein Politikwissenschaftler, der 2010 vorschlug, zehn Jahre nach Pensionseintritt das Wahlrecht verfallen zu lassen, oder Huib Drion, der vorschlug, jedem Menschen über 75 Jahre eine tödliche Tablette für das Nachtkastl zuzusenden. Beide Vorschläge wurden teilweise heftig diskutiert, aber dann doch nicht umgesetzt.

4. Was befürchten Sie in diesem Zusammenhang im Hinblick auf die Erfahrungen aus Staaten wie den Niederlanden, Belgien und der Schweiz?

  • Meine grundsätzliche Befürchtung geht in die Richtung, dass man, wenn der Damm einmal gebrochen ist, Änderungen in den Gesetzen oder einfach in der Interpretation des Gesetzestextes veranlasst. Dies ermöglicht eine Entwicklung, die für uns heute noch unvorstellbar ist.
  • Seit 2002 gibt es in den Niederlanden einen rasanten Anstieg der mit der Freigabe der Sterbehilfe zusammenhängenden Todesfälle. 2016 wurden ohne ihre ausdrückliche Zustimmung über 400 Patienten getötet.
  • 2017 warnten 200 holländische Ärzte in einer gemeinsamen Erklärung, die gesetzlichen Schutzmaßnahmen würden langsam brechen. Viele Menschen mit Demenzkrankheit und psychiatrische Patienten würden ohne tatsächliche mündliche Zustimmung getötet;
  • Aus Protest gegen die ausufernde Zahl von Demenzpatienten, die in den Niederlanden durch Euthanasie getötet werden, ist die Medizinerin Berna von Baarsen aus der Kontrollkommission zurückgetreten. Sie könne den deutlichen Wandel in der Auslegung der Euthanasie-Gesetze hin zu tödlichen Injektionen für Menschen mit Altersdemenz nicht mittragen;
  • Der Ethiker Theo Boer von der Universität Groningen trat aus der niederländischen Prüfungskommission für Sterbehilfe aus, weil ihm die Kontrolle der Freiwilligkeit zu wenig genau war;
  • In Belgien gibt es seit Februar 2014 als erstem Land weltweit keine Mindestaltersgrenze für aktive Sterbehilfe. Also ist auch Sterbehilfe für Kinder erlaubt, wenn diese „unheilbar krank“ sind, „unerträglich leiden“ und sie und ihre Eltern dies wünschen.
  • Irgendwann hat man in der Schweiz angefangen, psychisch Kranke hineinzunehmen, dann Demenzbetroffene. Der nächste Schritt, der jetzt [2020] angestrebt wird, ist der Altersfreitod, hier reicht es alt und „lebenssatt“ zu sein, so Raimund Klesse, Präsident der Schweizer Hippokratischen Gesellschaft;

5. Wie kann, wie soll die katholische Kirche auf den Gesetzesentwurf reagieren? Was soll sie unbedingt einfordern?

  • dass die Sterbeverfügung vor einem Richter - und nur vor einem Richter - zu errichten ist; [wem dies zu umständlich erscheint: es geht um ein Menschenleben! In der Psychiatrie einer Klinik muss die Auflage einer Fußmatte vor dem Patientenbett mit Alarmauslösung beim Betreten durch den Patienten, in jedem Einzelfall von einem Richter gerichtlich genehmigt werden. Der Richter spricht mit dem Patienten, um diese Beseitigung der Freiheit dann zu genehmigen. Um wie viel mehr ist die Beseitigung eines Menschen gerichtlich zu genehmigen!]
  • dass niemand „Hilfe leistende Person“ (§ 3. 3.) sein darf, der als Erbe in Frage kommt;
  • dass gegen niemanden, der sich für das Leben einsetzt, Schadenersatzansprüche geltend gemacht werden können;
  • dass die Entscheidungsfähigkeit bei Personen, die bewusstlos sind, im Koma liegen oder dement sind, zweifelsfrei nicht gegeben ist; (§ 6. (1)), [dies um spätere Uminterpretationen des klaren Entwurfs des Gesetzes zu verhindern];
  • was genau unter den Begriff der „schweren, dauerhaften Krankheit (§ 6. (3) 2.) fällt, um zu verhindern, dass fast alle Behinderten darunter fallen und von außen unter Druck gesetzt werden können;
  • Statt einer Bestrafung mit einer Verwaltungsstrafe, sollte auch die verbotene Werbung nach § 12 entsprechend dem Strafrahmen des § 78 im Strafgesetz und nicht nur als Verwaltungsübertretung verankert werden.
  • Die Liste über die Dokumentation und das Sterbeverfügungsregister sind jährlich und anonymisiert zu veröffentlichen.
  • Die Nichtrückgabe des Präparats im Falle der Aufgabe des Sterbewillens soll mit Strafe belegt werden, um das Horten und den Missbrauch des Präparats zu verhindern (§ 11. Zif. 3)

6. Sie haben sich jahrzehntelang mit dem Thema „Tod“ beschäftigt. Was haben Sie da „gelernt“?

  • Dass ich ein weitgehend angstfreies Leben habe, wenn ich den Tod als jederzeit möglich und selbstverständlich akzeptiere.
  • Dass, wenn einmal ein Tabu gebrochen ist, Ausweitungen unaufhaltsam und kontinuierlich weitergehen.
Die Vision: An der Hand und nicht durch die Hand eines anderen Menschen sterben dürfen. | Foto: Oberhaeuser/Caro/picturedesk.com
Ivo W. Greiter | Foto: privat
Autor:

Stefan Kronthaler aus Wien & NÖ-Ost | Der SONNTAG

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