Europäisches Corona-Hilfspaket
Mit Milliarden gegen die Krise

Die Staats- und Regierungschefs haben sich auf ein Corona-Hilfspaket geeinigt. | Foto: POOL / REUTERS / picturedesk.com
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Das EU-Finanzpaket gilt als historischer großer Wurf. Es beinhaltet zwar viele Kompromisse und auch einige offene Fragen, aber es ist tatsächlich gelungen, dass sich die Staats- und Regierungschefs der EU-Länder auf das größte Hilfspaket der europäischen Geschichte geeinigt haben. Die Katholische Sozialakademie Österreichs begrüßt diese Einigung im aktuellen Interview mit dem SONNTAG.

Insgesamt 91 Stunden haben die Staats- und Regierungschefs der EU über das europäische Corona-Hilfspaket sowie die Finanzplanung für die kommenden Jahre verhandelt. Nach zähem Ringen haben sich die Politiker auf einen mit 390 Milliarden Euro ausgestatteten Rettungsfonds sowie ein Kreditprogramm in Höhe von 360 Milliarden Euro verständigt, die die wirtschaftlichen Folgen in den besonders hart von der Pandemie getroffenen Mitgliedsstaaten abmildern sollen. Zudem einigten sie sich auf einen EU-Haushalt für die Jahre 2021 bis 2027 in Höhe von insgesamt 1.074 Millionen Euro. Davon sollen dreißig Prozent in Klimaschutz-Maßnahmen fließen.

Neben dem Finanzplan haben die Staats- und Regierungschefs der EU auch beschlossen, eine europäische CO2-Grenzsteuer einzuführen. Wer Produkte und Güter aus Staaten importiert, die weniger ambitionierte Klimaziele verfolgen, soll einen Aufschlag zahlen müssen. Ziel ist es, zu verhindern, dass Unternehmen ihre Produktion aus Europa in Länder mit niedrigeren Umweltstandards verlagern.

Ein gutes Zeichen mit Potential

Die Katholische Sozialakademie Österreichs (ksoe) sieht den Beschluss des EU-Gipfels grundsätzlich positiv: „Insgesamt ist es sehr zu begrüßen, dass es zu einer Einigung kam. Damit wird das Bestreben betont, eine gemeinsame Europäische Union zu formen: Für gemeinsame Probleme wie den Umgang mit einer Pandemie wurden gemeinschaftliche Lösungsstrategien gesucht und schließlich auch gefunden. Es ist ein gutes Zeichen, wenn beträchtliche Geldsummen bereitgestellt werden, um die größte Wirtschaftskrise der letzten Jahrzehnte meistern zu können.

Der wirtschaftliche Wiederaufbau soll durch Investitionen in die Zukunft – Ökologisierung, Digitalisierung und Forschung – sichergestellt werden. Sowohl aus sozialethischer wie auch aus wirtschaftlicher Sicht sind damit Potenziale verbunden“, erklärt Bernhard Leubolt von der ksoe im Interview mit dem SONNTAG.

Ob der Beschluss eines gemeinsamen europäischen Hilfspaketes der aktuellen Krise entgegenwirken kann, antwortet Leubolt: „In einer solchen Krisen-Situation entsteht Unsicherheit – nicht nur für Beschäftigte, auch für UnternehmerInnen. Wenn die Arbeitslosigkeit steigt, geht der gesellschaftliche Konsum zurück. Das wirkt sich negativ auf die Erwartungshaltung von Unternehmen aus, dass Investitionen sich rentieren können. Daher wird weniger investiert und die allgemeine Erwartungshaltung verschlechtert sich weiter.

Der Versuch, politisch und staatlich gegenzusteuern, ist ein Zeichen dafür, dass versucht wird, die Abwärtsspirale zu stoppen. Somit stellt sich aber nochmals deutlich die Frage, in welche Richtung gesteuert werden soll. Diese Frage verbindet wirtschaftliche mit sozialethischen Fragestellungen.“

Schwierig einzuschätzen

Als wissenschaftlicher Mitarbeiter der ksoe vertritt Bernhard Leubolt sehr stark die Position der Katholischen Soziallehre, quasi eine Art Ethik der Gesellschaft, die darüber reflektiert, welche sozialen Strukturen eine Gesellschaft braucht, damit alle Menschen gut in ihr leben können.

Aus diesem Blickpunkt analysiert Leubolt: „Gemessen an den Prinzipien der Katholischen Soziallehre suchte der Vorschlag des EU-Sondergipfels gewissermaßen dialogisch nach Kompromissen, um Solidarität und Gemeinwohl zu stärken und gleichzeitig die Subsidiarität zu wahren. Nachhaltigkeit wurde als wichtiges Thema generationenübergreifender Gerechtigkeit erkannt.

Viele Detailfragen offenbaren Widersprüche unserer Zeit: Sind Probleme vordergründig auf individueller oder nationalstaatlicher Ebene lösbar? Sollen Gelder als Beihilfen oder Kredite bereitgestellt werden? Wie viel Solidarität, wie viel Subsidiarität braucht es? Welche Art von Hilfestellung benötigen die kleineren Einheiten, um selbständig ihre Probleme lösen zu können? Vieles lässt sich aufs Erste nur schwer beurteilen.

Die grundsätzliche Richtung, international solidarische Lösungen zu finden, ist besonders positiv hervorstechend. Anlass zu Sorgen geben kritische Stimmen, die zu bedenken geben, dass der verhandelte Kompromiss vor allem auf Kosten von ,Investitionen in die Zukunft’ ging. “

Am deutlichsten spiegelt sich die Suche nach Kompromissen, dem gemeinsamen Nenner, wohl beim Umfang der Coronavirus-Hilfen wider: Zwar sind insgesamt wie geplant 750 Milliarden Euro Zuschüsse abgesegnet worden. Doch ursprünglich hätten 500 Milliarden Euro davon als Zuschüsse fließen sollen, die nicht zurückgezahlt werden müssen. Österreich, die Niederlande, Dänemark, Schweden und auch Finnland stemmten sich dagegen – letztlich einigte man sich auf 390 Milliarden Euro. Die restlichen 360 Milliarden Euro sollen als Kredite vergeben werden.

Ist eine „harte Linie“ sinnvoll?

Ist es gut, dass Österreich bei den EU-Verhandlungen eine „harte“ Linie gefahren ist, wie viele nationale und internationale Medien urteilen? Leubolt: „,Gut’ liegt immer im Ermessen der Betrachterin. In den Verhandlungen wirkte es, als ob Deutschland eine solidarischere Position vertrat als Österreich. Belange des Gemeinwohls sind stets kompliziert und schwer eindeutig zu beurteilen. Wirtschaftlich wirkt es auf den ersten Blick, als ob Sparsamkeit ein kluger Weg wäre. Gleichzeitig kann dieser Weg aber gerade die Wirtschaft besonders schädigen. Wenn eine Abwärtsspirale als Folge von negativen Erwartungen und ausbleibenden Investitionen einsetzt, gehen ,Sparpläne’ nach hinten los. Weniger staatliche Einnahmen als Folge der Krise würden Investitionen noch schwieriger machen.

Es ist also auch fraglich, ob ,die härtere Linie’ ökonomisch sinnvoll gewesen war – besonders in Hinblick auf die großen wirtschaftlichen Verflechtungen in der EU. Die letzten größeren Wirtschaftskrisen zeigten auf, dass Kredite und Verschuldung manche Probleme eher vertagen als lösen.“

Herausforderungen stehen an

Bernhard Leubolt von der ksoe sieht im EU-Finanzpaket einen grundlegenden positiven Schritt; fordert aber gleichzeitig ein generelles Umdenken angesichts der massiven Herausforderungen aufgrund der Corona-Krise: „Wir brauchen vor allem humanistische Lösungen im Umgang mit der gestiegenen Zahl an Arbeitslosen.

Nicht individuell die Arbeitslosen, sondern die Arbeitslosigkeitan sich ist das Problem. Wie kann das Problem solidarisch gelöst werden? Braucht es eine bessere finanzielle Absicherung, die z.B. ein bedingungsloses Grundeinkommen bieten könnte? Braucht es neue Modelle im Umgang mit Erwerbsarbeit und Arbeitszeit? Wie würde sich eine Arbeitszeitverkürzung auf den Arbeitsmarkt auswirken?

Papst Franziskus widmete sich in der Sozialenzyklika ,Laudato Sí’ diesen Themen im Zusammenhang mit der Frage der Nachhaltigkeit. Das vorherrschende ,techno-ökonomische Paradigma’ verlangt nach einer deutlichen Umkehr. Dafür braucht es viel mehr als EU-Hilfsgelder.

Es braucht neue nachhaltigere Sichtweisen auf Wohlstand, um den Weg in eine Zukunft beschreiten zu können, die Soziales, Umwelt und Wirtschaft nachhaltig verbindet.“

Die Staats- und Regierungschefs haben sich auf ein Corona-Hilfspaket geeinigt. | Foto: POOL / REUTERS / picturedesk.com
Dr. Bernhard Leubolt, Wissenschaftlicher Mitarbeiter, Katholische Sozialakademie Österreichs  | Foto: ksoe
Autor:

Michael Ausserer aus Wien & NÖ-Ost | Der SONNTAG

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