Den Advent riechen
Die Nase ist eine Kathedrale

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Die Schnupfenzeit hat begonnen und ebenso die Vorweihnachtszeit mit ihren herrlichen Düften und Aromen. Höchste Zeit, auf unsere Nase zu achten: Wir sprechen mit dem Mediziner und Geruchsforscher Johannes Frasnelli über neueste Erkenntnisse in der Riechforschung, über das „Wunder Nase“ und Tipps zur Erhaltung des Geruchsinns. Auch die Kirche hat mit Weihrauch und Kerzengeruch ihre typischen Duftnoten, wie sich der ehemalige Ministrant Frasnelli erinnert.

Die Zeit vor Weihnachten hält ein buntes Potpourrie an Wohlgerüchen für unsere Nase bereit: Frischer Tannenduft beim Adventkranz oder Christbaumkauf, der Geruch soeben aus dem Backrohr geholter Kekse oder das Aroma von Zimt, Gewürznelken und Orange bei einer Tasse Punsch. Ein Fest für jede Nase, doch nicht alle können dieses genießen, wie der Mediziner und Geruchsforscher Johannes Frasnelli im Gespräch mit dem SONNTAG ausführt. Der Arzt sprach mit uns über die neuesten Erkenntnisse der Riechforschung, Beeinträchtigungen des Geruchsinns und wie wir unsere Nase schützen und uns unser Riechvermögen erhalten können.

Mit Vollbart, bedachter Sprechweise und klarem Blick macht Johannes Frasnelli den Eindruck eines typischen Wissenschaftlers. Der 1974 in Südtirol geborene Mediziner ist Riechforscher an der Universität Québec Trois-Rivières, Kanada. Soeben ist sein Buch „Wir riechen besser als wir denken“ erschienen. Frasnelli bringt darin unterhaltsam und gut verständlich das noch weitgehend unbekannte Gebiet der Riechforschung näher.
„Wir Menschen besitzen ungefähr 400 verschiedene Riech-Rezeptoren. Das sind jene Strukturen auf Zellen in unserem Nasendach, die Duftmoleküle aus der Luft als elektrischen Reiz an das Gehirn weiterleiten“, erklärt Johannes Frasnelli. „Dieser elektrische Reiz gelangt an die Großhirnrinde und dann nehmen wir den Duft wahr.“ Diese große Anzahl an Riechrezeptoren macht den Geruchsinn einzigartig. „Beim Sehen haben wir nur vier verschiedene Rezeptoren: einen für das Schwarz-Weiß-Sehen, drei für grün, rot und blau. Beim Reichen haben wir 400 verschiedene. Deshalb können wir wahrscheinlich Milliarden von Gerüchen voneinander unterscheiden“, sagt der Geruchsforscher.

Warum das Riechen so wichtig ist

Magisch am Geruchsinn ist, dass er geistige Zeitreisen möglich macht, wie Johannes Frasnelli erklärt. Der Duft von Weihrauch und ausgelöschten Kerzen erinnert den Forscher bis heute an seine Kindheit, als er in der Kirche seines Dorfes ministrierte. „Es ist nicht nur so, dass Gerüche uns an etwas erinnern, sondern man wird wie in einer Zeitreise in den Moment zurückversetzt, als man diesem Geruch begegnete“, führt Frasnelli aus. Grund dafür ist, dass der Geruchsinn neuroanatomisch anders aufgebaut ist als die anderen Sinne. „Die Riechinformation wird im limbischen System des Gehirns verarbeitet. Dieses ist auch für die Inhalte des Gedächtnisses, für das Lernen, für Emotionen und für Gefühle zuständig. D. h. wenn wir in einem emotionalen Moment Gerüche wahrgenommen haben, dann kann es leichter passieren, dass wir wieder in diesen Moment hineinversetzt werden, wenn wir diesen Geruch wieder riechen.“

Der Geruchsinn erfüllt drei wichtige Funktionen, wie Prof. Johannes Frasnelli erklärt: „1. Er warnt uns z. B. vor verdorbenen Lebensmitteln, fauligem Wasser in einem Badeteich, bei Gasaustritt oder Feuergefahr. 2. Er hilft Nahrungsquellen auszumachen (wichtig für Neugeborene beim Stillen) und ist wichtig für den Genuss und die Freude am Essen. 3. Wir kommunizieren auch über Körpergerüche. Sie sind wichtig im Zwischenmenschlichen, besonders zwischen Partnern sowie zwischen Eltern und Kindern.“ So hat die Forschung herausgefunden, dass der Geruch von Neugeborenen bei Frauen die Belohnungszentren im Gehirn aktiviert, d. h. der Geruch der Babys hat eine stark belohnende Wirkung auf die Frauen. „Das bedeutet, dass es hier wirklich zu einer Bindung kommt zwischen den Neugeborenen und jenen, die sich um sie kümmern“, erklärt der Forscher.

Verlust des Geruchsinns

Nicht alle Menschen können die Wohlgerüche der Vorweihnachtszeit genießen. „Es gibt relativ viele Menschen, die ein Problem mit dem Geruchsinn haben“, sagt der Mediziner. Die Gründe dafür sind unterschiedlich: Chronische Nasennebenhöhlentzündungen, Polypen, die den Zugang der Duftstoffe zu den Riechnervenzellen verlegen, ein Schädel-Hirn-Trauma oder Viruserkrankungen können zu einem dauerhaften Verlust des Geruchsinns führen. Frasnelli und sein Team forschen auch daran, dass ein Verlust des Geruchsinns ein Frühanzeiger für spätere Erkrankungen wie Parkinson und Alzheimer sein könnte.
Um Schnupfen abzuwehren, empfiehlt der Arzt, sich nicht in zu trockener Luft aufzuhalten und in Viruszeiten häufig die Hände zu waschen. Ist der Geruchsinn einmal verloren gegangen oder geschädigt, kann ein mehrwöchiges Riechtraining helfen.

Der Duft des Glaubens

Johannes Frasnelli vergleicht die Nase gern mit einer Kathedrale: „Die Nase nimmt relativ viel Platz ein, aber ihr Eingang, die Nasenlöcher, sind klein, das ist, wie wenn man vor einer Kathedrale steht. Wenn man dann gedanklich in die Kathedrale bzw. Nase hineingeht, dann öffnet sich das, ist am Anfang schmal, geht dann ganz weit nach hinten durch und ganz hoch hinauf.“ Und so wie alte Kirchen in ihrer Achse häufig gekrümmt seien, sei auch die Nasenscheidewand bei vielen Menschen leicht gekrümmt.

Nach jüdischer Weisheitslehre ist der Geruchsinn jener Sinn des Menschen, der nicht durch die Sünde des Menschen geschädigt ist. Er wird als spirituelle Brücke zwischen Gott und Mensch verstanden. In der katholischen Liturgie ist Weihrauch unverzichtbar und bedeutet zugleich Gebet, Verehrung und Reinigung. Von der Vorweihnachtszeit bis zum Fest der Heiligen Drei Könige dürfen wir diesen „Duft des Glaubens“ besonders genießen und als spirituelle Brücke nützen.

Autor:

Agathe Lauber-Gansterer aus Wien & NÖ-Ost | Der SONNTAG

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