Gedanken zum Evangelium: 5. Fastensonntag
Ohne Sünde?

Einsicht führt zur Umkehr. | Foto: iStock/energyy

Die Schriftgelehrten und Pharisäer wollen Jesus eine Falle stellen. Deshalb bringen sie eine Ehebrecherin zu ihm und fragen, was sie mit ihr tun sollen. Die vorgesehene Strafe wäre Steinigung. Der Rest der Szene läuft aber anders ab, als sie erwartet hatten, denn Jesus reagiert unerwartet. Wer ohne Sünde sei, solle den ersten Stein werfen. Und plötzlich gehen sie alle weg. Kein einziger bleibt übrig, um die Frau zu verurteilen.

In meiner seelsorglichen Tätig­keit begegnen mir, was das Sündenbewusstsein betrifft, oft zwei Arten von Menschen. Da gibt es jene, die sich selbst für ganz arge Sünder halten. Für sie ist jede Kleinigkeit eine schwere Sünde. Sie haben ständig ein schlechtes Gewissen, gehen oft beichten, fühlen sich aber dadurch nicht erleichtert. Sie sind getrieben von großer Angst um ihr Seelenheil. Auch Martin Luther war von großer Heilsangst getrieben und fürchtete sich vor einem strafenden Gott. Er dachte, kein Mensch auf Erden, sei er auch noch so rechtschaffen, könne je vor Gott bestehen. Er selbst wähnte sich permanent in Sünde – obwohl sein eigener Ordensoberer Johann von Staupitz ihm immer wieder ins Gewissen redete: „Du willst ohne Sünde sein und hast doch keine rechte Sünde; Christus ist die Vergebung … soll Christus Dir helfen; musst nicht mit solchem Humpelwerk und Puppensünden umgehen und aus einem jeglichen Bombart eine Sünde machen!“ Doch Luther fand erst durch sein eigenes Bibelstudium seinen „gnädigen Gott“ – einen Gott, der viel größer ist als nur gerecht. Einen barmherzigen Gott.

Die zweite Art von Menschen sind jene, die im Gegensatz dazu quasi überhaupt kein Sündenbewusstsein mehr haben. Sie meinen, nichts falsch gemacht zu haben, nicht schuldig geworden zu sein – weder an sich noch an anderen, und schon gar nicht an Gott. Sie haben für alles eine Erklärung und Entschuldigung. Etwas überspitzt formuliert: Solange man niemanden umgebracht hat, ist ja alles in Ordnung, oder? In ihrem Wortschatz kommt das Wort „Sünde“, wenn überhaupt, nur noch im Zusammenhang mit Essen vor: „Na, heute Mittag habe ich wieder gesündigt …“ Sie haben den Blick dafür verloren, dass wir als Menschen die Verantwortung für unsere Freiheit und damit auch für unsere Entscheidungen und unser Verhalten tragen. Ihr Gewissen ist unempfindlich und stumpf geworden.

Haben Sie sich selbst schon zuordnen können? Ich bilde mir ja gerne ein, zu keiner dieser beiden Gruppen zu gehören. Wahrscheinlich pendle ich ein wenig zwischen den beiden Polen hin und her … Man hat ja so Phasen im Leben. Was mich aber immer wieder berührt, ist das heutige Evangelium. Nicht nur, weil die Ankläger plötzlich alle klammheimlich verschwinden. Sie haben offenbar doch das Bewusstsein, dass niemand ohne Sünde ist. Besonders aber berührt mich das Wort Jesu: „Auch ich verurteile dich nicht.“ Allein dieser eine Satz kann uns alle Heilsangst nehmen, wenn wir wissen, dass er auch uns gilt. Obwohl auch ich nicht ohne Sünde bin, verurteilt Jesus mich nicht. Aber er sagt dazu: „Geh und sündige von jetzt an nicht mehr.“ Ich will es mir zu Herzen nehmen.

Autor:

Franziska Madl aus Wien & NÖ-Ost | Der SONNTAG

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