Wien, Berggasse 19
Wo Freud träumte, forschte und die Flucht ergriff

Monika Pessler ist Direktorin des Sigmund Freud Museums. Rechts: ein Buch Freuds aus der Ausstellung.  | Foto: APA/Neubauer & Schneider Xinhua - Montage EDW
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Am 23. September wird Bundespräsident Alexander van der Bellen das renovierte und erweiterte Sigmund Freud Museum festlich eröffnen. Ab 18. September ist der Film „Sigmund Freud. Jude ohne Gott“ in unseren Kinos zu sehen.

Wien IX, Berggasse 19. An dieser Adresse lebte Sigmund Freud 47 Jahre, ehe er 1938 vor den Nationalsozialisten fliehen musste. Hier praktizierte er als Arzt und Neurologe, entwickelte seine bahnbrechenden Forschungen zur menschlichen Psyche, verfasste zahlreiche Schriften wie die „Die Traumdeutung“ sowie rund 20.000 Briefe. In der Berggasse 19 wurden aber auch die meisten seiner sechs Kinder geboren, als jüngste seine Tochter Anna Freud, die ihm bis zu seinem Tod zur Seite stand.

„Bis zum heutigen Tag birgt das Sigmund Freud Museum in der Wiener Berggasse ein unverwechselbares Erbe, das dem kollektiven Gedächtnis als ein bedeutender Erinnerungsfaktor eingeschrieben ist – und dies in zweierlei Hinsicht: als Ursprungsort der Psychoanalyse, welche dem Menschen zu Beginn des vorigen Jahrhunderts eine neue Selbstsicht eröffnete, und als Mahnmal, das den Verlust von Kultur und Menschlichkeit unter dem Terrorregime des Nationalsozialismus ins Gedächtnis ruft“, sagt die Direktorin des Sigmund Freud Museums, Monika Pessler.

Ursprungsort der Psychoanalyse
2020 öffnet das seit 1971 bestehende Sigmund Freud Museum nach umfangreichen Renovierungs- und Erweiterungsmaßnahmen wieder seine Pforten. Erstmals sind alle Privaträume der Familie zugänglich, neue Dauerausstellungen machen die Entwicklung der Psychoanalyse, das Familienleben der Freuds und die Geschichte des Hauses erlebbar.

Ein Besuch im renovierten und erweiterten Museum lohnt sich. Die im Original erhaltenen Raumstrukturen der Wirkungsstätte Freuds ermöglichen ein authentisches Erleben des Ursprungsortes der Psychoanalyse. Das Museum führt atmosphärisch wie informativ in das Leben und Wirken Sigmund Freuds (1856-1939) ein: Beginnend vom Herrenzimmer, in dem Freud regelmäßig mit Forscherkollegen diskutierte, über das Schlafzimmer, in dem Freud jene Träume träumte, die er für Analyse- und Forschungszwecke penibel aufschrieb, bis hin zum berühmten Behandlungszimmer, in dem der Arzt seine Patientinnen psychoanalytischen Sitzungen unterzog.

Die berühmte Couch fehlt allerdings (sie befindet sich heute im Sigmund Freud Museum in London): „Die Leerstelle, die in Freuds Behandlungsraum seit seiner Flucht vor den Nationalsozialisten zurückblieb, trägt den Verweis auf den dunklen Verlauf der Geschichte deutlich in sich“, erklärt Museumsdirektorin Monika Pessler. Die Kombination aus Leerstellen (die Räume sind z. T. fast leer) und Informationen (Schaukästen mit Texten, Fotos und Originalexponaten – mit ergonomischen, eingebuchteten Balken zum Aufstützen, die das Lesen und Schauen angenehm machen) erzeugen im Besucher ein produktives „Kopfkino“ zum Leben und Wirken Freuds, das keinerlei virtueller Hilfsmittel bedarf. Dieser gelungenen musealen Reise in die Vergangenheit kann man sich auch 81 Jahre nach Freuds Tod kaum entziehen.

Filmisches Porträt Freuds im Kino
Apropos „Kino“: Fast zeitgleich mit der festlichen Eröffnung des Sigmund Freud Museums startet der Film „Sigmund Freud. Jude ohne Gott“ des französischen Regisseurs David Teboul in unseren Kinos: Er ist ein intimes Porträt, das – auch aus der Perspektive von Tochter Anna Freud erzählt – auf Freuds Korrespondenzen und Texten basiert.

Archivbilder und historische private Filmaufnahmen vergegenwärtigen Freud nicht nur als genialen Denker, sondern auch als Privat- und Familienmenschen in all seinen Facetten. Erzählt wird von seiner Liebe zu Spaziergängen und Chow-Chow-Hunden bis hin zu seiner Flucht vor den Nationalsozialisten und seiner schweren Krebserkrankung.

Der Film kreist auch um die jüdische Identität Freuds und den Einfluss der von Rabbiner Ludwig Philippson kommentierten Bibel, die Freud als Kind prägte. „Mit meinem Film möchte ich Freud als Denker in den Vordergrund rücken und seine Beziehung zu seinem Judentum betrachten, die Psychoanalyse ausklammern und gleichzeitig ein Werk schaffen, das in seinem Wesen einer Freud’schen Therapiestunde gleicht“, sagt Regisseur David Teboul.

Beeindruckend ist auch, wie in der deutschen Version Johannes Silberschneider Sigmund Freud seine Stimme leiht, Birgit Minichmayr spricht die Texte Anna Freuds. Eine gute Wahl, die dieser filmischen „talking cure“ (Gesprächstherapie) große Kraft gibt.

Autor:

Agathe Lauber-Gansterer aus Wien & NÖ-Ost | Der SONNTAG

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