Von der Grenze im Norden bis zur Buckligen Welt
Über Entstehung und Geschichte der drei Vikariate

12Bilder

Vor mehr als 50 Jahren wurde die Erzdiözese Wien in drei Teilgebiete, die Vikariate Wien-Stadt, Unter dem Manhartsberg und Unter dem Wienerwald aufgeteilt; am 1. September 1969 traten die ersten drei Bischofsvikare Franz Stubenvoll (für das Vikariat Unter dem Manhartsberg), Franz Steiner (für das Vikariat Wien-Stadt) und Florian Kuntner (für das Vikariat Unter dem Wienerwald) ihr Amt an. - Das Jubiläum 100 Jahre Bundesland Niederöstereich - immerhin liegen mit dem Wein- und dem Industrieviertel flächenmäßig drei Viertel der Erzdiözese Wien in Niederösterreich - bietet Gelegenheit, auf die Anfänge des Bundeslandes und der (Land)Vikariate zurückzublicken. 

Die Vikariate waren eine Frucht des Konzils: Schon dort wurde angeregt, große Diözesen in Regionen zu teilen, um so in der Pastoral besser auf die jeweiligen wirtschaftlichen, soziologischen und geschichtlichen Gegebenheiten eingehen zu können. Die Wiener Diözesansynode, die unter Leitung von Erzbischof Dr. Franz Jachym die Ergebnisse des Konzils für die Erzdiözese umsetzen wollte, hat diesen Gedanken aufgegriffen: Schon bei ihrer ersten Sitzung im Jänner 1969 beschloss sie die Teilung der Diözese. Die beiden Landvikariate entsprachen dabei den bereits Bestehenden, „Erzdekanaten“, das Vikariat Wien-Stadt dem Bundesland Wien. „So gelang es uns, die Kirche an der Basis präsenter zu machen", berichtete etwa Weihbischof Kuntner, damals, „Bischofsvikar der ersten Stunde“. Dem Vikar als „verlängertem Arm“ des Bischofs sei es leichter möglich gewesen, intensive Kontakte zu Priestern und Laien herzustellen. „Zu meiner Aufgabe als Bischofsvikar gehörte es aber vor allem, „Klagemauer“ für die vielfaltigsten Anliegen zu sein“ erinnerte sich Kuntner1989. Auch die einzelnen Gliederungen der Katholischen Aktion erlangten in diesen Jahren besondere Bedeutung.
1989 - anlässlich des 20-Jahr-Jubiläums der Vikariate, erinnerte sich Alterzbischof Kardinal König an die ersten Jahre:

Erinnerungen an die Geburt der Vikariate

Die Einteilung unserer großen Wiener Erzdiözese in drei Vikariate war eine der ersten - und bleibenden - Früchte der letzten Wiener Diözesansynode von 1969/71. - In der Folge erinnert sich Kardinal Dr. Franz König 1989 an die Anfänge zwanzig Jahre davor.

Die Synode hat mit dieser Einteilung einen Gedanken des Zweiten Vatikanischen Konzils aufgegriffen. Dort war angeregt worden, sehr große Diözesen in Regionen einzuteilen, damit die Seelsorge besser den unterschiedlichen lokalen Gegebenheiten entsprechen kann. Denn so verfügte bereits das Konzilsdekret über die „Hirtenaufgabe der Bischöfe in der Kirche“: „So oft aber die rechte Leitung der Diözese es erfordert, können vom Bischof ein oder mehrere bischöfliche Vikare bestellt werden. Sie besitzen von Rechts wegen in einem bestimmten Teil der Diözese oder in einem bestimmten Geschäftsbereich ... jene Gewalt, die das allgemeine Recht dem Generalvikar zuerkennt.“

Dies wurde in der Gesamtdarstellung des neuen Kirchenrechtes von Hugo Schwendenwein zum Anlass genommen. um auf das Beispiel der Wiener Erzdiözese hinzuweisen: „So ist z. B. die Erzdiözese Wien in drei Gebietsteile gegliedert (Stadt Wien, Nördlich d. Donau. Südlich d. Donau), deren jeder einem Bischofsvikar anvertraut ist.“

Dezentralisierung sowie „Kollegialität"

Es ging damals unter anderem auch darum, den Abstand zwischen der Kirchenleitung dem „Stephansplatz“ und den Priestern, Ordenschristen und Laien, die an „vorderster Front“ stehen (um dieses militärische Bild zu gebrauchen), zu verkleinern. Damit sollte eine Dezentralisierung nach dem Prinzip der „Kollegialität“ eingeführt werden, das beim Konzil für die Weltkirche wiederbelebt worden war.

Wenn ich - als damals die Verantwortung tragender Bischof - 20 Jahre zurückblicke, so war die Zeit um 1969 eine sehr bewegte. Der Abschluss des Zweiten Vatikanischen Konzils lag erst wenige Jahre zurück, die Kirche befand sich in einem gewaltigen Gärungsprozess. 1969, als die Vikariate geschaffen wurden, ist ein Buch erschienen, aus dem ich zitieren möchte, weil es sehr schön die Situation von damals zum Ausdruck bringt: „Über die Botschaft des Evangeliums, die immer neu und allzeit aktuell ist, bestand bei Johannes XXIII. nicht der geringste Zweifel, wohl aber über die Art, in welcher die Kirche diese Botschaft den Menschen vermittelte. Alle Konzilsdokumente lehren uns eindeutig, unseren Stil zu ändern, und es besteht kein Zweifel, wie unser Stil beschaffen sein soll.

Mitwirkung, Verantwortung, Freiheit, Toleranz, die Einstellung des Dienens und die Bereitschaft zum Dialog sollen ihn kennzeichnen. All diese Werte müssen aber ein Stück von uns werden, man kann ihre Annahme weder anordnen noch erzwingen. Bis aber diese Werte im Leben all jener wirksam geworden sind, die für das Zeugnis der Kirche verantwortlich sind - dass heißt im Leben aller Christen -, werden wir noch eine Periode der
Verwirrung, Angst, Frustration und Spannung durchmachen müssen."

Spannungen schon immer schmerzhaft

So war es nicht verwunderlich, dass damals in der Zeit der Wiener Diözesansynode die Spannungen auch in unserer Wiener Erzdiözese schmerzhaft spürbar waren. Als die drei ersten Bischofsvikare in ihr Amt eingeführt wurden - es waren der schon verstorbene Prälat Franz Steiner für das Vikariat Wien-Stadt, der heutige Prälat Franz Stubenvoll für das Vikariat Unter dem Manhartsberg und der heutige Weihbischof Florian Kuntner für das Vikariat Unter dem Wienerwald -, habe ich damals davon gesprochen, dass es sich bei der Errichtung der Vikariate um einen Versuch handle, im Sinne des Konzils neue Wege zu beschreiten. Ich habe daran erinnert, dass Versuche in der Kirche immer nötig sein werden, soweit es um das menschliche und nicht um das göttliche Element in der Kirche geht.

Die Suche nach neuen Wegen in der Kirche war Ende der Sechziger Jahre der Streitpunkt. Da waren die einen, die die Kirche nur im Blickwinkel der Tradition sehen wollten, so wie sie diese Tradition kennengelernt hatten: Die Kirche als Fels, als uneinnehmbare „Stadt auf dem Berge“, ein eindrucksvolles Bild, das Generationen gestärkt hat. Und da waren die anderen, denen dieses Bild nicht mehr genügte, die erkannt hatten, dass der Glaube pulsierendes Leben sein und sich entfalten muss. Und dass jede Generation den Glauben neu zu durchdenken und neu zu durchdringen hat.

Die Auseinandersetzung hatte Unruhe gebracht, aber nicht sie schien mir das eigentlich Beunruhigende. sondern die Formen der Auseinandersetzung. Es bestand die Gefahr eines Verlustes der Mitte, einer Verhärtung der Positionen. Unter den sogenannten „Konservativen“ waren nicht wenige, die gar nicht „conservare“, also bewahren, sondern zurückdrehen wollten. Für sie waren die Bischöfe Irrlehrer und das Konzil „Teufelswerk“. Und unter den sogenannten „Progressiven“ gab es auch nicht wenige Schwärmer, die ein „religionsloses“, zur bloßen Sozialtechnik verkümmertes Christentum anstrebten und eine Theologie vertraten, die Gott seines Geheimnisses berauben wollte. Darum habe ich damals auch bei der Amtseinführung der drei Vikare darauf Bezug genommen und darauf hingewiesen, dass die Mitte keine geometrisch mit dem Zentimetermaß zu bestimmende Linie zwischen sogenannten „Konservativen“ und so· genannten "Fortschrittlichen“ ist. Es geht nicht um eine Mitte der Unbeweglichkeit, sondern um eine Mitte, die mit dem Weg der Kirche in das dritte Jahrtausend ernst macht, den das Zweite Vatikanische Konzil sehr mutig beschritten hat. Diese Mitte des Verständnisses, der Hilfsbereitschaft, der Toleranz und des Gesprächs ist eine Mitte echten Glaubens, christlicher Hoffnung und eine Liebe ohne Falsch.

Vieles, was uns damals bei der Schaffung der Vikariate der Erzdiözese Wien bewegt hat, scheint heute wieder zum Problem geworden zu sein. Immer aber, damals wie heute, gilt: Wir müssen in diesen verworrenen Zeiten zutiefst überzeugt sein, dass die Kirche eine göttliche Stiftung ist, dass der Geist Gottes seine Kirche nicht im Stich lässt, auch wenn Er sie auf die Wüstenwanderung führt. Mit diesem Glauben müssen die Demut und die Bereitschaft gepaart sein, die eigenen Irrtümer im Licht Gottes zu erkennen und sich an Seinem Wort, das Er der Kirche anvertraut hat, zu orientieren. Die Kirche wird in ihrer menschlichen Gestalt immer wieder Anlass zu Kritik geben. Wenn selbst Paulus in der ersten Zeit der Kirche die Missstände der Korinther beim Herrenmahl (1 Kor 11,26 ff.), den Streit der Christen vor den heidnischen Richtern (1 Korr 6,1 ff.) als Anlass sah, um einzugreifen; oder wenn Paulus sich der Wiederversöhnung der zerstrittenen Gemeinschaft von Korinth zuwenden musste (2 Kor 7,1 ff.) oder sich mit seinen Gegnern in leidenschaftlicher Form auseinanderzusetzen hatte in der Gemeinde der Galater (Gal 1,9), so dürfen wir uns nicht wundern, wenn heute der menschliche Aspekt der Kirche Anlass zu Differenzen gibt.

Das Wesen des Glaubens, die Grundlage ihrer Existenz, kann durch Kritik nicht erschüttert werden, auch dann nicht, wenn es im Bereich des Glaubens selbst Unruhe gibt. Eine solche Unruhe gehört nun einmal zum Leben des Christen. Es kann nur eine Unruhe zum Heil und nicht zum Ruin sein. Denn Christus ist bei Seiner Kirche, auch wenn die Wogen hochgehen ...             Dr. Franz König, Alterzbischof

Der politische Neuanfang erfolgte 1918 im Landhaus der niederösterreichischen Stände in der Wiener Herrengasse.

Ein Jahrhundert Niederösterreich - ein Grund zum Feiern

2022 feiert Niederösterreich seinen 100. Geburtstag als eigenständiges Bundesland. Ausgangspunkt dazu war das Trennungsgesetz für Wien und Niederösterreich, das am 1. Jänner 1922 in Kraft getreten ist.

Niederösterreich ist historisch eng mit der Geschichte Österreichs und Europas verknüpft. Der Ursprung Österreichs liegt in Niederösterreich. Die berühmte Ostarrichi-Urkunde aus dem Jahr 996 mit der ersten Erwähnung des Namens „Österreich“ zeigt, dass (Nieder-)Österreich in weiterer Folge namensgebend für ganz Ö sterreich wurde. Die nach dem Sieg auf dem Lechfeld 995 gegründete Ottonische Mark gelangte 976 an die Babenberger, die bis Mitte des 11. Jahrhunderts ihr Herrschaftsgebiet bis an die Flüsse Thaya, March und Leitha ausdehnten. Im 12. Jahrhundert wurde das Waldviertel erschlossen und Teil der Mark.

1156 erhob Kaiser Friedrich I., genannt Barbarossa, auf einem Reichstag zu Regensburg mit dem sogenannten „Privilegium minus“ die Markgrafschaft – im Wesentlichen das Gebiet des heutigen Niederösterreichs und kleinere Teile von Oberösterreich – zum Herzogtum. Der Sieg Rudolfs von Habsburg über König Ottokar II. Premysl von Böhmen bei Dürnkrut und Jedenspeigen am 26. August 1278 hatte die Belehnung der Habsburger mit dem Land unter der Enns (1282) und deren Herrschaft bis zum Ende der Monarchie 1918 zur Folge.

Schwieriger Neubeginn

Als 1918 die österreichisch-ungarische Monarchie zerfiel, entstand Niederösterreich als größter und bevölkerungsreichster Bestandteil der Republik Österreich. Der politische Neuanfang des Staates wie des Landes erfolgte im Landhaus der niederösterreichischen Stände in der Wiener Herrengasse, wo sich die provisorische Nationalversammlung konstituierte und am 30. Oktober 1918 den neuen Staat gründete. Am 5. November 1918 bildete sich die provisorische Landesversammlung und schuf das Bundesland Niederösterreich, das damals Wien miteinschloss. Am 29. Dezember 1921 beschlossen der Landtag von Niederösterreich-Land und der Wiener Gemeinderat das Trennungsgesetz, das mit Beginn des Jahres 1922 in Kraft trat. Wien blieb nach der Trennung allerdings weiter Sitz der niederösterreichischen Landesregierung und des niederösterreichischen Landtages. Erst im Jahr 1986 erhielt Niederösterreich mit St. Pölten eine eigene Landeshauptstadt. 1997 zog der Landtag von der Herrengasse in Wien in das neu gebaute Regierungsviertel in St. Pölten um.

Kirchliche Neuordnung zum Vergleich

Bei der Wiener Diözesansynode (1969 bis 1971) wurde dem damaligen Erzbischof Kardinal Franz König der Vorschlag der Gliederung der Erzdiözese Wien in drei territoriale Vikariate vorgelegt, um die Seelsorge auf die Großregionen Weinviertel und Marchfeld, Großstadt Wien und Industrieviertel besser abstimmen zu können. Bereits am 1. Februar 1969 wurde dieser Vorschlag mit der Errichtung der drei territorialen Vikariate bestätigt. Die Seelsorge sollte den soziologischen und strukturellen Unterschieden im Viertel Unter dem Manhartsberg, dem Viertel Unter dem Wienerwald und der Großstadt Wien gerecht werden. Aller Anfang ist schwer. Denn es mussten 1969 erst neue Strukturen geschaffen und die bisherigen Aufgabenfelder der Zentralstellen neu verteilt werden.

Was geschah vor 70 Jahren?

Am 31. Mai 1952 ernannte Papst Pius XII. Franz König zum Titularbischof von Livias und Koadjutor mit dem Recht der Nachfolge des St. Pöltener Bischofs. Am 31. August 1952 erfolgte die Bischofsweihe im St. Pöltener Dom durch Bischof Michael Memelauer.

Autor:

Wolfgang Linhart aus Wien & NÖ-Ost | Der SONNTAG

Kommentare

online discussion

Sie möchten kommentieren?

Sie möchten zur Diskussion beitragen? Melden Sie sich an, um Kommentare zu verfassen.

add_content

Sie möchten selbst beitragen?

Melden Sie sich jetzt kostenlos an, um selbst mit eigenen Inhalten beizutragen.

Powered by PEIQ