Zeitgeschichte: Der SONNTAG vor 25 Jahren
St. Stephan in Flammen

Der eingestürzte Hauptchor | Foto: aus: Flieder-Loidl, Stephansdom - Zerstörung und Wiederaufbau, Domverlag
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  • Der eingestürzte Hauptchor
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Prälat Karl Hugel (1912-2000), von 1968 bis 1990 Dompfarrer, war 1945 Domvikar. Er schilderte in der Ausgabe der damaligen Wiener Kirchenzeitung im April 1995 als einer der letzten lebenden Augenzeugen seine Eindrücke vom Dombrand.

In den Abendstunden des 11. April 1945 war ich gerade dabei, im Dachboden des Curhauses Stephansplatz 3, einen Entstehungsbrand mit einer Luftschutzhandspritze zu löschen. Als ich durch ein Dachfenster auf den Dom hinausschaute, sah ich mit Entsetzen, dass das für Reparaturarbeiten aufgestellte massive Balkengerüst auf dem unausgebauten Turm, dem Nordturm, in hellen Flammen stand. Das Gerüst war wohl entflammungshemmend imprägniert gewesen, aber durch den schon erfolgten heftigen Artilleriebeschuss war das Holz an vielen Stellen aufgesplittert und durch den starken Funkenflug von den brennenden Häusern gegenüber der Westfassade des Domes ist so das Gerüst in Brand geraten und dieser setzte sich in die Glockenstube fort, wo die zweitgrößte Glocke, die Halbpummerin, aufgehängt war.

Als das brennende Gebälk die Glocke nicht mehr tragen konnte, stürzte sie zusammen mit den glühenden Holzteilen in die Vorhalle des Nordturms hinab. Dort wurde das große hölzerne Wimpassingerkreuz ein Raub der Flammen. Als sich die brennenden Balken des Gerüstes vom Verbund gelöst hatten, stürzten sie in den Dachraum des Domes hinein. Die Feuerwehr und alle Löschgeräte waren ja leider abgezogen worden.

Dem gigantischen Feuer stand die unentwegte Schar an mutigen Zivilisten einfach machtlos gegenüber. In dem riesigen Dachstuhl aus Lärchenholz fand das Feuer überreiche Nahrung. Es erfasste auch die große Orgel mit dem barocken Gehäuse und fraß sich weiter durch von der Nordseite des Domes her zur Südseite mit dem Hohen Turm.

Innitzer: „Wir werden ihn wieder aufbauen!"

Es darf geradezu als eine gnädige Fügung angesehen werden, dass zu der Zeit, da das riesige Dach des Domes brannte, nicht ein ansonsten sehr häufig vorkommender Frühlingssturm über den Stephansplatz hinwegbrauste. Die Brandkatastrophe hätte wohl dann die nahestehenden Häuser ins schreckliche Geschehen mit hineingerissen.

In den Nachmittagsstunden des 12. April erreichte das zerstörende Element den Glockenstuhl der Pummerin, die damals im Hochturm untergebracht war. Die etwa 20 Tonnen schwere Glocke stürzte dann auch durch die mit Bohlenbelag geschlossene Öffnung in die Vorhalle des Südturms und zerschellte.

In den Morgenstunden des 13. April (ich hatte gerade Torwache beim Tor des Curhauses) stürzte eine etwa 15 Meter hohe Mauer über der südlichen Pfeilerreihe im Albertinischen Chor, die zur Unterstützung des Dachstuhles diente, ein und durchschlug das Gewölbe im Mittelschiff des Albertinischen Chores. Und so fiel auch das brennende Dachgehölz in das Innere des Domes und vernichtete in der Folge das kostbare gotische Ratsherrengestühl und ebenso das darüber aufgebaute Kaiseroratorium und die Musikempore.

Beinahe hätte dieses gewaltige einstürzende Gewölbe den damaligen Sakristeidirektor, den späteren Prälaten Lothar Kodeischka, unter sich begraben. Er war nämlich von der Vierung her unterwegs zum Hochaltar, um von oben herabfallende Glutstücke abzulöschen, als hinter ihm das Gewölbe herabstürzte. Die Wucht dieses Einsturzes ließ den Boden beim Curhaus wie bei einem Erdbeben erzittern. Die Katastrophe hatte nun ihren Höhepunkt erreicht. Als nach diesem schrecklichen Geschehen Kardinal Innitzer tief erschüttert vor der Brandruine seiner geliebten Bischofskirche stand, sagte er doch ganz spontan mit bewundernswerter Zuversicht zu der kleinen Schar, die in seiner Nähe stand: "Wir werden ihn wieder aufbauen!"

Das ist ja dann durch das einträchtige Zusammenwirken vieler in erstaunlich kurzer Zeit geschehen! Schon am 4. Adventsonntag 1948 konnte das Langhaus des Domes für den Gottesdienst eröffnet werden und am 26. April 1952 wurde zugleich mit dem triumphalen Einzug der neuen Pummerin der Dom zur Gänze für den Gottesdienst eröffnet.

Prälat Karl Hugel

So wurde der Dom zum Trümmerhaufen

8. April: Am Weißen Sonntag wird zum ersten Mal kein Gottesdienst in St. Stephan gefeiert. Die Russen greifen mit Fliegerbomben die aus der Innenstadt abziehenden SS-Panzer an. Ein Funkenregen geht, von den brennenden Häusern am Stephansplatz kommend, über dem Dach nieder. Am Fuß des Südturms schlägt eine Bombe ein, die Dompfarrer Geßl schwer verwundet. Geistliche (die Domvikare Penall, DDr. Streidt, Hugel, Domkurat Kodeischka u.a.), und zahlreiche Helfer löschen die Glutnester am Dachboden. Zwei Löschfahrzeuge der Feuerwehr kehren entgegen ihrem Befehl in die Innenstadt zurück und· heIfen .

9. April: Die deutschen Truppen räumen die Innenstadt, die letzten Feuerwehrleute werden abgezogen.

10. April: Die ersten Sowjetsoldaten betreten den Stephansplatz. Unbekannte hissen auf dem Südturm eine weiße Fahne, was den SS-Kommandanten im 21. Bpzirk zum Befehl reizt, den Turm umzulegen. Dem deutschen Hauptmann Klinkicht gelingt es, durch einen nicht gezielten Beschuß das Unheil abzuwenden.

11. April: Das Dach wird durch stärkere Artilleriegefechte weiter aufgerissen. Offenbar legen Plünderer in den Häusern am Stephansplatz Feuer, das sich durch den Südwestwind auf das Dach des Curhauses und das Domdach ausbreitet.

12. April: Um Mitternacht fängt das Gerüst auf dem Nordturm Feuer, das sich ins Dominnere ausbreitet. Zunächst ist Domkurat Kodeischka (+ 1994) alleine im Dom. Mit letzten Wasserresten helfen ihm einige Priester und Laien, darunter Studentenseelsorger Strobl und der Student Hans Tuppy, späterer Wissenschaftsminister. Bald beginnt der ganze Dachstuhl zu brennen. Um 13 Uhr sinkt der Dachreiter über dem Hochaltar um. Bis zum späten Nachmittag stürzt das ganze Dach unter furchtbarem Getöse zusammen.
Die Orgel brennt ab. Der südliche Heidenturm beginnt zu brennen. Ungefähr um 14.30 Uhr stürzt mit grauenhaftem Getöse die Pummerin im Südturm in die Tiefe. Der Südturm beginnt zum Glück nicht zu brennen. Die um sich greifenden Brände zwingen die Bewohner der Gebäude rund um den Dom zur Flucht. Auch Kardinal Innitzer muss das Palais verlassen.

13. April: Um zirka 4.15 durchschlagen umstürzende Mauern das Gewölbe im Mittel- und Süd(Friedrichs-)chor. Domkurat Kodeischka, der sich bereits eine Rippe gebrochen hatte, konsumiert die konsekrierten Hostien. Balken und Trümmer zerschlagen das Chorgestühl.

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Der SONNTAG Redaktion aus Wien & NÖ-Ost | Der SONNTAG

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