Vor 25 Jahren: Folge 2 der Erinnerungen an den Abschluss des 2. Vatikanischen Konzils vor damals 30 Jahren
Erzbischof Schönborn: Die Kirche – Herzthema des Konzils

Papstmesse am Heldenplatz 1983 | Foto: Kirchenzeitungs-Archiv/Mari
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Unter allen Dokumenten des II. Vatikanischen Konzils ragt die „Dogmatische Konstitution über die Kirche" besonders hervor. ,,Lumen Gentium“ wird sie genannt, nach ihren beiden ersten Worten, die zugleich die „Kirchenvision'' des Konzils zeigen: „Christus ist das Licht der Völker. Darum ist es der dringende Wunsch dieser im Heiligen Geist versammelten Heiligen Synode, alle Menschen durch seine Herrlichkeit, die auf das Antlitz der Kirche widerscheint, zu erleuchten, indem sie das Evangelium allen Geschöpfen verkündet.“

Die Kirche hat kein anderes Licht als das Licht Christi. Ihm dient sie, seine Frohbotschaft soll durch sie leuchten. Aufgabe der Kirche ist es, dem Ziel zu dienen, für das Christus gekommen ist: die Menschen mit Gott und untereinander zu verbinden. Sie ist ganz Mittel für dieses Ziel. Anderseits aber ist in ihr dieses Ziel schon gegenwärtig. In ihr hat das Reich Gottes bereits begonnen.

        Um diese eigenartige Spannung auszudrücken, dass die Kirche Mittel und Ziel zugleich ist, spricht das Konzil von „Sakrament“: „Die Kirche ist ja in Christus gleichsam das Sakrament, das heißt Zeichen und Werkzeug für die innigste Vereinigung mit Gott wie für die Einheit der ganzen Menschheit" (LG 1).

Die Kirche - Sakrament der Einheit

Gott hat die Welt erschaffen, um ,,die Menschen zur Teilhabe an dem göttlichen Leben zu erheben“. Wir werden die Kirche nur verstehen, wenn wir dieses Ziel sehen. Der Weg der Kirche, ihre Mittel und ihre Geschichte haben kein anderes Ziel als diese Gemeinschaft der Menschen mit dem dreifaltigen Gott. Als Mittel zum Ziel ist sie relativ, vorläufig, ist sie (noch) nicht das Ziel selbst. Im 7. Kapitel der Kirchenkonstitution wird dies eindrücklich formuliert: „Bis es aber einen neuen Himmel und eine neue Erde gibt, in denen die Gerechtigkeit wohnt (vgl.
2-Petr 3, 13), trägt die pilgernde Kirche in ihren Sakramenten und Einrichtungen, die noch zu dieser Weltzeit gehören, die Gestalt dieser Welt, die vergeht, und zählt selbst so zu der Schöpfung, die bis jetzt noch seufzt und in Wehen liegt und die Offenbarung der Kinder Gottes erwartet (vgl. Röm 8, 19-22)" (LG 48).     
     Es scheint mir, dass diese Dimension derKirche heute oft zu wenig thematisiert wird: Die Kirche ist als Volk Gottes unterwegs. Ihr letztes Ziel, das ihren Weg bestimmt, ist „nicht von dieser Welt". Kirche ist Exodusgemeinde, die ,,ihr Bürgerrecht in den Himmeln hat" (Phil 3, 20), die sich nicht etablieren kann und darf, weil sie hier „keine bleibende Stätte'' hat (Hebr 13, 14). Es wäre ganz neu zu bedenken, welche geistlichen und praktischen Konsequenzen es für das Gemeindeverständnis hat, dass die Christen „paröken“, „Fremdlinge und Beisassen“ sind (1 Petr 1 ; 2, 11), dass die „paroikia“, die parochie = Pfarre, eine Pilgergemeinde darstellt (auch im Verhalten zu den Fremden!).

Erzbischof Christoph Schönborn schreibt über das Wesen der Kirche.

          Wird diese Spannung hin auf die Vollendungaus unserer Verkündigung ausgeblendet, so führt das fast unweigerlich zu einer Überbewertung der etablierten Aspekte der Kirche: ihrer Institutionen, ihrer Organisationen. Die Kirche wird zu sehr „horizontal", zu wenig "vertikal" gesehen, zu sehr als menschliches Werk und zu wenig als Ort der Gnade.     
     Manches Seufzen und Klagen über Lasten und Konflikte, über Unvollkommenheit und Anstößigkeit der Kirche (und da sind wir durchaus selber mitgemeint!) waren erträglicher und annehmbarer ,,wenn wir sie als die Anfechtungen und Nöte unseres Pilgerstandes betrachten würden,wenn wir heiter und nüchtern - und gar nicht als Ausflucht - singen würden: "Wir sind nur Gast auf Erden..." Die Kirche, so sagt deshalb das Konzil, wird erst in der himmlischen Herrlichkeit vollendet werden, wenn „die Zeit der allgemeinen Wiederherstellung kommt (Apg 3, 21). Dann wird mit dem Menschengeschlecht auch die ganze Welt, die mit dem Menschen innigst verbunden ist und durch ihn ihrem Ziel entgegengeht, vollkommen mit Christus erneuert werden" (LG 48).

Noch nicht vollendet, noch nicht ganz fassbar


Jetzt ist die Kirche noch nicht vollendet. Daher ist sie auch noch nicht in ihrer vollen ganzen Wirklichkeit fassbar: Erst „am Ende der Weltzeiten wird sie in Herrlichkeit vollendet werden. Dann werden, wie bei den heiligen Vätern zu lesen ist, alle Gerechten von Adam an ,vom gerechten Abel bis zum letzten Erwählten‘, in der allumfassenden Kirche (in Ecclesia universali) beim Vater versammelt sein" (LG 2).     
     Die vollendete Schöpfung wird die vollendete Kirche sein, dann wird der Sinn von Kirche voll entwickelt sein:
Gemeinschaft mit Gott, Gemeinschaft untereinander in Gott. Betrachten wir die Kirche in dieser Perspektive, dann ist sie beides, Weg und Ziel, zugleich Zeichen und das, was dieses Zeichen bezeichnet. Diese Spannung dürfen wir nicht einseitig verkürzen, etwa indem wir die Kirche nur auf ihre sichtbare institutionelle oder nur auf ihre unsichtbar-transzendente Dimension beschränken.  

Spannweite der Kirche


Das Konzil hat diese komplexe Wirklichkeit der Kirche in verschiedene Richtungen ausgeleuchtet die alle für ein umfassendes, „katholisches“ Kirchenverständnis wesentlich sind.  
     Zuerst die,,weltgeschichtliche" Dimension: In LG 2 zeigt das Konzil, dass die Kirche so weit ist wie Gottes Schöpferplan selbst, so umfassend wie die ganze Geschichte der Menschheit: „Die heilige Kirche ... war schon seit dem Anfang der Welt vorausbedeutet": Sie ist in der Schöpfung selbst grundgelegt.    
     Die Schöpfung zielt auf jene Gemeinschaftmit Gott hin, die als Kirche wachsen und vollendet werden wird. "In der Geschichte des Volkes Israel und im Alten Bund, wurde sie auf wunderbare Weise vorbereitet": Die Geschichte des Bundes Gottes mit seinem Volk ist bereits (Vor-)Geschichte der Kirche und gehört als solche wesentlich zu ihr. ,,In den letzten Zeiten (d. h. mit dem Kommen Jesu Christi) wurde sie gestiftet." „Durch
die Ausgießung des Heiligen Geists wurde sie offenbart": Mit der Sendung des Sohnes und des Heiligen Geistes tritt sie offenkundig in die Geschichte ein. Doch erst in der letzten, fünften Phase ihrer Geschichte wird sie „am Ende der Weltzeiten in Herrlichkeit vollendet werden“. 

An der Schwelle des Todes
hört Kirche nicht auf

Eine zweite Dimension sind die drei „(Zu-)Stände" der Kirche: In LG 49 sagt das Konzil: „(Bis der Herr wiederkommt) pilgern die einen von seinen Jüngern auf Erden, die anderen sind aus diesem Leben geschieden und werden gereinigt, wieder andere sind verherrlicht und schauen ,klar den dreieinigen Gott selbst, wie er ist'." Die Kirche hört an der Schwelle des Todes nicht auf. Sie ist „Gemeinschaft der Heiligen", nicht nur der jetzt auf Erden Lebenden, sondern aller in der Gemeinschaft Gottes Lebenden. Sie ist irdisch-pilgernde,
aber auch himmlische Kirche. 

Austausch mit jenseitigen Dimensionen des Lebens

Wird diese Gemeinschaft mit den in Christus Vollendeten wachen Sinnes gelebt, dann bekommt unser Kirchenbewusstsein eine ganz andere Weite und Zuversicht, als wenn es nur auf die jetzt und hier Lebenden beschränkt bleibt. Das Gedächtnis der Verstorbenen und der Heiligen bewahrt uns vor dem heute drohenden Geschichtsverlust, es öffnet unser Leben zu einem Austausch mit den jenseitigen Dimensionen des Lebens, es verhindert jene Vereinsamung und Verödung der Gegenwart, die von ihren Wurzeln und ihrer jenseitigen Zukunft abgeschnitten ist. Es darf uns nicht wundern, dass viele Menschen heute diese Dimensionen in
Astrologie und Spiritismus suchen, da sie in der Kirche nicht mehr genügend gelebt werden.
     Schließlich gilt es, das Geheimnis derKirche in seiner Einheit von menschlichem und göttlichem Element zu betrachten: „Der einzige Mittler Christus hat seine heilige Kirche, die Gemeinschaft des Glaubens, der Hoffnung und der Liebe, hier auf Erden als sichtbares Gefüge verfasst und trägt sie als solches unablässig; so gießt er durch sie Wahrheit und Gnade auf alle aus. Die mit hierarchischen Organen ausgestattete Gesellschaft und der geheimnisvolle Leib Christi, die sichtbare Versammlung und die geistliche Gemeinschaft, die irdische Kirche und die mit himmlischen Gaben beschenkte Kirche sind nicht als zwei verschiedene Größen zu betrachten, sondern bilden eine einzige komplexe Wirklichkeit, die aus menschlichem und göttlichem Element zusammenwächst" (LG 8). Erst wenn wir die „gott-menschliche Struktur" der Kirche bedenken, bekommt die Rede von der Kirche als Sakrament der Gemeinschaft der Menschen mit Gott und untereinander ihre volle Tragweite.
      Eine letzte, vierte Dimension ist zunennen: Die Kirche hat ihren Platz in der Versöhnungsgeschichte. Im Heilsplan ist sie die von Gottes Ruf ausgehende neue Bewegung, die das, was durch die Sünde in Brüche gegangen ist, neu in die ursprünglich von Gott gewollte Einheit sammelt. Ohne das Drama der Sünde ist der Sinn der Kirche nicht zu verstehen.
      Die einheitstiftende Kraft, die in der Kirche wirksam ist, ist die vom Kreuz Christi ausgehende Kraft der Versöhnung. Alle zuvor erwähnten Dimensionen der Kirche haben hier ihre Quelle, im Ostergeheimnis Jesu Christi, das die Kirche stets neu in der Eucharistie feiert: „Sooft das Kreuzesopfer auf dem Altar gefeiert
wird, vollzieht sich das Werk unserer Erlösung. Zugleich wird durch das Sakrament des eucharistischen Brotes die Einheit der Gläubigen, die einen Leib in Christus bilden, dargestellt und verwirklicht (1 Kor 10; 17). Alle
Menschen werden zu dieser Einheit mit Christus gerufen, der das Licht der Welt ist" (LG 3). 

Die Kirche lieben - ein einfacher Test


Es gibt einen ganz einfachen Test, mein Kirchenbild zu prüfen: Liebe ich die Kirche? Bleibe ich bei ihren anstößigen Gliedern hängen oder suche ich bis zu ihrem Herzen vorzudringen? Liebe ich die Kirche wie Christus sie liebt? Er hat sein Leben für sie gegeben (vgl. Eph 5, 25). Wenn ich so die Kirche liebe, dann wird meine Liebe ansteckend sein, und andere werden zur Kirche finden und in der Kirche zu Christus, dem Gekreuzigten und Auferstandenen, der gegenwärtig ist in Seinem Wort und Seiner Eucharistie. Wer aber Christus gefunden hat, der ist zu Hause angekommen, auch wenn er noch auf Erden als Pilger unterwegs ist.  

Dr.Christoph Schönborn
Erzbischof von Wien

Autor:

Wolfgang Linhart aus Wien & NÖ-Ost | Der SONNTAG

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