Peter Trummer im Gespräch mit Georg Haab
Am Puls bleiben

Foto: hintergrund: hochaltar der wallfahrtskirche mariazell; beide fotos: noah westermayer
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Der emeritierte Grazer Neutestamentler über die Spannung zwischen Tradition und Authentizität und was persönliche Begegnung und Glaube miteinander zu tun haben.

Sie schreiben im Vorwort zu Ihrem Buch: Musik berührt, wenn der Herzschlag einer Komposition aufgenommen wird?
Trummer: Für mich als aktiven Musiker ist es so, dass ich ein Musikstück, das mit dem Pulsschlag 60 komponiert worden ist, nicht mit 70 oder 80 wiedergeben kann, weil ich sonst den Charakter verfehle. Es geht darum, den Puls einer Komposition – im wahrsten Sinne des Wortes – zu erkennen. Den Herzschlag erwähnte ich im Vorwort des Buches, ich hätte ihn nie als Titel riskiert, weil er mir zu intim erschien. Aber der Verlag scheint mit seinem Vorschlag schon richtig zu liegen, es gibt schon eine zweite Auflage.

Welches Anliegen verfolgen Sie mit diesem Buch?
Trummer: Es geht mir um eine vorsichtige Annäherung an das Gottesbild Jesu. Und da möchte ich sozusagen die Partitur, die wir in Bibel und Tradition schon mit vielen Vorzeichen und Anweisungen versehen haben, etwas zurückstellen und neu fragen: Was hat Jesus wirklich gemeint?

Wenn Sie vorschlagen, dem eigenen Herzen mehr zu trauen: Verstehe ich richtig, dass Sie nicht die Tradition geringachten, sondern dass es Ihnen mehr um Beziehung als um Tradition im Buchstabensinn geht?
Trummer: Die Tradition ist schon ein wenig problematisch. Wenn man die Bibel naiv liest, ist es einsichtig, dass Jesus es nicht mit der Gewalt zu tun hatte – trotz der Tempelreinigung. Trotzdem hat die Tradition bis nach dem Konzil im Grunde genommen daraus eine Lehre vom gerechten Krieg gemacht. Die Gewaltfreiheit Jesu hat es nicht einmal in den Rang eines evangelischen Rats geschafft neben Armut, Keuschheit und Gehorsam. Da ist deutlich etwas offen geblieben. Erst 1976 ist das erste kirchliche Dokument erschienen, das von Gewaltlosigkeit in Politik und Leben redet. Da war die Tradition nicht so ganz am Pulsschlag Jesu.

Sie sagen, wir Christen hätten in unserer kleinen, abgeschlossenen Welt den Blick auf das große Ganze verloren.
Trummer: Wir haben Dinge angestellt wie die Idee, dass es außerhalb der Kirche kein Heil gibt. Was heißt denn das in der Praxis? Ist es denkbar, an einen Gott zu glauben, der die Hälfte der Menschheit als Verlust abschreibt? Erst 2007 wurde zumindest die Lehre von der Vorhölle, dem „limbus puerorum“, für ungetaufte Kinder vom Papst persönlich als „nicht mehr sinnvoll“ erklärt. Da ist Öffnung notwendig, wir dürfen über das Göttliche nicht so klein denken.

Die Bibel mit ihrer tiefsinnigen Bildersprache lässt sich nicht wie Tagestexte lesen, schreiben Sie. Und im Kapitel „Jesus“: „Nicht, dass Jesus Gott ‚Abba‘ nannte, ist das Besondere, sondern die Konsequenzen, die er daraus zog.
Trummer: Wenn wir ein wenig begreifen, was dieses „Abba“ für Jesus wirklich bedeutet, können wir die Ewigkeit eines Höllenfeuers nicht mehr denken. Diese Liebe kann nicht mit dunkler Pädagogik gepaart sein. Wenn uns etwas ewig schmerzen wird, dann nicht ein physikalisches Höllenfeuer, sondern unsere eigene Einsicht angesichts der Liebe Gottes, dass wir so wenig geliebt haben. Das sind Bilder für seelische Zustände. Die Liebe Gottes kann genug schmerzen, wir brauchen dazu keine quälenden Teufel.

Was meinen Sie, wenn Sie die Bibelstelle mit der Hochzeit von Kana als innovativ bezeichnen?
Trummer: Die europäische Auslegung hat diese Hochzeit zu einem Besäufnis stilisiert. Im Judentum hat aber Alkohol z. B. durch den Schabbat-Becher eine völlig andere kulturelle Einbindung. Die Hochzeitsgesellschaft war eh so gut organisiert, dass sie sogar einen Speisenmeister hatte. Es hat also nicht damit zu tun, dass Jesus mit Wein aushilft. Der eigentliche Kernpunkt der Erzählung sind die Reinigungskrüge mit ca. 600 Liter Wasser, die der Reinigung dienen. Reinigung ist auch in der Geschlechtlichkeit im Judentum ein großes Thema. Jesus bricht das auf: Die Weingabe bedeutet, dass wir nicht Wasser trinken und uns nicht ständig waschen müssen, um rein zu sein, sondern auch wirklich die Freude der Sexualität leben dürfen.

Ein eigenes Kapitel im Buch ist den „heilen Frauen“ gewidmet.
Trummer: Das ist ein ganz besonderes, jetzt auch wieder aktuelles Thema. Ein wesentliches Beispiel: die Heilung der Schwiegermutter des Petrus. Die Geschichte läuft darauf hinaus, dass Jesus die Frau auferweckt und sie ihnen diente. Die Einheitsübersetzung sagte zum Schluss: „Und sie sorgte für sie“, das klingt wie Kochen und Geschirrwaschen. Die Revision korrigiert: „Und sie diente ihnen“, was es wirklich bedeutet, wird erst mit dem Dienen Jesu in Markus 10,45 klar. Aber ein Hinweis dazu fehlt. Diese Einheitsübersetzung kam in den frühen Sechzigern zustande, an der Einheitsübersetzung arbeiteten samt und sonders zölibatäre Professoren, und die konnten sich da nur die Tätigkeit ihrer Haushälterinnen vorstellen. In heutiger Kirchensprache sollte es aber heißen: Sie wurde zur Leiterin der Hauskirche, der auch Jesus beitritt.

Es gibt einige Übersetzungen, in denen für Sie der Blick auf Gott mehr verstellt als gefördert wird?
Trummer: Ja, wenn das altgriechische Wort „katallagē“ mit „Versöhnung“ übersetzt wird, aber es bedeutet eigentlich „wechseln“, „umsteigen“. Zur Versöhnung fantasieren wir aber ein unglaubliches Gottesbild, das nicht liebevoll ist, sondern destruktiv, wenn wir meinen, wir seien durch den Sühnetod Jesu von den Sünden erlöst worden. Wenn wir Beziehungen nur nach Machtverhältnissen, Schuld und Gehorsam bewerten, manipulieren wir einander. In dieser Überzeichnung kommt Schreckliches heraus, weil wir damit nicht Gott erkennen, sondern nur unser eigenes Über-Ich hochrechnen.

Das schlägt die Brücke zum Beginn, zum Herzschlag. „Fürchte dich nicht“, schreiben Sie, und das werde durch persönliche Begegnung vermittelt. Ein Plädoyer dafür, nicht nur Texte zu lesen, sondern darin Gott persönlich zu begegnen?
Trummer: Vor zehn Jahren habe ich bemerkt: Am Hochaltar in Mariazell hält Gott Vater dem Sohn am Kreuz die Hand – also keine Gottesverlassenheit, sondern er lässt ihn im Tod nicht fallen. Wenn man dieses Geheimnis erahnen kann, löst sich die Frage der Auferstehung von allein, das ist nur die logische Konsequenz. Da weise ich auf die Geschichte von Lazarus hin: Sie bedeutet, dass wir auch für unser Bewusstsein die Personen aus dem Grab herausrufen müssen, weil dort nur ihre Leichen liegen. Die Person selbst ist ja mit dem Tod in der Gottesbegegnung aufgehoben.

Zur Person
Peter Trummer, geb. 1941 in Bruck a. d. Mur, studierte Theologie in Graz, Tübingen und Regensburg. Nach seiner Promotion und Habilitation lehrte er bis zur Emeritierung 2006 als Professor für Neues Testament an der Karl-Franzens-Universität in Graz.

Buchtipp
Peter Trummer: Den Herzschlag Jesu erspüren.Seinen Glauben leben
272 Seiten, gebunden mit Schutzumschlag, Verlag Herder (2. Auflage 2021), € 28,80. Erhältlich im Behelfsdienst des Diözesanhauses oder in Ihrer Buchhandlung.

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Peter Trummer: Den Herzschlag Jesu erspüren.
Seinen Glauben leben
Autor:

Carina Müller aus Kärnten | Sonntag

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