Eine Weihnachtsgeschichte
Die Gewissheit, dass Gott mit uns ist

Für den „Sonntag“ hat die Erfolgsautorin und Religionspädagogin Monika Nemetschek ihre Erinnerungen an Weihnachten 1943 in einer Kurzgeschichte festgehalten:

Langsam schlenderte ich von der Schule nach Hause. Heute beginnen die Weihnachtsferien, dachte ich. Aber in mir wollte keine rechte Freude aufkommen. Weshalb wohl? Aus Gesprächsfetzen der Erwachsenen drang ein Satz an mein Ohr: „Heuer gibt´s kein Weihnachten!“ Wie nur war das möglich? Weihnachten konnte man doch nicht einfach abschaffen?
Der Wind blies durch mein dünnes Mäntelchen. Sie hatten es aus einem Rock von Großmutter für mich genäht. Es war schwarz und wärmte nicht. Ich ging schneller.
Ob es einen Christbaum geben wird? Vanillekipferl oder Schokoringerl? Nein, gewiss nicht. Woher sollten die denn kommen? Ich wollte zufrieden sein, wenn es keinen Bombenalarm geben würde und ich vielleicht ein paar Kekserl bekommen könnte. Bei diesem Gedanken leckte ich mir unwillkürlich die Lippen und spürte Hunger.
Morgen ist Heiliger Abend, dachte ich. Ob sich die Straßen wieder verkleiden werden? Immer zu Weihnachten erlebte ich das. Die alten Straßen, die ich alltäglich entlang ging, hatten zu Weihnachten ein neues Gewand. Irgendwie waren sie anders, feierlich, eben verkleidet. „Du siehst sie verklärt“, hatte meine Mutter gesagt. Noch waren sie wie alle Tage. Ob sie sich bis morgen verklären würden? Ich wollte mich überraschen lassen.
Im Geist begann ich, mein Weihnachtsgedicht aufzusagen:
„Heilige Nacht, auf Engelsschwingen nahst du leise dich der Welt.
Und die Glocken hör ich klingen,
und die Fenster sind erhellt …“

Da, der Heulton der Sirene schreckte mich aus meinen weihnachtlichen Gedanken. Einen Augenblick stand ich wie versteinert, dann rannte ich los. Nichts wie nach Hause und in den Luftschutzkeller. Aber diesmal kam kein Fliegerangriff. Die Entwarnung erlöste uns bald. Ein verfrühtes Weihnachtsgeschenk, meinte jemand. Wir verließen den Keller.
„Wieder einmal mit dem Leben davongekommen“, sagte die Nachbarin, während alle Hausbewohner ihr Hab und Gut zurück in die Wohnungen schleppten.
Dann gab es ein paar Tage und Nächte keine Luftangriffe. Und so wurde es ein stiller Heiliger Abend. Die Menschen, müde vom vielen Kellerrennen, blieben in ihren Wohnungen, um ihr karges Weihnachtsmahl einzunehmen.
Die ganze Stadt lag in tiefer Finsternis. Auch nicht der kleinste Lichtstrahl durfte durch die Verdunkelungsrollos dringen. So war es uns befohlen. Die feindlichen Flieger sollten unsere Stadt im Dunkeln nicht erkennen.
Großmutter, Mama und ich saßen in der Küche beim Tisch vor einem winzigen Christbäumchen mit fünf Kerzen. Davor stand unsere Krippe. Ich durfte das Weihnachtsevangelium vorlesen und dann sangen wir „Stille Nacht“.
Da klopfte es. Unsere Nachbarn wollten ein wenig mit uns feiern. Mutter hieß sie eintreten. Und ich sagte mein Gedicht auf. Schön und feierlich. Es sprach von Gottes Kommen zu uns und davon, dass alles einmal gut werden wird: „Friede wird es wieder werden und die Liebe König sein“, hieß die Endzeile. Als ich sie vortrug, weinten alle. „Sag das Gedicht noch einmal!“, baten die Nachbarn, ich tat es.
Nachher waren alle sehr still. Ich ahnte auf einmal, dass Weihnachten mehr war als Essen und Trinken, Kleider und Spielsachen. Weihnachten war größer als alles das. Weihnachten war die Gewissheit, dass Gott mit uns ist, wie er uns liebt.
Meine Omi hatte einen kleinen Teller mit ein paar Keksen auf den Tisch gestellt. Es war alles, was wir hatten. Jeder durfte einmal zugreifen.
Als die Menschen gegangen waren, lagen noch fünf Kekse auf dem Teller, rabenschwarz und steinhart. „Sie gehören dir allein“, sagte Omi. Mir wurde ganz heiß vor Freude. Lange kaute und nagte ich an jedem herum, so hatte ich länger etwas davon.
Ich fühlte mich satt und zufrieden, als wir vor der Krippe eine Kerze anzündeten, um den freudenreichen Rosenkranz zu beten. Ich denke, ich habe andächtig gebetet an diesem Heiligen Abend. Irgendwie habe ich mich Maria, Josef und dem Jesuskind in der Krippe sehr nahe gefühlt.
Als wir dann zur Mette gingen, waren die Straßen wirklich verklärt, und das, obschon sie ganz finster waren. Für mich aber waren sie licht. Schön war das! Und der Gedanke, dass jetzt um Mitternacht Jesus selbst im Brot zu mir kommen würde, machte mich glücklich und nahm mir die Angst.
Es war doch Weihnachten geworden!
Beim Nachhausegehen von der Kirche sagte Mutter zu mir: „Weißt du, Monika, das, was Weihnachten wirklich ist, kann uns niemand wegnehmen. Weihnachten bleibt für immer, es ist die Liebeserklärung Gottes an die Welt.“ Ich verstand nicht ganz, was sie sagte, aber ich fühlte, dass sie recht hatte.

Autor:

Gerald Heschl aus Kärnten | Sonntag

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