Grundorientierungen einer Kirchenentwicklung
Aus dem Glauben leben

Foto: ernts reisig/pixelio.de

Glaube als Antwort auf die Unerklärlichkeit und die Schreckensszenarien der Welt: Weshalb die erste Grundorientierung so grundlegend ist.
von Peter Allmaier

„Der Mensch ist das Tier, dem man die Lage erklären muß. Hebt es den Kopf und blickt über den Rand des Offensichtlichen, wird es von Unbehagen am Offenen bedrängt. Unbehagen ist die angemessene Antwort auf den Überschuß des Unerklärlichen vor dem Erschlossenen.“ Mit diesen Worten eröffnet der in Berlin lebende Philosoph Peter Sloterdijk seine Gedanken über „Die schrecklichen Kinder der Neuzeit“. Selbst die rasant voranschreitenden Erkenntnisse der Wissenschaften haben den bleibenden Überschuss des Unerklärlichen vor dem Erschlossenen nicht verringert. Beim Versuch, die Welt im Ganzen des Kosmos und darin den Menschen zu verstehen, ist die Antwort der Naturwissenschaft stets mangelhaft. Alles Wissen erschließt noch nicht den Sinn, nach dem eigentlich gefragt wird. Das Unbehagen wird vermutlich – und das wird aktuell den groß Denkenden immer mehr bewusst – erst durch eine religiöse Antwort behoben. Denn die Antwort der Religion(en) besteht in einem radikalen Perspektivenwechsel, in dem weniger über Gott oder die Welt als vielmehr mit Gott gesprochen wird. Die Beziehung zu einem göttlichen Du eröffnet jenen Sinn, den die noch so genaue „Vermessung der Welt“ nicht erschließt, und gibt jene Wärme, die das eiskalte Universum nicht hergibt.

Wozu ist Kirche da?
Der Prozess der Kirchenentwicklung setzt mit der ersten Grundorientierung nicht mit einem beliebigen Glied einer Reihe an, sondern bestimmt die Haupttätigkeit der Kirche, dem die anderen Grundorientierungen zugeordnet sind. Die Kirche ist eine Glaubensproduktions- und Erlösungsvermittlungsanstalt. Die Arbeit an diesem Ziel ist die Rechtfertigung ihrer Existenz. Wenn die Kirche nicht mehr dazu dient, dem einzelnen Menschen den Sinn für die Gegenwart Gottes als Ursprung und Ziel des Lebens zu eröffnen, dann dient sie zu gar nichts. Aus diesem Grund ist die erste der 14 Grundorientierungen zunächst ein Auftrag nach innen: Die haupt- wie ehrenamtlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter „pflegen ihre Gottesbeziehung“. Jene Menschen, die im Dienst der Verkündigung stehen, müssen aus der überraschenden Neuheitserfahrung des Evangeliums leben, weil die Botschaft zweitausend Jahre alt sein mag, aber bis heute unerhört ist.
Die Neuheitserfahrung ist alles andere als der Gewöhnungseffekt einer eingeschlafenen Ehe. Die gelungene Lektüre des Evangeliums erschüttert. Die Menschen aller Zeiten haben ein Recht darauf, bei den verkündigenden Personen die Überraschung zu spüren, die aus einer noch nie zuvor gemachten Erkenntnis kommt.
Dieser Anspruch ist gewiss hoch und immer überfordernd, doch er verhindert, dass kleine Menschen mit ihrem kleinen Denken in ihrer kleinen Welt ein klein wenig bewegen möchten. Das wird der Größe Gottes und der Größe des Auftrags an die Kirche nicht gerecht. Das stete Bemühen um den Tiefgang des eigenen Glaubens macht den Versuch lächerlich, Gott im Seichten finden zu wollen.
Ich selbst bemühe mich daher, aus dem Blickwinkel der wissenschaftlichen Erkenntnis und des philosophischen Denkens, von den Höhen der künstlerischen Ausdruckskraft und des menschlichen Fragens auf die Botschaft des Evangeliums zu blicken. Selbst nach 33 Priesterjahren bin ich laufend erstaunt, warum ich diesen und jenen Zusammenhang nicht schon früher gesehen habe. Ich bin fast jeden Sonntag von der Neuheit des Evangeliums fasziniert, weil ich dadurch die Welt und mich besser verstehe. Das ist mein Weg der Glaubensvertiefung. Bestimmt werden andere auch von ihrem Weg erzählen können.

Konkretisierungen
Beispielhaft bedeutet das:
a) Wir bieten Menschen Raum zum persönlichen Glaubenszeugnis und laden sie zur Glaubensvertiefung ein.b) Vertreter:innen der Kirche suchen den regelmäßigen Austausch mit Vertreter:innen der Religionsgemeinschaften, der Bildungseinrichtungen, Kulturschaffenden und Verantwortlichen aus Gesellschaft, Wirtschaft und Politik. Dafür werden gemeinsam Bildungs- und Begegnungsformate entwickelt.
c) Fragen des Glaubens und kirchliche Positionen werden in das Gespräch mit den Menschen und in den öffentlichen Diskurs eingebracht.
d) Pfarren, Bewegungen und Religionsleh-rer:innen tauschen sich untereinander und mit Vertreter:innen anderer christlicher Kirchen über ihren Glauben und ihre Erfahrungen in der Glaubensvermittlung aus, lernen voneinander und setzen Initiativen vor Ort.
e) Es werden Konzepte entwickelt, die alle Mitarbeiter:innen in Glaubensthemen in einer zeitgemäßen Sprache auskunftsfähig machen und sie befähigen, das Wort Gottes zu deuten.
f) Die Seelsorger:innen pflegen das Gespräch mit Eltern und Großeltern und zeigen ihnen Möglichkeiten auf, mit Kindern und Jugendlichen den Glauben zu leben und sich darüber auszutauschen.
g) In Alltagssituationen, am Arbeitsplatz und im öffentlichen Raum sind wir offen für ein Gespräch über das Leben und den Glauben der Menschen.

Autor:

Carina Müller aus Kärnten | Sonntag

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