EIN_BLICK
Mehr als ein Stilwechsel

Papst Franziskus sitzt zum Mittagessen am Welttag der Armen, dem 13. November 2022, bei seinen Gästen in der Synodenaula im Vatikan, als ihn ein Mädchen umarmt. | Foto: Stefano Carofei/Romano Siciliani/KNA
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  • Papst Franziskus sitzt zum Mittagessen am Welttag der Armen, dem 13. November 2022, bei seinen Gästen in der Synodenaula im Vatikan, als ihn ein Mädchen umarmt.
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Papst Franziskus setzt starke Zeichen. Seit zehn Jahren stößt sein unkonventioneller Stil auf Kritik, anderen gefällt die erfrischende Art. Doch in Europa wächst die Ungeduld, denn handfeste innerkirchliche Reformen sind noch ausgeblieben. Papst-Kenner und Jesuit Andreas R. Batlogg zieht ein gemischt-positives Resümee über die ersten zehn Jahre des Pontifikats.

Pater Batlogg, Sie schreiben in Ihrem Franziskus-Blog, dass Sie sich über manche Äußerungen des Papstes ärgern. Worüber?

Andreas R. Batlogg SJ: Die Position von Papst Franziskus zum Synodalen Weg in Deutschland kann ich nicht nachvollziehen. Das ist eine Wiederholung von Narrativen und Vorurteilen. Es scheint ihm nicht klar zu sein, dass die Ursache für den Synodalen Weg, den die Bischofskonferenz gemeinsam mit dem Zentralkomitee der deutschen Katholiken begonnen hat, die Missbrauchsstudie ist. Die deutschen Bischöfe haben kapiert, dass sie das Thema nicht allein, nicht untereinander lösen können. Und sie haben eingesehen, dass es nicht nur individuelles Versagen ist, sondern auch systemische Gründe sind, die Missbrauch ermöglichen. Für mich ist im Synodalen Weg zu viel Sachverstand versammelt, als dass man ihn so diffamieren oder beiseiteschieben könnte. Ich denke sogar, dass die Weltkirche vom synodalen Weg lernen könnte. Er wird sich nicht einfach einspeisen lassen in den universalen synodalen Prozess. Da bin ich vom Papst etwas enttäuscht, weil ich mir mehr Differenzierung wünschen würde.

Papst Franziskus tut sich offenbar schwer mit der katholischen Kirche in Deutschland. Woran liegt das?

Batlogg: Ich weiß es nicht genau. Er war 1986 in Deutschland, hat versucht, Deutsch zu lernen und überlegt, eine Dissertation über Romano Guardini zu schreiben. Das nennt er in seinem Buch „Wage zu träumen!“ eine von drei „Covid-Erfahrungen“. Einerseits missfällt ihm die Bürokratisierung der Kirche. Andererseits: Mit 8 Milliarden Euro Kirchensteuer, mit Hilfsorganisationen wie Renovabis, Missio, Adveniat, Misereor – da wird viel Geld in die Welt gepumpt, das spielt es ohne Kirchensteuer nicht. Aber der Papst ist ein Begegnungstyp. Bürokratie, Strukturen sind ihm zuwider. Das war offenbar immer so, auch als Jesuitenprovinzial. Nur: Er ist halt Papst. Dieser Affekt gegen die Deutschen ist unfair.

Wie informiert sich der Papst? Er scheint im Allgemeinen gut informiert zu sein. Wenn er eine seltsame Entscheidung trifft, ist man versucht zu sagen: Er wurde schlecht informiert.

Batlogg: Wie er sich genau informiert, weiß ich nicht. Er telefoniert offenbar viel. Er hat wirklich eine seelsorgliche Seite! Ob das frühere Freunde in Argentinien sind oder sein Beziehungsnetz. Auf wen der Papst hört? Man kann nur spekulieren. Er gibt ja viele Interviews. Da redet er oft zu schnell, und wenn er Fehler macht, entschuldigt er sich zwar, aber das ist natürlich keine Meldung mehr. Das häuft sich in letzter Zeit und verdeckt die Meilensteine, die er in diesen zehn Jahren gesetzt hat. Es verdunkelt, was mit Synodalität gemeint ist. Er will diesen weltweiten synodalen Prozess, der in zwei Bischofssynoden mündet. Noch ist nicht klar, ob es reine Bischofssynoden sein werden oder ob auch Laien mitentscheiden werden. Auf der anderen Seite gibt es Personalentscheidungen, die so abrupt kommen, dass unterm Strich hängen bleibt: Am Ende entscheidet er doch allein. Wenn ich mir seine Rede von 2015 zur 50-Jahr-Feier der Errichtung der Bischofssynode anschaue: Das sind großartige Aussagen! Sie werden aber von der Realität überdeckt.

Scheitert Papst Franziskus an seinen eigenen Vorhaben?

Batlogg: Wir sehen ihn sehr durch die Brille unserer europäischen Reform-Erwartungen. Man muss wahrnehmen, dass Menschen in Peru, Taiwan, Südafrika anders über Zölibat, Frauenweihe und Homosexualität reden als wir das in Deutschland, Österreich und der Schweiz tun. 2013 war ein unglaublicher Aufbruch! Jeder erinnert sich an die Lethargie und das klerikale Getue vorher. Von der Dynamik des Anfangs ist etwas verlorengegangen. Ich gehe immer wieder zu „Evangelii gaudium“ zurück, das ist das Programm. Dynamische Kirche, Kirche der offenen Türen, ... diese Metaphern sind hängengeblieben! Allerdings auch die verunglückten Vergleiche. Ich kann nicht verstehen, dass sich ein Papst, der jetzt 10 Jahre im Amt ist, nicht bewusst ist, dass seine provokanten Vergleiche durch die Übersetzung in viele Sprachen ganz andere Problemfelder öffnen. Das unterschätzt er. Da frage ich mich: Was gibt es da für eine Feedback-Kultur?

Welche verunglückten Vergleiche meinen Sie?

Batlogg: Frauen sind Erdbeeren auf der Torte, oder: Einem Papa kann schon die Hand ausrutschen. In Deutschland hat das eine Klaps-Debatte ausgelöst, Stichwort: „Lizenz zum Schlagen“. Oder die Aussage, dass sich Katholiken nicht wie Karnickel vermehren müssen. Die Aussage war eigentlich, dass jedes Paar selbst wissen muss, ob es zwei oder sieben oder zwölf Kinder will. Aber so kann er das halt nicht sagen. Er geht freizügig mit Worten um, da ist er Latino. Und in manchen Punkten Macho. Bei den Interviews denke ich mir, das sind für ihn Versuchsballone. Wie reagiert der Apparat, die Kurie? Er provoziert damit Widerstand im engsten Kreis. Ich vermute, dass auch so mancher Wutausbruch des Papstes damit zu tun hat, dass es mehr Widerstand gegen ihn gibt als wir wahrnehmen. Man muss auch sehen: Mit 86 bin ich noch empfindlicher. Er ist angeschlagen. Es kann jeden Tag aus sein. Aber ich wünsche mir, dass es weitergeht! Zur Synode 2023/24 könnte ein neuer Papst sagen, ich habe andere Akzente, ich lasse das.

Sie haben vorhin die Meilensteine erwähnt, die Franziskus gesetzt hat. An welche Meilensteine denken Sie?

Batlogg: Im Februar kam die Meldung, dass in Abu Dhabi ein „Haus der abrahamitischen Familie“ eröffnet wurde. Das ist eine direkte Folge des Dokuments über die Brüderlichkeit oder Geschwisterlichkeit, das Papst Franziskus mit dem Islamgelehrten und Großimam Ahmad al-Tayyeb 2019 unterzeichnet hat. Ein interreligiöses Zentrum aus Kirche, Moschee und Synagoge – das ist herausragend. Ernst Fürlinger hat gerade bei Tyrolia das Buch „Handwerker der Hoffnung“ herausgegeben. Was da zwischen 2013 und 2022 auf dem Sektor interreligiöser Dialog passiert ist! Da merkt man: Weltreligionen sind ein großes Thema für Papst Franziskus. Dann natürlich der Weltfrieden. Und das Weltklima. Wer hätte vor „Laudato si´“ so über Klimafragen geredet, lange vor Greta Thunberg? Diese drei Themen sind global. Das ist, was ihn interessiert. Das katholische „Klein-Klein“, dieser klerikale Mief, das widert ihn an. Andererseits regiert er manchmal sogar in Diözesen hinein. Das ist problematisch. Auf der anderen Seite: Corona. Die Andacht am Petersplatz war ein ikonoklastisches Highlight. Er hat ein Gespür für den Augenblick. Er nimmt Menschen wahr. Er nimmt Menschen in die Arme. Da ist er ein unglaublich spontaner, wacher Typ. Aber er ist kein Sitzungstyp.

Trotz seiner 86 Jahre geht er manche Dinge mit unglaublicher Kraft an. Woher nimmt er die Kraft, welche Vision treibt ihn?

Batlogg: Der Gang an die Ränder. Das zeigen auch seine Reisen. Die klassischen Länder hat er ausgelassen. Warum ging er nach Myanmar, wo kaum Katholiken sind? Jetzt Südsudan. Es ist wie eine Vitaminspritze für ihn. Er sagt: Es gibt nur eine Welt. Es gibt mehrere Religionen, es gibt mehrere Gesellschafts- und Politsysteme, aber es gibt keinen Planeten B. Er nutzt die Reisen, um den Finger in Wunden zu legen. Auf Lampedusa oder auf Lesbos fragt er Europa: Was ist da die Wiege der Demokratie, der Menschlichkeit? In Straßburg auch. Das hören wir nicht gerne. Aber er setzt mit diesen Reisen politische Statements. Und weitere: Wenn er Chrisammesse feiert und dann ins Jugendgefängnis geht und Jugendlichen die Füße wäscht. Das sind einfach Zeichen! Viele fragen: Ist das Symbolpolitik oder steckt mehr dahinter? Es ist mehr als ein Stilwechsel. Er hat auch das Kirchenrecht geändert, er hat Pflöcke eingeschlagen mit Konstitutionen. Wichtig ist, wie Anna Hennesberger und Paul Zulehner sagen, dass sich die Reformimpulse von „Evangelii gaudium“ niederschlagen in der Organisationskultur und Struktur der Kirche, sprich im Kirchenrecht. Die Frage ist: Wie geht es strukturell weiter? Aber ich glaube, wir werden noch einmal dankbar zurückschauen. Unterm Strich ist die Bilanz positiv.

MONIKA SLOUK

Papst Franziskus sitzt zum Mittagessen am Welttag der Armen, dem 13. November 2022, bei seinen Gästen in der Synodenaula im Vatikan, als ihn ein Mädchen umarmt. | Foto: Stefano Carofei/Romano Siciliani/KNA
Andreas Batlogg ist Jesuit, Theologe, Buchautor und Verfasser eines Franziskus-Blogs. andreas-batlogg.de  | Foto: Stefan Hauser/EDW
Autor:

martinus Redaktion aus Burgenland | martinus

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