Ombudsstelle der Erzdiözese
„Nichts wird unter den Tisch gekehrt“

Unterstützung und Reden in geschütztem Rahmen bietet das Team der Ombudsstelle Opfern von Missbrauch an.� | Foto: RB/Prostock/shutterstock.com
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  • Unterstützung und Reden in geschütztem Rahmen bietet das Team der Ombudsstelle Opfern von Missbrauch an.
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Etliche Vorwürfe, dokumentiert in einem unabhängigen Gutachten, belasten die Diözese München-Freising schwer. Papst Benedikt XVI., früher dort Erzbischof, steht schwer in der Kritik. 173 Meldungen ist die Salzburger Diözesankommission seit 2009 nachgegangen. Erste Anlaufstelle für Opfer: Ombudsfrau Karin Roth. Mit dem Rupertusblatt spricht sie über Transparenz und Respekt.

von Michaela Hessenberger

RB: Sie sind die Ombudsfrau der Erzdiözese Salzburg. An Sie wenden sich Menschen, die missbraucht wurden – geistlich, psychisch, körperlich. Wie oft klingelt Ihr Handy?
Karin Roth: Manchmal mehrmals am Tag, mehrmals die Woche und dann wieder weniger oft. Doch nicht jeder Anruf ist freilich eine Meldung über einen Missbrauchsfall. Ich bin seit 2009 in der Ombudsstelle, leite sie seit 2011. Im Laufe der Jahre haben mir Klienten ihre Fälle geschildert. Mit manchen von ihnen habe ich immer noch Kontakt, sie melden sich, wenn etwa neue Fragen auftauchen. Außerdem können sich Menschen an uns wenden, wenn Fragen oder Unsicherheiten in Bezug auf dieses Thema auftauchen, aber auch Anfragen für Schulungen, etwa „Worauf kann ich bei Gesprächen mit Betroffenen achten?

RB: Bekommen Sie mehr Anrufe, seit die Ergebnisse des Missbrauchs-Gutachten von München-Freising in den Medien sind?
Roth: Nein, davon merke ich derzeit nichts. Mediale Berichterstattung triggert schon immer wieder die eine oder andere Person. Eine spürbare Spitze an Meldungen verzeichnen wir allerdings nicht.

RB: Was muss passieren, damit sich jemand an Sie wendet?
Roth: Der Zeitpunkt der Meldung hat häufig mit der persönlichen Lebenssituation zu tun. Zum Beispiel, wenn das Kind oder das Enkerl in ein Alter kommt, in dem einem selbst eine Grenzüberschreitung oder ein Missbrauch geschehen ist. Dann hat man plötzlich wieder alles am Schirm. Oder wenn jemand im Krankenhaus liegt und dadurch eine Art Kontrollverlust spürt. Auch so etwas kann Erlebtes wieder aufs Tablett bringen.

RB: Ihre Aufgaben als Ombudsfrau?
Roth: Mein Team und ich sind für die Menschen zuständig, die im Kontext der katholischen Kirche körperlichen, seelischen, sexuellen oder auch geistlichen Missbrauch erlebt haben. Wir nehmen ihre Erlebnisse auf und begleiten sie bei weiteren Schritten.

RB: Was brauchen Opfer, damit sie sprechen können?
Roth: Wenn es irgendwie möglich ist, möchten wir mit den Klienten persönlich sprechen. Wer nicht nach Salzburg kommen kann, den besuchen wir gerne. Sitzt man sich wirklich gegenüber, dann transportiert diese Begegnung so viel mehr, als bei einem Telefonat spürbar wäre. Wenn eine Flut an Informationen kommt, merke ich besser, worum es geht, wenn ich den Menschen ansehen kann – und er mich.

RB: Ist Offenheit der Schlüssel zu ehrlichen Worten?
Roth: Mir ist eine Grundhaltung wichtig, die es der Person ermöglicht, ehrlich zu sein. Das Um und Auf ist, sie ernst zu nehmen. Für meine Arbeit brauche ich die Bereitschaft zuzuhören – und einen tiefen Respekt vor dem Schicksal des anderen. Ich maße mir nicht an, in so einem Gespräch Lösungen aus dem Ärmel zu schütteln. Aber ich kann da sein und zuhören. Nachfragen, auch wenn es schwierig ist. Diesen Mut muss ich haben. Sonst kann ich auch nicht die Dokumentation für die unabhängige Opferschutzkommission erstellen.

RB: Bleibt das Gesagte also nicht nur bei Ihnen?
Roth: Grundsätzlich haben alle Mitarbeitenden der Ombudsstelle eine Verschwiegenheitspflicht. Zeitgleich ist es unsere Aufgabe, für das Opfer zu handeln. Deshalb dokumentiere ich, was wir besprechen. Das Protokoll gehen wir dann gemeinsam durch. Die Zeilen müssen das Erlebte der Person so gut wie möglich widerspiegeln. Erst wenn es die Freigabe des Opfers gibt, geht das Gesagte den in der Rahmenordnung vorgesehenen Weg an die Opferschutzkommission, die weitere Schritte einleitet. Da geht es dann zum Beispiel um die Höhe der freiwilligen finanziellen Hilfeleistungen oder die Bezahlung von Therapiestunden.

RB: Wie erleben Sie die Stimmung nach dem Abschicken des Protokolls?
Roth: Oft ist viel Erleichterung dabei, wenn man sich Leid von der Seele reden kann. Manche finden zuerst schwer Worte, um überhaupt beschreiben zu können, was ihnen widerfahren ist.

RB: Mit wie vielen offiziellen Anfragen sind Sie bisher als Ombudsfrau betraut gewesen?
Roth: Anrufe kamen viele, und viele dieser Anliegen habe ich auch an die verschiedenen Diözesankommissionen weitergeleitet. Ein guter Teil davon ist in Salzburg zu bearbeiten: Die Diözesankommission bearbeitete seit März 2010 insgesamt 173 Anfragen, wobei diese Zahl nicht bedeutet, dass es so viele Vorhalte von Missbrauch oder Gewalt gab. Bringt die Aufarbeitung aber Klarheit, werden die von der Diözesankommission bearbeiteten Anliegen anschließend an die „Klasnic-Kommission“ übergeben.

RB: Welche Anfragen geben Sie denn nicht weiter?
Roth: Solche, bei denen in der Recherche gleich klar wird, dass die Erzdiözese Salzburg nicht zuständig ist. Das kann sein, dass der Vorfall nicht in der katholischen Kirche geschehen ist, oder dass es um keinen kirchlichen Träger geht. Die Ombudsstellen arbeiten ja sehr niederschwellig – deshalb kann jeder Mensch zu mir kommen, egal, aus welchem Bundesland oder mit unterschiedlichen Anfragen, die dieses Thema betreffen. Falls wir bei der Fallaufnahme merken, dass es sich hier nicht um unseren Zuständigkeitsbereich handelt, vermitteln wir an die Zuständigen.

RB: In der Diskussion um das Münchner Missbrauchsgutachten fiel auch der Vorwurf, die Kirche regle ihre Angelegenheiten gern selbst. Ist das so?
Roth: Das erlebe ich in meiner Arbeit anders. Das Kirchenrecht bietet ja hier einen zusätzlichen Weg, der aber nicht eine Konkurrenz zu staatlicher Strafverfolgung ist. Es gibt für uns in Österreich ja klare Vorgaben, die auch in der Rahmenordnung beschrieben sind. In dem Moment, in dem ein strafrechtliches Vergehen verortet wird, empfehlen wir natürlich eine Anzeige. Eine klare Antwort kann ich hier nur für die von meinem Team und mir bearbeiteten Fälle geben und seit der Zeit, in der ich die Ombudsstelle leite, habe ich kein einziges Mal erlebt, dass etwas unter den Tisch gekehrt worden wäre.

RB: Ein guter Teil Ihrer Arbeit dreht sich um Prävention, also um das Vorbeugen, dass keine Übergriffe passieren können. Ist das allein Ihre Aufgabe?
Roth: Im Gegenteil! Prävention geht im Grunde uns alle an. Missbrauch fängt ja meist nicht erst bei Vergewaltigung an. Am Anfang kann er geistlich sein oder psychisch, sich entwickeln. Im Alltag ist es wichtig, hinzuschauen – und bei Grenzüberschreitungen in allen Lebensbereichen den Mund aufzumachen. Sehe ich Unrecht, muss ich mich trauen zu sagen „Hey! Das passt nicht!“

RB: Wie kann Kirche ein sicherer Ort sein?
Roth: Indem es uns das gelingt, überall sichere Systeme zu schaffen – ob in der Kirche, Schule, daheim. Wenn unsere Systeme Wachstumsorte sind, dann ist genau dort Entwicklung und Heilung möglich.

RB: Es gibt immer noch Stimmen, die sagen, dass in Sport- und anderen Vereinen viel mehr Missbrauch herrscht als in der Kirche. Ein zulässiges Argument?
Roth: Nein! Es geht ja hier nicht um einen Wettbewerb, wer mehr oder weniger gemacht hat. Prävention und Aufarbeitung von Missbrauch werden auch keinen Punkt erreichen, an dem man fertig ist. Wenn wir gesunde Systeme bauen wollen, braucht es ein gesundes Dranbleiben. Sich auf Erreichtem auszuruhen gehört nicht dazu.

Ombudsstelle der Erzdiözese Salzburg

Die Ombudsstelle versteht sich als Anlaufstelle für Menschen, die Opfer von sexuellem Missbrauch und Gewalt durch kirchliche Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen geworden sind. Hilfesuchende haben die Möglichkeit, in einem geschützten Rahmen über ihre belastenden Erlebnisse zu sprechen Das Team der Ombudsstelle möchte einen Raum des Vertrauens anbieten. Ziel ist es, betroffene Menschen darin zu unterstützen, Erfahrenes aufzuarbeiten und zu bewältigen. Die Ombudsstelle untersteht keinem kirchlichen Vorgesetzten, sie bietet ihre Hilfeleistungen außerdem kostenlos an. Ihr Beratungs- und Hilfsangebot richtet sich an die Opfer. Hilfestellung kann die Form finanzieller Unterstützung haben, eine Rechtsberatung ermöglichen oder auch die Vermittlung einer psychotherapeutischen Behandlung umfassen. 

Darüber hinaus versucht das Team, durch Öffentlichkeitsarbeit und Fortbildungen zur allgemeinen Bewusstseinsbildung und zur Prävention beizutragen.

Kontakt zu Ombudsfrau und Ombudsstelle: karin.roth@insight-international.at, 0676/8746 6920, www.eds.at.

Erzbischof Franz Lackner | Foto: RB/Neumayr

Stellungnahme von Erzbischof Franz Lackner

„Wir bekennen: Die katholische Kirche als Institution ist in ihrer langen Geschichte auch schwer schuldig geworden. Die Schwere der großen Schuld unserer Zeit, des Missbrauchs, liegt im unsäglichen Leid, das Kinder und Schutzbedürftige erfahren mussten. Ihre Klage müssen wir hören; wir dürfen uns nicht verschließen. Bei der Aufarbeitung der Missbrauchstaten stehen die Opfer im Mittelpunkt. Wieder und wieder bitten wir um Verzeihung. Ihnen gilt unser tiefstes Mitgefühl. Ehrlichen Herzens wollen wir Wege der Wiedergutmachung beschreiten.
Die Kirche in Salzburg und Österreich verpflichtet sich dieser Aufgabe. Wir nehmen Verantwortung wahr: Seit 2010 sind zahlreiche Maßnahmen getroffen worden, Erlittenes konsequent und transparent aufzuarbeiten und jeder Form solcher Untaten vorzubeugen. Auf dass Missbrauch nie mehr geschehe!“

Autor:

Ingrid Burgstaller aus Salzburg & Tiroler Teil | RUPERTUSBLATT

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