Markus Schlagnitweit im Gespräch
Es gibt kein unpolitisches Christentum

Der Direktor der Katholischen Sozialakademie ist gemeinsam mit Daniela Feichtinger im Buch „Was würde Jesus tun?“ der politischen Kraft des Christentums nachgegangen. Ein Gespräch über Glaube und Politik:

„Was würde Jesus tun? Anregungen für politisches Handeln heute“ ist der provokante Titel Ihres jüngsten Buches. Wie gehen Jesus und Politik zusammen?
Schlagnitweit: Im Römischen Reich war die Kreuzigung die Strafe für politische Aufrührer. Das heißt im Klartext, dass die Botschaft Jesu in seiner Zeit als politisch brisant und gefährlich für die religiösen und politischen Machthaber verstanden wurde. Viele seiner Anhänger haben auch erwartet, dass er das jüdische Königreich wieder errichtet.

Jesus sagt aber ganz klar: „Mein Reich ist nicht von dieser Welt.“

Schlagnitweit: Jesus hat natürlich nie nach Macht in dieser Welt gestrebt. Aber seine Aussagen haben dennoch eine klare politische Komponente mit Auswirkungen auch für unsere Zeit. Wir zeigen dies ausgehend von bestimmten Evangelienstellen. Heute wird das Evangelium gerne als eine Art individueller Lebensratgeber ausgelegt. Es wird viel zu wenig darauf geschaut, was es für die heutige Gesellschaft bedeutet. Denken Sie an das Thema Reichtum und Armut. Im Gleichnis von den Tagelöhnern der ersten und der letzten Stunde finden sich Ansätze, die meines Erachtens ein bedingungsloses Grundeinkommen rechtfertigen könnten. Es geht darum, dass jeder Mensch einen Anspruch auf Existenzsicherung hat. Mit solchen Bezügen versuchen wir, das Evangelium für ein heutiges politisches Leben auszulegen.

Beinhaltet das nicht auch, aufzustehen, hinauszugehen und sich für eine Gesellschaft bzw. Politik im Sinne des Evangeliums einzusetzen?
Schlagnitweit: Genau. Wenn ich das Kreuz ernst nehme, dann ist ein entpolitisiertes Christentum, das sich auf die eigenen vier Wände beschränkt, ein Verrat an Jesus selbst. Wenn wir Jesus nachfolgen wollen, gehört dieses Engagement dazu.

Viele meinen, Religion sei Privatsache. Ist es so?
Schlagnitweit: Religion ist nie Privatsache. Es gibt Versuche, sie aus dem öffentlichen Raum zu verdrängen. Die Entscheidung, dass ich mein Leben als Gläubiger leben möchte, ist zwar persönlich, hat aber eine Auswirkung auf das gesellschaftliche Leben. Religion ist immer die Durchdringung des Lebens. Sobald also Religion das Leben eines Menschen prägt, hat dies Auswirkungen auf die Welt.

Es gibt Parteien, die das „C“ für „Christlich“ in ihrem Namen führen. Was aber ist christliche Politik?
Schlagnitweit: Diese Parteien zeigen lediglich, dass sie sich auf Religion berufen – ob zu Recht oder nicht, ist immer kritisch zu diskutieren. Das Evangelium gibt ja keine konkreten Handlungsanweisungen, schon gar nicht für die heutige Politik. Es geht aber um das Grundanliegen. Wenn ich das Beispiel von den Tagelöhnern vorhin erwähnt habe: Es ist nicht gesagt, dass Existenzsicherung nur durch ein Grundeinkommen gewährleistet ist. Es kann auch andere Wege geben. Darüber sollte man diskutieren können. Aber DIE „christliche“ Politik gibt es nicht.

Eine Politik nach dem Evangelium forderten auch die lateinamerikanischen Befreiungstheologen und wurden dafür als Marxisten bezeichnet. Auch Papst Franziskus stößt mit seiner Kritik am Wirtschaftsliberalismus immer wieder auf ähnliche Kritik. Ist Politik gemäß dem Evangelium links?

Schlagnitweit: Links und rechts in diesem Sinne sind historische Kategorien, die hier nicht weiterhelfen. Marxismus und Kommunismus beinhalten Annahmen, die mit dem Christentum und der katholischen Soziallehre nicht vereinbar sind. Dieser geht es stets darum, dass der Mensch sich frei entfalten kann und frei um ein gerechtes Miteinander ringt. Das hat nichts mit Klassenkampf und marxistischer Geschichtsauffassung zu tun. Da gibt es schon entscheidende Unterschiede. Was die Kritik am Papst betrifft: Natürlich stimmen die Soziallehre und das Evangelium nicht mit den ungezügelten Marktmechanismen überein, wie wir sie im aktuell dominierenden Neoliberalismus erleben. Dagegen aufzustehen, halte ich nicht für links, sondern für ein Eintreten zugunsten der Würde des Menschen.

Kritik seitens der Kirche an der bestehenden Politik wird aber mitunter als unbotmäßig betrachtet. Ich denke da an die Chatprotokolle zwischen Bundeskanzler Sebastian Kurz und dem jetzigen Öbag-Chef Schmid. Wie beurteilen Sie dieses Vorgehen?
Schlagnitweit: Ein solches Vorgehen ist natürlich schärfstens zu kritisieren. Wenn man meint, dass man sich eine Religionsgemeinschaft so gefügig machen kann, ist das an sich schon ein politisches Vergehen, das einer Demokratie unwürdig ist. Politiker agieren hier wie Machthaber, denen es nur um ihre eigene Macht geht und nicht um den Dienst am Gemeinwohl – wofür sie ja eigentlich gewählt wurden. Ich halte diese Protokolle nicht nur für ein politisches, sondern auch für ein menschliches Versagen. Außerdem ging es ja nicht um Rechte der katholischen Kirche alleine, sondern aller in Österreich anerkannten Religionsgemeinschaften.

Die Kirchenleitung hat sich ohnehin sehr lange von politisch brisanten Themen ferngehalten. Erst in jüngster Zeit haben Bischöfe die Migrationspolitik kritisiert. Ist das gerechtfertigt?

Schlagnitweit: Das sind Themen, bei denen die Kirche nicht schweigen darf. Es geht um Menschenleben und die Würde von Menschen. Natürlich ist das Migrationsthema hoch komplex. Nur zu sagen: „Grenzen auf!“, ist auch naiv. Aber diese Unmenschlichkeit, mit der man die Flucht nach Europa verhindern will, ist unerträglich. Niemand nimmt leichtsinnig solche Strapazen auf sich. Ich bin froh, dass sich hier einige Bischöfe zu Wort melden. Es geht im Christentum immer um das Wohl und die Würde des Menschen. Dabei ist es egal, woher er kommt. Denken Sie nur an das Gleichnis vom Barmherzigen Samariter oder an „Fratelli tutti“ von Papst Franziskus, wo er die universale Geschwisterlichkeit einfordert.

Autor:

Gerald Heschl aus Kärnten | Sonntag

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