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Leitkultur, oder?

Eine Reduktion des Leitkultur-Begriffs auf christliche Feiertage, Sonntagsruhe und Gipfelkreuze „entleert das Christentum, das alle kulturellen und nationalen Grenzen übersteigt und dessen Ethik der Nächs-ten-, Fremden- und Feindesliebe in der Nachfolge Christi universalistisch ist“, betont der Theologe Ulrich Körtner.

Das Christentum hat auch in Zukunft einen Beitrag für eine „politische Kultur im Geist der Menschenrechte“ zu leisten, ohne diese exklusiv für sich zu reklamieren. Das hat der evangelisch-reformierte Theologe Ulrich H. J. Körnter in einem Gastbeitrag für die „Kleine Zeitung“ eingefordert. Körtner äußerte sich vor dem Hintergrund der von der ÖVP gestarteten Debatte um eine „Leitkultur“, die er als „inzwischen vergifteter Begriff“ bezeichnete. Eine „breite Debatte darüber, was unsere kulturell und weltanschaulich plurale Gesellschaft im Innersten zusammenhält“, hielt er dennoch für wünschenswert.

Religion spiele in Europa heute grundsätzlich nicht mehr jene Rolle wie einst im „sogenannten christlichen Abendland“ oder auch derzeit noch in islamischen Ländern, hielt Körtner fest. Dennoch brauche der säkulare, demokratische Rechtsstaat wie auch die pluralistische Gesellschaft „Bindekräfte, die über die bloße Befolgung von Rechtsvorschriften und materielle Bedürfnisbefriedigung hinausgehen“. Vor allem die Menschenrechte, gemeinsam mit Demokratie, Laizismus, Aufklärung und Zivilgesellschaft müssten zu einer „Hausordnung für Menschen aus verschiedenen Kulturen in einem werteorientierten Gemeinwesen“ gehören.

Dabei seien Menschenrechte und die unveräußerliche Menschenwürde jedoch „ebenso begründungsoffen wie begründungswürdig“, fuhr der Professor für Systematische Theologie an der Universität Wien fort. Beide lebten von „Voraussetzungen, die sie selbst nicht garantieren können“, so Körtner in Abwandlung eines Ausspruchs des 2019 verstorbenen deutschen Verfassungsrechtlers Ernst-Wolfgang Böckenförde.

Als „Pointe der Menschenrechte“ nannte es der Experte, „dass sie nicht exklusiv aus einer bestimmten Weltanschauung oder Religion herleitbar sind, ihre Überzeugungskraft gleichwohl nicht nur von humanistischen, sondern auch von religiösen Prägekräften gewinnen“. Dabei sei es unbestreitbar, dass das Christentum einen wichtigen Beitrag zur Entstehung der modernen Menschenrechte geleistet habe. „Gläubige Christen wie der spätere Papst Johannes XXIII.“ seien Wegbereiter der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte von 1948 gewesen, so der evangelische Theologe.

Eine Reduktion des Leitkultur-Begriffs auf christliche Feiertage, Sonntagsruhe und Gipfelkreuze „entleert das Christentum, das alle kulturellen und nationalen Grenzen übersteigt und dessen Ethik der Nächsten-, Fremden- und Feindesliebe in der Nachfolge Christi universalistisch ist“, betonte Körtner. Zu den „Prägekräften des Christentums“ gehörten auch in Zeiten einer massiven Kirchenkrise „Solidarität mit den Schwachen, die es übrigens nicht nur an den Rändern der Gesellschaft, sondern auch in ihrer Mitte gibt, Achtung und Wertschätzung statt Ausgrenzung, und die Beteiligung an der Suche nach dem, was dem Gemeinwohl dient“. Diese gelte es zu stärken, so der Theologe.

Die Leitkultur-Debatte in der von der ÖVP lancierten Form lehnte Körtner ab, zumal sie mit „Brauchtumsbeschwörung“ und einer Verkehrung ins Nationale den Kern der Sache nicht treffe. Scharf kritisierte er zudem auch das Timing der Kampa-gnen-Präsentation in der Karwoche. Just am Karfreitag, „der im Zeichen des auf Golgatha errichteten Kreuzes Jesu steht“, sei das Sujet der Errichtung eines Maibaums veröffentlicht worden. „Besser kann man eigentlich kaum zeigen, wie wenig man noch mit einem jesuanischen Christentum am Hut hat“, so Körtner.

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martinus Redaktion aus Burgenland | martinus

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