Interview mit Jussuf Windischer
Wie Bettlern begegnen?

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Die einen verschreien sie als Bettlerbande, den anderen tun sie leid, viele wissen nicht, wie sie auf sie reagieren sollen: Wie können sich Menschen verhalten, wenn sie von Bettlern um Geld gebeten werden? Jussuf Windischer gibt im Gespräch mit dem Tiroler Sonntag ein paar Orientierungshilfen. Ein Interview zum Fest des heiligen Martin am 11. November.

Den Christen ist die Nächstenliebe ins Stammbuch geschrieben. Dennoch wissen viele nicht, wie sie auf Bettler reagieren sollen.
Jussuf Windischer: Als Christen sind wir zwar grundsätzlich den Armen gegenüber gut gesonnen, aber wir sind manchmal einfach überfordert. Es gibt eben auch mühsame, aufdringliche Menschen unter den Bettlern. Aber die gibt es, wenn wir ehrlich sind, in jeder Gemeinschaft, vielleicht auch in der eigenen Pfarre.

Wie kann man reagieren, wenn man einem Bettler begegnet?
Windischer: Wichtig ist: Auch Bettler haben einen Namen. Wir können sie nach ihrem Namen fragen und uns selbst mit Namen vorstellen. Dann hat man den Grundstein für eine Beziehung gelegt. Manche Menschen fühlen sich von Bettlern in die Enge getrieben und werden dadurch unsicher und ärgerlich.
Windischer: Jede und jeder bestimmt selbst, ob und wie viel er einem Bettler geben will. Wenn Bettler respektlos werden, nachbetteln, einem körperlich zu nahe kommen oder sich beschweren, wenn sie ihrer Meinung nach zu wenig bekommen, dann darf und soll man auch grantig werden. Das muss man nicht akzeptieren und da muss man eine Grenze ziehen, notfalls einfach die Straßenseite wechseln oder weggehen. Auch das Betteln in den Kirchenbänken sollte man nicht zulassen und die Bettler deutlich darauf hinweisen. Wichtig ist, dass man sich kein schlechtes Gewissen machen lässt. Die Entscheidung, etwas zu geben, liegt allein beim Gebenden.

Und wenn man wirklich etwas geben will?
Windischer: Dann ist es hilfreich, wenn man schon vorher überlegt, wieviel man geben will. Man kann sich zum Beispiel ein bestimmtes Budget überlegen, das man ausgeben will, wenn man Bettlern begegnet.

Ein Vorwurf lautet oft, dass die Bettler in Banden organisiert wären und das Geld abliefern müssen. Was ist da dran?
Windischer: Das ist ein Mythos, der so nicht stimmt. Die meisten Bettler sind Arbeitsmigranten, die im Familienverbund zu uns kommen, weil sie daheim keine Arbeit finden. Das Problem sind nicht die Banden, sondern die Armut. Das kann man vielleicht nicht endgültig aus der Welt schaffen, aber man kann durch eine kleine Spende dazu beitragen, dass jemandem geholfen wird.

Manche Menschen wollen den Bettlern etwas zu Essen kaufen als ihnen Geld zu geben.
Windischer: Es gibt, vor allem in Innsbruck, genügend Angebote für kostenlose Mahlzeiten. Diese Menschen brauchen wirklich das Geld. Die Bettler bitten in den meisten Fällen ja nicht für sich selbst, sondern für eine oft sehr große Familie in der Heimat, die sie mit den Spenden unterstützen.

Wer bettelt, wird meist darauf reduziert, dass er arm und bedürftig ist. Kann man das nicht auch anders sehen?Windischer: Auch bettelnde Menschen sind vielseitig, sie sind nicht nur arm. Sie haben Talente und Fähigkeiten, können vielleicht musizieren oder tischlern, haben kleine Kinder und kümmern sich um Haus und Familie in der Heimat. Es ist schön, wenn es uns gelingt, den Menschen hinter den Bettlern zu sehen und sie nicht auf ihre finanzielle Bedürftigkeit zu reduzieren.

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Jussuf Windischer ist Obmann der Vinzenzgemeinschaft Waldhüttl, in dem Arbeitsmigrant/innen aus Ungarn und Rumänien leben. | Foto: Hölbling
Autor:

Walter Hölbling aus Tirol | TIROLER Sonntag

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