Zum Internationalen Frauentag
Claudia Wisiol: „Heute bin ich so gerne Frau“

Der Kosmos des Lebens: die Osttiroler Dichterin Claudia Wisiol ist ihm in ihren Gedichten auf der Spur. | Foto: Wisiol
  • Der Kosmos des Lebens: die Osttiroler Dichterin Claudia Wisiol ist ihm in ihren Gedichten auf der Spur.
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109 Jahre ist er nun alt, der Internationale Frauentag. 1910 hatten bei der zweiten Internationalen Sozialistischen Frauenkonferenz in Kopenhagen 100 Delegierte aus 17 Ländern das Wahlrecht der Frauen, ihre Gleichberechtigung und Emanzipation gefordert. Seit fast hundert Jahren wird er nun jährlich am 8. März weltweit gefeiert. Anlass für ein Tiroler Sonntag-Interview mit der Osttiroler Autorin Claudia Wisiol.
Ein Interview von Silvia Ebner.

Claudia Wisiol, 1967 in Hopfgarten im Osttiroler Defereggental geboren, veröffentlicht gerade ihr zweites Buch „wenigstens den himmel retten" . Das Besondere daran ist, dass es – wie schon ihr erstes Buch „im augenblick die ewigkeit" ein Lyrikband ist. Begleitende Ausstellungen lassen ihr Werk zu einem verwobenen Gesamtkunstwerk werden.

Verwobene Gedichte.

War es 2016 eine Ausstellung zum Thema „im augenblick die ewigkeit“, bei der sie Fotographie und Text zu einer Einheit verschmolz, so arbeitet sie zur Zeit an einer Ausstellung zum Thema „wegbeschreibung/im vergehen/ innenansicht/“, bei der sie Naturmaterialien und Texte in Verbindung setzt mit dem ewigen Thema des Entstehens und Vergehens, des Werdens und des Sterbens. Außerdem verwebt sie ihre Gedichte mit den Dialektliedern des Osttiroler Künstlers und Liedermachers Norbert Feldner, mit dem sie bereits zwei CDs unter ihrem gemeinsamen Künstlernamen „Phonmiraus“ produziert hat: phonmiraus „dunkelweich“ (2018) und phonmiraus „weiter geht‘s“ (2019).
Die Texte und Bilder von Claudia Wisiol sind dabei vielfach nicht nur eine Hommage an das Leben, sondern vor allem an das Frausein. „Heute spüre ich, dass ich in meinem künstlerischen Tun bin, wer ich bin. Heute bin ich so gerne Frau. Heute will ich keine Männer mehr nachahmen. Heute bin ich eine Frau, ein Mensch, ein ICH, das sich selbst liebt ...mit all seinen Fehlern.“

An Ihren Texten lässt sich ablesen, dass Sie sich als Frau gefunden haben. Wie war Ihr Weg bis zu diesem runden, gesunden Frauenbild?
Claudia Wisiol: Mein Weg zu meinem jetzigen Gefühl als Frau war ein langer und es hat mich ordentlich „durchgebeutelt“ und immer wieder hin- und hergeworfen. Als Kind ist man zuallererst einmal Mensch. Man ist klein und groß zugleich und das ist das Wunderschöne daran, weil man von all dem, was einen noch gesellschaftlich einengen wird, nichts weiß. Ich war ein sehr freier, kreativer Geist mit einem unbändigen Freiheitsdrang, aber sehr früh habe ich gespürt, dass es da eine mir völlig unergründliche und unverständliche Macht gab, die bei den Buben lag. Vieles schien leichter zu sein, wenn man in der Haut eines Buben steckte. Die einzige Möglichkeit, um den gleichen Wert zu erlangen wie meine männlichen Spielfreunde, die ich damals als kleines Mädchen für mich sah, war, im Spiel bewusst klassische „Bubenrollen“ einzunehmen.

Erinnern Sie sich an Stationen in Ihrem Leben, die für Ihr Wachstum besonders bedeutsam waren?
Wisiol: In der Pubertät – mit der Veränderung des eigenen Körpers und dem Vergleichen mit anderen jungen Frauen – schlich sich der Wunsch, gefallen zu wollen, in mein Leben. Zu diesem Zeitpunkt habe ich mich aus heutiger Sicht zum ersten Mal „klein gemacht“, kleiner als ich in Wirklichkeit war. Ich habe begonnen, mein wahres Ich zu verstecken und ein anderes, wie mir schien „gesellschaftlich willkommeneres Ich“ vorzutäuschen. Dies stürzte mich in eine Sinnkrise. So begann ich mit ca. 13 Jahren zu schreiben. Wer bin ich eigentlich? Wo komme ich her? Wohin gehe ich? Wie lebe ich mein Menschsein hier auf dieser Erde als Frau? Was wäre anders, wenn ich ein Mann wäre? Ich denke, Schreiben war schon damals therapeutisch für mich.

Welche Frauenbilder wurden für Sie wichtig?
Wisiol: Ich habe mich als junge Frau viel mit dem Frauen- und Männerbild in der Kirche auseinandergesetzt. Ich habe nie verstanden, warum das Menschsein in der Kirche nicht über dem Mann- und Frausein steht. Mit Partnerschaft, Familie und Kindern erfüllte ich und erfüllte mich das Frauenbild zur Gänze. In dieser Zeit wandelte sich etwas in mir.
Ich begann es zu lieben, eine Frau zu sein. Ich liebte es, Leben in mir wachsen zu spüren, ich liebte es, diese innige Beziehung, wie sie einzig eine Mutter haben kann, zu meinen Kindern zu spüren, ich liebte es, Mama zu sein, ich liebte es, mich als Frau so voll und rund und ganz wahrnehmen zu dürfen.
Als meine Söhne dann in ihr eigenes Leben einzutauchen begannen, meldete sich der große Wunsch nach mir selbst wieder in mir. Der große Wunsch, meinem Selbst entgegen zu leben. Meine künstlerische Arbeit ist im Grunde eine intensive Begegnung mit meinem Selbst, mit meinem Ich.

Was bedeutet Frausein für Sie?

Wisiol: Frausein ist für mich Menschsein mit all den Möglichkeiten, die dieses Menschsein als Frau bietet. Frausein hat so unendlich viele Nuancen, so viele Farben und Zwischentöne. Jede Frau ist ein Kunstwerk, wenn sie sich traut, mit ihren eigenen Farben zu malen. Frausein bedeutet für mich, dass ich mich in einer ungeheuren Kraft wahrnehmen darf, in einer Verbindung mit Mutter Erde und mit dem Kosmos. Frausein bedeutet für mich, dass ich mich als Wesen erkennen darf, in dem Leben entstanden und gewachsen ist und ich bin unendlich dankbar für dieses Lebensgeschenk .

Worin liegen für Sie die größten Stärken der Frauen?
Wisiol: In unserer Verbindung zur Natur, in unserer Intuition, in unserer Sinnlichkeit, in unserer Achtsamkeit, in unserem guten Gespür für Menschen und Situationen. Unsere Intuition, unsere „innere Stimme“, unser untrügliches Bauchgefühl, führt uns durch unser Leben, wenn wir sie lassen, wenn wir sie hören und wenn wir auch nach ihrer Stimme zu handeln beginnen.

Was sind die größten Herausforderungen für uns Frauen heute?
Wisiol: Dran zu bleiben und weiterzugehen. Uns aus dem immer noch vorherrschenden Energie- und Gesellschaftsmuster zu befreien, uns aus Opferrollen zu befreien, uns bewusst zu entscheiden, den weiblichen Weg der weiblichen Energie folgend zu gehen. Dann, so bin ich fest überzeugt, kann Großes passieren. Für einen friedvollen Gleichklang aller Energien auf unserer Erde braucht es die weibliche Energie genauso wie die männliche.

Was wünschen Sie Frauen auf ihrem Weg?
Wisiol: Ich wünsche Frauen, jung wie alt, dass sie sich selbst lieben können, genauso wie sie sind. Ich wünsche uns Frauen, dass wir mutig sind und uns trauen.

Autor:

TIROLER Sonntag Redaktion aus Tirol | TIROLER Sonntag

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