Kommentar von Lydia Kaltenhauser
Gott schläft nicht

Dunkelheit gehört zum Leben wie die Nacht zum Tag. So weit, so banal. Wir können sie nicht vermeiden – aber wir können lernen, anders mit ihr umzugehen.

Die „dunkle Nacht der Seele“ haben viele Mystiker:innen als Fortschritt im geistlichen Leben erfahren, Antoine de Saint-Exupéry lobte sie als „selbstverständliche Zugabe zum Leben, durch die wir wachsen und reifen.“ Christ:innen glauben, dass Gott uns im Leid ganz nah ist. Doch wenn sich Dunkelheit im Leben ausbreitet, helfen diese Weisheiten wenig. Wie sehr hat es mich gestört, als es zu Beginn der Corona-Panedemie reflexartig hieß: „Diese Krise wird uns etwas lehren! Wir werden als bessere Menschen daraus hervorgehen!“ Nein. Erstmal ist Krise. Und die tut weh, man will, dass sie schnellstmöglich vergeht. Wie gut tut es dann, wenn Menschen einfach da sind und mitfühlen, helfen, den Schmerz auszuhalten, bewusst hindurchzugehen und ihn als Teil des Menschseins zu akzeptieren. Dann kann vielleicht auch das Vertrauen wachsen: Da ist einer, der schläft nicht. Er bleibt für uns wach, auch in der größten Dunkelheit. Das macht die Nacht nicht gleich heller. Aber das Warten auf den Sonnenaufgang fällt ein bisschen leichter.

Autor:

Lydia Kaltenhauser aus Tirol | TIROLER Sonntag

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