Schlusspunkt von Józef Niewiadomski
Der schüchterne Tim

„Zeichnet etwas, wofür ihr dem lieben Herrgott danken wollt”, sagte die Lehrerin zu den Erstklässlern. Es war dies eine der letzten Schulstunden vor den großen Ferien. In einem pandemiefreien Jahr! Sie zeichneten Süßigkeiten, Katzen und Vögel, schöne Blumen. Lächelnd stellte die Lehrerin fest, dass ihr Unterricht Spuren hinterlassen hatte: „Jedes Tierlein hat sein Essen, jedes Blümlein trinkt von dir … lieber Gott hab Dank dafür.“ Sie kam zu Tim, beugte sich über seine Zeichnung, konnte ihre Überraschung nicht verbergen. Der Kleinste der Klasse hatte eine Hand gezeichnet. „Was glaubt ihr: Wessen Hand hat der Tim da gemalt?”, fragte sie die anderen Kinder. „Die Hand Gottes“, sagte eine Musterschülerin. „Nein“, protestierte ein Witzbold. „Es ist die Hand des Mannes aus der Würstelbude”. Die Klasse lachte laut. „Wessen Hand hast du gezeichnet? Für wen willst du dem lieben Herrgott danken?”, fragte sie den kleinen Tim. „Es ist deine Hand”, antwortete der Bub ganz schüchtern. Da dachte die Lehrerin daran, dass sie Tim öfters bei der Hand nahm, um ihn zum Ausgang zu begleiteten. Das machte sie zwar auch mit anderen Kindern. Doch für den schüchternen Tim bekam diese Geste eine besondere Bedeutung. Am Ende des kontaktarmen Schuljahres sei die Geschichte den Lehrerinnen und Lehrern gewidmet.

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TIROLER Sonntag Redaktion aus Tirol | TIROLER Sonntag

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