Roland Rasser im Interview
Warum Sirtaki, Herr Generalvikar?

Foto: RB/eds

Zum 70er. Seit 2017 ist Roland Rasser Generalvikar der Erzdiözese Salzburg. Im großen Interview mit dem Rupertusblatt spricht der 70-Jährige – er feierte am 28. Juni seinen runden Geburtstag – über seine Berufung, seinen Werdegang, seine Erfahrungen und Sorgen in der Erzdiözese und warum Pfarrersein der schönste Beruf von allen ist.

von David C. Pernkopf

RB: Bei Ihrer Geburtstagsfeier wurde heftig getanzt. Was verbindet den Generalvikar mit Liedern von Udo Jürgens, Macarena oder einem Sirtaki-Tanz?
Generalvikar Roland Rasser: Seit meinem Tanzkurs als Mittelschüler bin ich Nichttänzer. Mit einer Ausnahme: Als Pfarrer in Saalfelden war es eine gute Tradition, am Rosenmontag im Altersheim mit den Bewohnerinnen und Bewohnern, sowie dem Personal Sirtaki zu tanzen. Diese Kunde ist dann in das Personalreferat gedrungen und deswegen haben wir bei meiner Geburtstagsfeier getanzt. Nicht nur den Sirtaki.

RB: Also keine wirkliche Beziehung zur Popmusik, zum Tanz?
Rasser: Mein erster Anlauf in eine Diskothek zu gehen, ist gleich am Anfang gescheitert. Während meiner Militärzeit wollten wir in eine Disko gehen. Da wir aber keine Krawatte hatten, ließen uns die Türsteher gar nicht rein. Ich hab dann keinen weiteren Versuch mehr unternommen. Die Lautstärke hat mich immer abgeschreckt.

RB: Wenn Sie auf die 70 Jahre Ihres Lebens blicken, was kommt in den Sinn?
Rasser: Ich habe das Gefühl, dass ich auf meinem Lebensweg gut geführt worden und immer jenen Menschen begegnet bin, die mich auf die nächs-te Etappe gebracht und vorbereitet haben. Aber mein Leben ist ganz anders verlaufen als ich es mir als Jugendlicher mit 17, 18 Jahren vorgestellt habe. Ich dachte daran Architekt zu werden, eine Familie zu gründen. 

RB: Warum Architekt?
Rasser: Da steckt wohl das Prinzip des österreichischen „Häuslbauens“ dahinter. Der Wunsch, ein Nest zu bauen, lebbare Räume für Menschen in einer familiären Situation zu schaffen, das waren so meine Ideen.

RB: Dann haben Sie aber die Architektenpläne im wahrsten Sinn des Wortes verworfen?
Rasser: Das war in der Zeit des Präsenzdienstes. Die Oberflächlichkeit vieler Kameraden hat mir gezeigt: Ich gehör da nicht dazu. Mir ist die Welt des Konsums, des „billigen Schmähs“ und des oberflächlichen Blicks auf Welt und Menschen fremd. Das war irgendwie ein Wendepunkt, ich wollte dann Lehrer, eigentlich Erzieher für Leib und Seele werden. Hab deshalb Sport und Theologie studiert. Das Priestertum war für mich damals ausgeschlossen. Ich habe dann Geschichte als drittes Fach dazu genommen. Denn die Frage: Wie ist etwas geworden, hat mich immer interessiert.

RB: War der Glaube immer schon ein fester Bestandteil Ihres Lebens?
Rasser: Ich war Ministrant und immer im Gespräch mit geistvollen Menschen. Mit einem Kooperator in Oberndorf, wo ich aufgewachsen bin, hab ich mich sehr intensiv über Leben und Glauben ausgetauscht, das hat mich sicher geprägt.

RB: Wann hat sich Gott in Ihrem Leben gemeldet?
Rasser: Ein Thema für mich war und ist immer noch die Grundfrage nach dem, was bleibt, was dieses vergängliche Leben überdauert. Diese Frage kann man nicht ohne Gott denken. Eine Erkenntnis hat mich immer begleitet: Alles Vergängliche ist ein Gleichnis. Es trägt Spuren des Ewigen. Dieses Nachdenken hat mich zum Glauben und zum menschgewordenen Gott geführt, der uns vom Vergänglichen ins ewige Leben führt. Das ist die Bodenplatte, auf der alles steht.

RB: Was bedeutet Ihre Berufung zum Priester in diesem Zusammenhang?
Rasser: Ich wollte nie Priester werden, aber von einem Zeitpunkt an bin ich den Gedanken nicht mehr losgeworden. Das Wirken des Priesters spielt sich genau in diesem Raum ab, wo sich vergängliche und unvergängliche Welt berühren und im besten Fall vereinen. Ich hab dann später festgestellt, dass andere diesen meinen Weg schon früher gesehen haben als ich selbst. Ich war in vielen Dingen ein Spätzünder, aber in der Substanz hab ich dann nie mehr daran gezweifelt.

Ich liebe meine Kirche. Aber im Lauf von mehr als 30 Jahren Priester hat sich das Bild der Kirche schon gewandelt. In dieser Zeit ist so viel sichtbar geworden, was sich im Lauf der Jahrhunderte alles angelagert hat: der Apparat, zu dem ich ja dazu gehöre, die Verwundungen, die Kirchenvertreter Menschen zugefügt haben – im Großen und im Kleinen, die Verquickung mit Machtmechanismen, Altlasten aus der Geschichte, und so manche barocken Reste, die ich hier in Salzburg deutlich sehe. Das ist wie eine Kruste, die das Vordringen zu den Intentionen unseres Gründers oft erschwert.

Ich kann schon verstehen, dass viele Jugendliche hier keinen Anschluss und keine Antworten auf ihre Fragen finden. Und doch verdanken wir dieser Kirche die wesentlichen Säulen unseres Wertesystems: etwa die Solidarität mit den Schwachen. Da wird immer noch Großartiges geleistet von dieser Kirche. Die Zivilgesellschaft hat vieles davon aufgegriffen und weiterentwickelt. Scheitern, Umkehr und Neuanfang sind möglich. Wir dürfen ja an einen heilenden Gott glauben, dem die Einsicht eines Sünders lieber ist als die Perfektion des Vollkommenen; dann die Lebensperspektive über das Vergängliche hinaus, gerade an Lebenswenden suchen Menschen oft ein Fenster, das einen Blick in die Ewigkeit öffnet.

RB: Berufung, Werdegang, Leben. Würden Sie es wieder tun?
Rasser: Ich bin zutiefst dankbar für meinen Weg und seine Begleiterinnen und Begleiter. Für Zuspruch und Widerspruch. Ich vergleiche das gerne mit einem Fluss, der erst von der Mündung her verstanden werden kann. An manchen Abschnitten scheint er in die Gegenrichtung zu fließen, dann gibt es Wendungen und Durchbrüche – und er bewässert auch die Umwege.

RB: Pfarrer, Seelsorgeamtsleiter oder Generalvikar. Was ist der schönere Beruf?
Rasser: Pfarrer, keine Frage. Pfarrersein heißt für mich, das Leben zu teilen in seinen Höhen und Tiefen. Denn dort ragt der ewige Gott in unser Leben hinein. Auch für die, die sonst mit Kirche nichts anfangen können. Gerade in so genannten Kirchenfernen entdecke ich viele Spuren des Christlichen. Aber das Pfarrersein legt man ja an der Zentrale nicht einfach ab. In der kurzen Phase als Seelsorgeamtsleiter hatte ich mit pastoralen Innovationen und Aufbrüchen zu tun, die noch immer am Wege sind. Als Generalvikar aber bin ich in der Rolle eines Steuermanns. Ich frag mich täglich, bin ich Systemerhalter einer langen Tradition oder kann ich Spielräume öffnen, die dem Geist des Evangeliums Geltung verschaffen?

RB: Was kann die Kirche den Menschen von heute geben?
Rasser: Die Kirche kann dem Menschen einen Hoffnungsraum geben. Ein wichtiger Auftrag. Das Problem ist nur, dass wir mit unserem Verhalten diesen Hoffnungsraum oft unglaubwürdig machen und ihm damit viel von seiner Wirksamkeit nehmen.

RB: Muss die Kirche nicht der Welt Jesus Christus geben?
Rasser: Wir sind alle Gott-Suchende. Auch die sich im Glauben gefestigt wähnen, gehören da dazu. Niemand kann sagen, wir haben die Wahrheit, wir haben den Glauben, wir haben Chris-tus als sei es unser Besitz. Wenn sich dieser Christus mit dem Ärmsten und Geringsten identifiziert – was ihr dem geringsten meiner Brüder getan habt, habt ihr mir getan – dann ist das eine Aufforderung, sich auf die Suche nach diesen verborgenen Spuren zu machen.

Die Frage ist, wie gelingt das? Ich meine: durch eine qualitätsvolle und menschenfreundliche Seelsorge. Wir müssen den Menschen in seinem Leben ernst nehmen als Geschöpf Gottes. Dann kann Kirche dem Menschen begegnen, Sein Leben am Beispiel der Hingabe Jesu zu orientieren. Mit all dem Scheitern, das auch er in seinem Erdenleben durchgemacht hat. Kirche hat sich lange ausgegeben als eine „societas perfecta“, eine in sich geschlossene ideale Welt. Die letzten 20 Jahre machen uns deutlich, dass dies nicht nur nicht stimmt, sondern eigentlich ein Irrglaube ist. Am meisten müssten wir uns eigentlich als Gescheiterte für Gescheiterte einsetzen. Denn auch Jesus ist in seinem Erdenleben ein Gescheiterter geworden. Aber in diesem Totpunkt hat er das Tor zum erfüllten Leben geöffnet und dieses Scheitern gewandelt.

RB: Wo liegen die großen Chancen, aber auch Probleme unserer Kirche?
Rasser: In unserer Kirche geht es sehr viel um das Definieren von Status. Wenn ich einen Brief krieg, der mit Hochwürden tituliert ist, dann ärgert es mich. Es hat nichts mit unserem Gründer und seiner Idee von Kirche zu tun. Wir kommen nicht davon los, weil wir nicht auf den Ursprung unseres Glaubens zurückgehen. Die Taufwürde verbindet uns alle gleich. Diese Chance auf Gleichheit aller müssen wir endlich entdecken. Das heißt für mich Abschied vom Klerikalismus. Die Frauenfrage ist unser ständiges Problem. Unsere Chance wäre die Rückkehr zum Evangelium. Wie es viele in der caritativen Arbeit leisten.

RB: Die unvermeidbare Frage an einen Generalvikar lautet: Wie geht es weiter in der Kirche?
Rasser: Wir werden uns von dem Prinzip verabschieden müssen, dass für alles religiöse Tun und Handeln der Pfarrer oder ein Hauptamtlicher zuständig ist. Die Frage muss sein: Wie können wir den Hoffnungsraum des Glaubens mit allen gestalten, die das wollen und die es können. Das muss sowohl bei den Seelsorgern als auch bei den Menschen in den Pfarren ein Umdenken geben. Es gilt auch, die Mängel die Corona sichtbar gemacht hat, zu kompensieren. Zusperren, pragmatisches Resteverwalten und alles runterjammern ist zu wenig.

Es wird nicht mehr flächendeckende Versorgung durch die Messfeier möglich sein, aber Gemeinschaften sollen dazu befähigt und ermutigt werden, Formate zu entwickeln, die andere liturgische Möglichkeiten in sich tragen. Kinderkirche kann hier ein Ort der kreativen Gottesbegegnung sein. Oder eine lebensdienliche Betrachtung des Kreuzweges in schwerer Situation.

RB: Was wünschen Sie sich zum Geburtstag für sich und für die Kirche?
Rasser: Für mich hat der Gedanke des Heilens eine große Bedeutung. Jeder und jede hat so seine Verwundungen und Narben. Wir bezeichnen Christus nicht umsonst als Heiland. Er hat körperliche, psychische und soziale Leiden geheilt und ist dadurch selbst zum Leidenden geworden. Ich wünsche mir, dass wir uns in der Kirche in diesem jesuanischen Sinne um die Sorgen und Leiden der Menschen kümmern. Für mich persönlich wünsche ich mir viele Begegnungen, wo um das Gelingen der menschlichen Existenz in Verbindung mit dem menschgewordenen Gott gerungen wird.

Autor:

Ingrid Burgstaller aus Salzburg & Tiroler Teil | RUPERTUSBLATT

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