Hans Karl Peterlini im Gespräch
So kann man mit Geduld und Vertrauen Beziehungen stärken

Foto: Christina Suppanz

Der gebürtige Südtiroler Hans Karl Peterlini lehrt derzeit an der Klagenfurter Alpen-Adria-Universität. Er spricht im Interview über den Glauben als hoffendes Vertrauen, die Bildung als Rolle in der pädagogischen Wissensvermittlung und Interaktion, die künstliche Intelligenz als Mittelding von Segen und Teufelswerk, die ideale Lebensform und vieles mehr.

Herr Peterlini, gleich vorweg: Glauben Sie an Gott? Wenn ja, wer oder was ist Gott für Sie?
PETERLINI: Ich bin in dieser Frage demütig und auch etwas zurückhaltend. Religiöser Glaube ist eine tiefe Angelegenheit, es ist die Verbindung zu einem Vorher und zu einem Nachher und damit zu einer Ebene, die das menschliche Vorstellungsvermögen überschreitet. Rational kann Gott weder erfasst noch behauptet werden, Glauben ist nicht Wissen, eher ist Glaube für mich so etwas wie Vertrauen, ein oft zweifelndes, auch verzweifelndes, aber dennoch hoffendes Vertrauen.

Spielt spirituelle Bildung eine Rolle in der pädagogischen Wissensvermittlung und Interaktion?
PETERLINI: Nicht unbedingt in der Wissensvermittlung, da Wissen im pädagogischen Handeln ohnehin immer unzureichend ist. Pädagogik geschieht in Beziehung, in der Einlassung auf andere. Das können Kinder, Jugendliche, Erwachsene, ältere Menschen sein. Pädagogik geschieht also in einem Zwischen, wie es Martin Buber formuliert hat, zwischen mir, der Welt, den Umständen und den Menschen, mit denen ich zu tun habe. Das ist per se spirituell, auf eine sinnliche und auch leibliche Weise, weil wir ja mit unseren Sinnen als leibliche Wesen miteinander und mit der Welt verbunden sind. Die Probleme dieser Welt rühren daher, dass wir diese Verbindung rational kappen und glauben, es ist egal, wie wir mit anderen und der Welt umgehen. Das ist es nicht, es fällt auf uns zurück.

Wie gehen Sie mit der Vielfalt von religiösen Unterschieden in Ihrem pädagogischen Ambiente um?
PETERLINI: Trennend sind die Dogmen und die Rechthabereien. Schon bei den meisten Ritualen und Bräuchen erleben wir, dass diese auch auf Menschen anderer Religion eine Faszination ausüben. Noch mehr aber schwinden die Unterschiede, wenn es um den tiefsten Sinn von Religion geht. Ich habe muslimische und christlich-orthodoxe Freunde, verstehe mich mit Buddhisten gut und bewundere Atheist:innen, deren Einlassung auf das Leben freundlich, dem Guten zugewandt ist. Ich schätze katholische Priester, die sich um einen lebenszugewandten Glauben bemühen. Mich gruseln jene, die mit ihrem Glauben auf andere einschlagen, egal ob mit dem Kreuz oder mit dem Koran in der Hand.

Wie kann man ein globales Verständnis entwickeln und die Perspektive auf die Welt erweitern?
PETERLINI: Wir sind Teil der Welt, miteinander verbunden, über alle Kontinente hinweg, mit der Natur, mit den Tieren. Das Elend dieser Welt kommt davon, dass wir diese Verbindung rational gekappt haben und so tun, als hätte das Leid anderer nichts mit uns zu tun. Menschen, die mit der Natur verbunden sind, entschuldigen sich bei einem Tier, wenn sie es aus Nahrungsbedarf töten. Wir haben Tiere zur Industrieware gemacht. Auf dieselbe Weise kappen wir die Verbindung zu Notleidenden, zu Ärmeren, zu Schwächeren, zu Menschen auf der Flucht. „Was ihr für einen der Geringsten meiner Brüder und Schwestern tut …“

Wieso wird Ihr Wirkungsbereich der Pädagogik auch vom medial ausgelutschten Begriff der „Nachhaltigkeit“ nicht ausgeklammert?
PETERLINI: Nachhaltigkeit ist ein Modebegriff geworden, zugegeben, und dient oft dazu, schädliche Entwicklungen, Produktionsweisen, Ausbeutungsverhältnisse zu verschleiern.
Als Sorgsamkeit und Bewusstheit im Umgang mit sich, mit anderen, mit Ressourcen, mit dem Leben ist Nachhaltigkeit eine pädagogische Grundtugend.

Für welche Werte moralischer und ethischer Natur kämpfen Sie und wie vermitteln Sie diese in Ihrer pädagogischen Arbeit?
PETERLINI: Moral weiß, was richtig und falsch ist, Ethik fragt danach. Wir haben in der Pädagogik keine Rezepte und keine letztgültigen Antworten, wir müssen uns in jeder Situation fragen, was wir tun können, um die Beziehung aufrechtzuerhalten oder neu zu knüpfen. Das muss nicht konfliktfrei sein, aber ehrlich und über alle Differenzen hinweg zugewandt.

Warum sind Empathie und soziale Verantwortung für unser Vorankommen von Belang?
PETERLINI: Empathie ist die Gabe, uns in andere hineinfühlen und mit ihnen fühlen zu können, und damit auch die Voraussetzung für soziale Verantwortung. Das destruktive Verhalten von manchen Menschen kommt von der emotionalen Abspaltung oder, wie Adorno es genannt hat, von der Kälte.

Wie können Sie dazu beitragen, dass die jungen Pädagogen und Pädagoginnen eine reflektierte ethische Haltung entwickeln, die über die schulischen Karrieren hinausreicht?
PETERLINI: Wenn ich mit Studierenden über Haltung rede, komme ich mit relativ wenigen Begriffen aus: Beziehung, Frustrationstoleranz, sich auf Situationen einlassen, auch wenn sie verstörend sind oder uns ratlos machen, Geduld und, ja, Vertrauen.

Gibt es eine Schnittmenge zwischen Pädagogik und künstlicher Intelligenz in Bezug auf die zukünftige Bildung?
PETERLINI: Wir werden uns darauf einlassen müssen.
Alles, was der Mensch geschaffen hat, schwankt zwischen Segen und Teufelswerk. Entscheidend ist der Umgang, den wir mit der Technik pflegen, ob wir uns von ihr beherrschen lassen oder sie für das Ziel eines guten Lebens für alle in den Dienst nehmen. Hier hat die Menschheit noch viel zu lernen.

Was ist für Sie die ideale Lebensform: Können Sie dies in zwei Zeilen zum Ausdruck bringen?
PETERLINI: Freundlich sein, sich über Kleinigkeiten freuen können, weder mit sich noch mit anderen zu streng sein. Wir alle haben Fehler und wir machen immer wieder Fehler. Aber wir können immer neu anfangen.

Was macht Ihnen eigentlich Angst?
PETERLINI: Gewalt auf einer strukturellen, dem menschlichen Mitfühlen entzogenen Ebene, von Staaten, von fanatisierten Gruppen. Sie ist Ausdruck der Abspaltung, durch die politische, wirtschaftliche oder religiöse Ziele ohne Rücksicht auf Verluste und das Leid anderer verfolgt werden.

Ihr (christliches) Lebensmotto...
PETERLINI: Mein Lebensmotto ist es, Vertrauen zu haben, trotz allen Zweifelns und auch gelegentlichen Verzweifelns.

Autor:

Carina Müller aus Kärnten | Sonntag

Kommentare

online discussion

Sie möchten kommentieren?

Sie möchten zur Diskussion beitragen? Melden Sie sich an, um Kommentare zu verfassen.

add_content

Sie möchten selbst beitragen?

Melden Sie sich jetzt kostenlos an, um selbst mit eigenen Inhalten beizutragen.

Powered by PEIQ