Astrid Panger im Gespräch
„Mutter bleibt man ein Leben lang“

Foto: Foto: Weixelbraun

Astrid Panger im Gespräch mit Anna Maria Bergmann-Müller
Die Plattform „Verwaiste Eltern“ wurde im Jahr 2008 auf Initiative von Astrid Panger ins Leben gerufen. Wir haben den kommenden Muttertag zum Anlass genommen, um mit der Trauerexpertin über das Schicksal von „Verwaisten Müttern“ zu sprechen. Dabei geht es um den Umgang mit Verlusten, um Tod und Trauer, aber auch um das Leben mit einem verstorbenen Kind.

Gerade der Muttertag, mitten im Wonnemonat Mai, wo alles blüht und sich das Leben in seiner Vielfalt und Fülle zeigt, über Sterben, Tod und Verlust, noch dazu des eigenen Kindes zu sprechen, scheint ein unaushaltbarer Kontrast zu sein. Aber der Tod fragt nicht …

PANGER: Nein, der Tod fragt nicht, aber der Schmerz über das kostbare Verlorene darf sich wandeln. Wenn wir in die Welt der Erinnerung gehen, dann entsteht ein Gefühl der Verbundenheit, und der Schmerz über den Verlust wird in dem Moment geringer. Die Aufgabe der Trauer ist es, den Verlustschmerz in (dankbare) Erinnerung zu verwandeln. Gerade der Wonnemonat Mai zeigt auch, dass Neues entstehen darf. Dass aus Dunkelheit auch wieder Licht werden darf. Dass aus tiefster Trauer dankbare Erinnerung entstehen darf. Es braucht Zeit, und gerade der Tod eines Kindes hinterlässt eine Narbe für´s Leben. Damit meine ich, dass es immer wieder Situationen geben wird, die besonders schmerzen. Da darf man traurig sein, die Trauer muss nicht abgeschlossen sein. Sie darf offenbleiben.

Teilen Sie eigentlich die weitverbreitete Meinung, dass die Zeit alle Wunden heilt?

PANGER: Nein. Das stimmt überhaupt nicht. Die Zeit hilft, das Geschehene anzunehmen. Man darf sich annähern, in seinem eigenen Tempo. Gefühle und Trauer zulassen, auch Jahre danach. Man kann Trauer als eine Art „Pendelbewegung“ erklären. Ich meine damit, bildlich gesprochen, ein Pendel, das sich hin und her bewegt. Auf der einen Seite ist der Verlust und auf der anderen Seite die Erinnerung. Als Trauerbegleiter:in ist es eine unserer Aufgaben, das Pendel in Bewegung zu bringen, wenn es zu lange im Verlustschmerz verharrt.

Viele Trauernde schaffen es nicht, ihr verstorbenes Kind loszulassen. Wie denn auch? Muss man überhaupt loslassen?

PANGER: Alles, was ein trauernder Mensch nicht möchte, ist loslassen. Und man braucht das auch nicht. Roland Kachler, Psychotherapeut, Theologe und verwaister Vater, hat in seinem Buch „Meine Trauer wird dich finden“ einen neuen Traueransatz beschrieben. Es geht um den sicheren inneren Platz für den Verstorbenen. Damit meint man, dass verstorbene Kind ist und bleibt als Teil der Lebensgeschichte im Herzen der Hinterbliebenen.

Wenn das einzige Kind stirbt, ist man dann keine Mutter mehr? Wohin mit der Mutterliebe, mit den Emotionen?

PANGER: Mutter oder Vater bleibt man ein Leben lang. Auch, wenn das einzige Kind verstirbt. Wir als Gesellschaft sprechen es den Eltern ab. Auch für verwaiste Mütter ist am kommenden Sonntag Muttertag. Trauer ist ein Prozess und die Mutterliebe wird immer bleiben. Sie wandelt sich zu einer Liebe, die dem Alltag nicht ausgesetzt ist.

Trauern gläubige Menschen anders, gibt es echten Trost im Glauben? Oder ist es umgekehrt, dass nach einem Schicksalsschlag der Glaube an einen gerechten Gott, der es gut mit mir meint, verloren geht?

PANGER: Der Glaube kann eine große Ressource sein. Der Gedanke an ein Leben nach dem Tod, in Gottes Hand geborgen, gibt Zuversicht und Hoffnung. Es ist die Hoffnung, die trägt, und die Zuversicht, begleitet zu sein. Der Tod eines Kindes ist eine Erschütterung des Lebens. Menschen, die gläubig waren, können sich abwenden und Menschen, die sich mit dem Glauben nicht auseinandergesetzt haben, wenden sich zu Gott. Und beides darf sein. Gott bleibt an unserer Seite, wir haben seine Zusage, auch wenn wir uns verlassen fühlen.

Wie kann Trauer in der Familie gelebt werden? Wie wichtig sind Gedenktage, Geburtstage, Sterbetage oder auch der Muttertag?

PANGER: Trauer soll durchlebt werden. Gerade in der Familie ist es aber oft schwierig, da die Gefühle nicht immer oder eher selten im Gleichklang sind. Vom verstorbenen Kind erzählen, Erinnerungen austauschen, Geburtstage bewusst gestalten, eine Schatzkiste mit Erinnerungen gestalten … All das kann helfen. Auch den Muttertag sollte man bewusst gestalten und sich überlegen, was derzeit möglich ist. Auch kann man ein Ritual beginnen und jedes Jahr den gleichen Ablauf wiederholen. Rituale geben Sicherheit bei Lebensveränderungen.

Woraus schöpfen Sie die Kraft, für die Menschen, die ja nach dem Verlust eines Kindes untröstlich sind, da zu sein, Hilfe zu bieten?

PANGER: Trauerbegleitung bedeutet auch, sich selbst zurückzunehmen. Nicht das gesprochene Wort ist die Unterstützung, sondern das Da-Sein. Schweigen aushalten, Tränen mittragen und den trauernden Menschen in seiner Verletzlichkeit und seinen Schmerz annehmen. Ich lebe aus dem Vertrauen heraus, dass ich eingebettet bin in Gottes Hand. Er ist mein Begleiter, meine Klagemauer, meine Zuversicht. Dieses (Ur)Vertrauen stärkt mich und bestärkt mich.

Stumpft man mit der Zeit ab? Oder nimmt man die Geschichten mit nach Hause? Kann man die eigene Betroffenheit einfach abschalten?

PANGER: Ich bin Menschen und Situationen gegenüber achtsamer geworden und ich bin auch Lernende. Ich habe großen Respekt gegenüber verwaisten Eltern und für jeden trauernden Menschen. Die Geschichten bleiben bei mir, aber es geht darum, dass sie nicht zu meiner Geschichte werden. Damit meine ich, wenn mich das Erzählte nicht mehr loslässt und mich über längere Zeit beschäftigt, so dass Ängste aufkommen oder ich davon träume. In der Fachsprache spricht man von „triggern“. Wenn dies der Fall ist, dann nehme ich Supervision in Anspruch, um das Gehörte einordnen zu können.

Sie sind das ganze Jahr über mit solchen herzzerreißenden Schicksalen konfrontiert, Sie sind selbst Mutter – Wie gehen Sie damit um?

PANGER: Ich habe die Einstellung, dass ich meine Kinder ins Leben begleiten darf und dafür bin ich dankbar und spüre auch eine Demut, weil das nicht so selbstverständlich ist. Und doch bin ich eine Mutter, wie jede andere Mutter, geblieben. Was ich mir angewöhnt habe, ist, dass ich mich von meinen Kindern und von meinem Mann immer bewusst verabschiede. Nicht, weil ich die Angst habe, dass sie nicht mehr nach Hause kommen, sondern weil es mir wichtig ist, ihnen zu sagen, wie wertvoll sie in meinem Leben sind. Und manche Situationen und Begebenheiten im Alltag sehe ich tatsächlich etwas unaufgeregter.

Zur Person: 

Astrid Panger leitet das Referat für Trauerpastoral in der Diözese Gurk sowie die Plattform „Verwaiste Eltern“. Darüber hinaus hat Panger seit Jahresbeginn den Vorsitz in der „Bundesarbeitsgemeinschaft Trauerbegleitung“ inne. Kontakt: Tel: 0676/8772-2132, E-Mail: astrid.panger@kath-kirche-kaernten.at

Die Plattform „Verwaiste Eltern“ steht auf zwei Säulen. Die eine ist das Angebot und die Begleitung von Familien und Angehörigen. Die andere Säule bietet Aus- und Fortbildung für Institutionen und Berufsgruppen, die immer wieder mit dem Tod eines Kindes konfrontiert sind, an. Das breit gefächerte Angebot ist überkonfessionell. Das diözesane Leitbild „Den Menschen nahe sein“ wird dadurch auch gelebt.
Tipp: Unter diesem Link finden sich schöne Gedanken einer verwaisten Mutter an ihre Tochter.
https://www.kath-kirche-kaernten.at/dioezese/detail/C3427/wehmut_am_muttertag

Autor:

Sonntag Redaktion aus Kärnten | Sonntag

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