Veronika Polloczek
Ohne Wissen von der Vergangenheit haben wir keine Zukunft

Die neue Leiterin des Archivs der Diözese Gurk über die abwechslungsreiche Arbeit in einem Archiv, welche Schätze das Archiv birgt und wohin die Digitalisierung führt:

Sie kommen ursprünglich aus Bayern. Wie sind Sie nach Kärnten gekommen?
Polloczek: Ich bin zum Studium nach Österreich gekommen, weil ich das Land liebe. Ich hatte deshalb auch von Beginn an vor, hier zu bleiben.

Was weckt die Liebe an einem Archiv? Viele stellen sich das eher langweilig vor.
Polloczek: Die Arbeit mit Handschriften, mit den Originalen aus einer fernen Zeit, übt eine ganz eigene Faszination aus. Unterschätzen Sie nicht, welch abwechslungsreiches und spannendes Betätigungsfeld ein Archiv ist. Wir bewahren hier natürlich alles auf, was irgendwie mit Kirche zu tun hat. Jedoch spielt das Archivmaterial selbst in viele Bereiche hinein. Sie finden hier neben der eigentlichen Kirchengeschichte jede Menge zu Gesellschaft, zur Geschichte des Alltags oder auch zur Wirtschaftsgeschichte. Auch regional reicht der Bestand teilweise weit über Kärnten hinaus.

Und was tun Sie hier konkret?
Polloczek: Wir sichern, ordnen, erschließen und erfassen die Archivalien, die uns anvertraut sind. Das heißt natürlich auch eine wissenschaftliche Bearbeitung, das Verfassen von Artikeln und Büchern zu verschiedenen Themen. Dann kommt noch die Arbeit mit den Benutzern dazu. Wir haben Anfragen aus der ganzen Welt. Jeden Tag kommt etwas Neues auf einen zu.

Immer mehr Archivalien werden digitalisiert. Braucht es dann eigentlich noch ein Archiv mit dem riesigen Lagerbestand?
Polloczek: Ein ganz klares Ja! Nur weil wir Bestände digitalisiert haben, bedeutet das noch lange nicht, dass wir diese vernichten können. Wenn Sie sich vor Augen halten, welch rasanten Wandel wir bei digitalen Speicherelementen schon erlebt haben! Da ist nicht garantiert, dass man die heutigen Datenspeicher in ein paar Jahren überhaupt noch lesen kann. Eines ist klar: Das beste Speicherelement, das wir kennen, ist Papier. Eine Floppy-Disc, wie sie vor wenigen Jahren noch modern war, kann man heute kaum mehr lesen. Papier oder erst recht Pergament hält Jahrhunderte.

Warum wird dann so viel Energie in die Digitalisierung gesteckt?

Polloczek: Die Digitalisierung schafft vollkommen neue Zugänge. Viele unserer Archivalien wie die Matriken sind bereits im Internet. Dort finden etwa Ahnenforscher viele Informationen zu ihren Vorfahren. Wir sind damit wesentlich kundenfreundlicher. So können Menschen, die kaum oder derzeit gar nicht die Möglichkeit haben, das Archiv zu benutzen, die Matriken einsehen. Die Digitalisierung dient aber auch dem Schutz der Archivalien. Man muss sie nicht mehr jedes Mal ausheben und angreifen, sondern digital kann man sie lesen, so oft man will.

Wie geht es mit der Digitalisierung im Archiv weiter?
Polloczek: Im Moment digitalisieren wir den Bestand der Mensalbibliothek, danach möchten wir das Bildarchiv aufarbeiten. Hier wurde schon ein Großteil des Bildmaterials gescannt, das wollen wir fortführen.

Was sind Ihre persönlichen Forschungsschwerpunkte?
Polloczek: Ich selbst komme aus der Mittelalterforschung. In dieser Zeit bietet gerade Kärnten natürlich immens viele Forschungsmöglichkeiten. Genauso interessiert mich das Bibliothekswesen. Wir haben hier im Archiv ja einige Bibliotheken und sehr wertvolle Bücher. Darunter sind uralte Handschriften und frühe Drucke des 15. Jahrhunderts, sogenannte Inkunabeln. Dann interessiert mich das Schulwesen. Die katholische Kirche war ja lange Zeit die einzige Bildungsinstitution, und wir haben viele Unterlagen kirchlicher Ausbildungsstätten.

Was kann ein Archiv etwa für eine Pfarre bieten?
Polloczek: Wir haben fast alle Pfarrarchive der Kärntner Pfarren. Da finden Sie die Seelsorger, Pläne der Kirchen, Unterlagen zur Innenausstattung, zum Pfarrhof, wie sich der Grundbesitz entwickelt hat und vieles mehr. Sogar die Gottesdienstordnungen können Sie von den meisten Pfarren ausheben. Wenn jemand Interesse an der Geschichte und Entwicklung seiner Pfarre hat, findet er bei uns alles, um seine Neugierde zu befriedigen. Wenn man darüber hinaus Interesse an der Geschichte der Gemeinde, der wirtschaftlichen Entwicklungen, der Verbindung zwischen Kirche und Gesellschaft usw. hat, erhält man bei uns auch sehr viele Informationen.

Wenn ich etwa einen längst verstorbenen Pfarrer suche, dessen Grabstein sich in unserer Kirche befindet, werde ich dann im Diözesanarchiv fündig?

Polloczek: Ja, wenn Sie das Todesdatum oder andere Daten von ihm haben, dann finden wir ihn über den Schematismus der Zeit. Ich freue mich immer wieder, wenn wir bei entsprechenden Anfragen helfen können. Wir sorgen sozusagen dafür, dass die Geschichte einer Pfarre oder einer Persönlichkeit wieder lebendig wird. Mich persönlich fasziniert es, wie man die Geschichte richtiggehend spürt.

Das Archiv bewahrt ideelle, aber auch materielle Werte. Gibt es noch verborgene Schätze im Diözesanarchiv?

Polloczek: Sie müssen sich vorstellen, dass das Archiv etwa 6000 Regalmeter umfasst. Das meiste ist schon erfasst. Es gibt aber noch Pfarrarchive, die wir erst noch aufarbeiten müssen. Wir wissen nicht, was da kommt, das macht die Arbeit so spannend. Wenn man alte Akten durchsieht, stößt man immer wieder auf einzigartige Archivalien.

Wohin führt die Zukunft des Archivwesens?

Polloczek: Wir wissen heute noch nicht, was alles möglich sein wird. Der technische Fortschritt geht so rasch vor sich. Ich bin überzeugt davon, dass ein Archiv, wie wir es hier haben, weiterhin notwendig ist. Ohne Wissen von der Vergangenheit haben wir keine Zukunft. Hier liegen unsere Wurzeln.

Autor:

Gerald Heschl aus Kärnten | Sonntag

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