Schlusspunkt von Józef Niewiadomski
Unser Lebensboot

Endlich durften sie verreisen. So fuhren sie zum See und schlugen ihre Zelte am Campingplatz auf. Am Abend haben die beiden Freunde beschlossen, mit dem Boot ans andere Ufer zu fahren. Um in der Bar ordentlich zu bechern. Sie blieben bis zur Sperrstunde hocken, tranken eine Flasche nach der anderen. Dann schwankten sie gemeinsam zu ihrem Boot. Stiegen ein und fingen an zu rudern. Nach zwei Stunden schwerster Arbeit hielten sie an. Ganz verschwitzt und nach Luft ringend fragte der eine Ruderer seinen Freund: „Glaubst du nicht, dass wir schon längst angekommen sein müssten. Bei unserem Campingplatz?“ Dieser schaute verdutzt drein, doch dann lallte er: „Vielleicht haben wir nicht kräftig genug gerudert.“ So verdoppelten sie ihre Anstrengungen. Und ruderten weiter. Bis zur Erschöpfung. Als der Morgen dämmerte, stellten sie verblüfft fest, dass sie immer noch am selben Platz standen. Sie hatten halt vergessen, das starke Seil zu lösen, mit dem sie ihr Boot an den Pier gebunden hatten.
Eine Geschichte zum Beginn der „Lockerungen“ in der Pandemiekrise. Und die Moral von der Geschicht‘? Jeder soll sie sich selber zusammenreimen. Eines gilt aber uns allen: Im Rausch der neuen Freiheit sollen wir nicht übersehen, dass unser Lebensboot immer noch durch das Virus „angebunden“ bleibt.

Autor:

Gilbert Rosenkranz aus Tirol | TIROLER Sonntag

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