Schlusspunkt von Józef Niewiadomski
Die Perle des Augenblicks

Tag für Tag ließ sich der reiche und mächtige König von seinen Untertanen huldigen und nahm dabei kostbare Geschenke in Empfang. Längst ist ihm das Ganze zu reiner Routine verkommen, die ihn im Grunde langweilte. Jeden Tag wartete auch ein armer Bettler darauf, dem König sein Geschenk zu überreichen. Es war ein Apfel. Jedes Mal erschien ein ironisches Lächeln auf dem Gesicht des Monarchen. Gedankenlos warf er den Apfel in einen Korb. Hin und wieder machte er Witze über den seltsamen Bettler.
Das Verhalten des Königs schien den Bettler nicht zu verletzen. Mit einer Regelmäßigkeit sondergleichen kehrte er am nächsten Morgen zurück. Eines Tages griff der Affe des Königs nach dem Apfel, biss zu, spuckte den Inhalt aus und warf den Apfel vor die Füße des Königs. Erstaunt nahm dieser die im Apfel verborgene Perle wahr. Sofort öffnete man die anderen Äpfel: In jedem steckte eine ähnliche Perle.
Gefragt nach den Gründen für sein Verhalten antwortete der Bettler. „Jeden Morgen wird Eure Majestät mit einem einzigartigen Geschenk überrascht. Doch sie sehen und schätzen es nicht. Und dies nur deswegen, weil sie von einem Übermaß an Reichtümern umgeben sind. Das Geschenk, das sie gedankenlos in den Korb ihres Lebens werfen, ist jeder beginnende neue Tag, der ihnen von Gott gewährt wird.“

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TIROLER Sonntag Redaktion aus Tirol | TIROLER Sonntag

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