Schlusspunkt von Józef Niewiadomski
Der Wert des Wortes

„Du, ich muss dir etwas Wichtiges über deinen Freund erzählen. Er soll nämlich ...“ Der Angesprochene, kein Geringerer als der berühmte griechische Philosoph Sokrates, unterbrach den Redeschwall: „Warte ein wenig! Hast du schon das, was du mir erzählen willst, durch die drei Siebe hindurchgehen lassen?“ Der Sensationslüsterne stockte: „Welche drei Siebe?“ Mit seiner ruhigen Stimme antwortete der Weise: „Das erste Sieb ist das der Wahrheit. Hast du dich von der Wahrheit der Sache vergewissert?“ Der Mitteilungseifer des Mannes schien ein bisschen nachzulassen. „Eigentlich nicht, ich habe es bloß von anderen gehört“, erwiderte er. „Nun denn, das zweite Sieb ist das der Güte. Ist die Ursache dafür, dass du diese Nachricht weitergeben willst, einem gütigen Motiv deines Herzens entsprungen?“ Der Mann musste schweigen. „Das dritte Sieb schließlich ist das der Nützlichkeit. Glaubst du, dass diese Nachricht meinem Freund oder mir von Nutzen sein wird?“ Der Mann drehte sich wortlos um und ging.
Was waren das für Zeiten, in denen man auf diese Weise über den Wert des Wortes urteilte. In medial strukturierter Zeit zählt nur die Aussagekraft der Schlagzeile. Je kräftiger diese zuschlägt, umso erfolgreicher sind die „Aufklärer“. Kein Wunder, dass uns die Achtung vor dem Menschen abhandenkommt.

Autor:

TIROLER Sonntag Redaktion aus Tirol | TIROLER Sonntag

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