Niklaus Brantschen über die Kraft des Betens
Beten ist wie Ein- und Ausatmen

P. Nikolaus Brantschen ist Jesuit und geistlicher Begleiter. Im Interview mit dem Tiroler Sonntag spricht er über die Begegnung mit Jesus: „Je unvoreingenommener ich mich auf ihn einlasse, um so eher spricht er mich an." | Foto: Helmut Harich
  • P. Nikolaus Brantschen ist Jesuit und geistlicher Begleiter. Im Interview mit dem Tiroler Sonntag spricht er über die Begegnung mit Jesus: „Je unvoreingenommener ich mich auf ihn einlasse, um so eher spricht er mich an."
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Mit dem Buch „Gottlos beten“ ist P. Niklaus Brantschen (85) ein Bestseller gelungen. Innerhalb weniger Monate erreichte es die 5. Auflage. Im Tiroler Sonntag-Interview erzählt der Jesuit, Zen-Meister und Mitbegründer des Lassalle-Hauses (Schweiz), einem Zentrum für interreligiöse Begegnung, was Beten bedeutet, was er vom Buddhismus gelernt hat und wie Menschen zu einem erfüllten Leben finden können.

In Ihrem Buch „Gottlos beten“ schreiben Sie: Sie hätten immer eine Ikone mit im Reisegepäck. Auch diesmal auf Ihrer Reise nach Tirol?
P. Niklaus Brantschen: Sie haben mein Buch genau gelesen, ich staune! Ja, ich hab die Ikone in meinem kleinen Koffer mitgenommen. Es ist eine alte Ikone, die sog. „Ikone der Freundschaft“. Ich habe sie tatsächlich immer bei mir.

Warum ist Ihnen diese Ikone so wichtig?
Brantschen: Ich bin Jesuit. Jesuiten tragen Jesus im Namen. Da ist es billig und recht, die Beziehung zu Jesus zu pflegen – so wie man eine Freundschaft pflegt. Der Wunsch nach Freundschaft entsteht rasch. Aber die Pflege von Freundschaft braucht Zeit. Und diese Zeit nehme ich mir, so dass ich mit Fug und Recht sagen kann: Ich gehöre nicht nur formell zum Jesuitenorden, sondern ich bin Jesuit und möchte es immer mehr werden.

Wie geht das?
Brantschen: Jesuiten leben mitten in der Welt. Ihr Kloster ist sozusagen das Herz, in das sie sich immer wieder zurückziehen. Und, wie gesagt: So etwas braucht Zeit. Und es braucht Gemeinschaft. Ein Jesuit allein ist kein Jesuit. Ich erfahre das gerade wieder hier in Innsbruck, wo so viele Jesuiten aus verschiedenen Nationen studieren. Diese Gemeinschaft ist wohltuend.
Jesuit zu sein ist eine spirituelle Praxis – in Gemeinschaft und mitten in der Welt.

Wie leben Sie diese spirituelle Praxis?
Brantschen: Indem ich meditiere – mit und ohne Worte. Das braucht, ich wiederhole, Zeit und gelegentlich eine Auszeit.
Spiritualität steht bei nicht wenigen Christen unter dem Verdacht der Esoterik. Was heißt für Sie Spiritualität?
Brantschen: Spiritualität ist ein grosses Wort. Wir denken dabei vielleicht an etwas Hohes und Luftiges. Doch für mich hat Spiritualität zu tun mit dem Boden, auf dem ich stehe, und wie ich stehe – geerdet, sozusagen verwurzelt.
Spiritualität hat zu tun mit der Art, wie ich atme – oberflächlich, kurz, oder ruhig und tief. Spiritualität hat zu tun mit der Art, wie ich sehe – mit Stielaugen, oder mit einer großen Wachheit, die sieht, was dahinter steht. Ich erinnere mich an meinen Zen-Lehrer, der immer wieder gesagt hat: Wenn jemand an äußeren Dingen hängt, Dinge an sich rafft, kommt er auf dem spirituellen Weg nicht weiter.
Spiritualität hat zutiefst mit Odem, Atem zu tun. Im christlichen Verständnis mit dem heiligen Geist, der nicht zu fassen ist, der alles umfängt und durchdringt.

Sie sprechen in Ihrem Buch von „gottlosem Beten“. Was meinen Sie damit?
Brantschen: Für mich bedeutet es soviel wie offen sein – und zwar radikal. Nicht zumachen. Nicht mauern. Diese Offenheit ist damit gegeben, dass wir Menschen sind und unserer Sehnsucht Raum zu geben bereit sind. Das kann so geschehen, dass ein Mensch in Japan vor einer Buddha-Statue still steht, die Hände faltet, und sich respektvoll verneigt – und verweilt.
Sie haben die Ikone erwähnt, die ich immer bei mir habe. Im schweigenden Anschauen der Ikone, werde ich von ihr angesprochen. So entsteht ein Dialog – nicht unbedingt in Worten, aber auf einer tieferen Ebene.
Ich stelle immer wieder fest, dass auch Menschen, die mit Religion nichts am Hut haben, mystische Erfahrungen machen. Bemerkenswerterweise finden sich auch in der Literatur solche Spuren – etwa bei Albert Camus in seinem Buch „Die Pest“. Er fragt, ob ein Atheist ein Heiliger sein könne. Ein Mensch, der seinem tiefstem Wesen entsprechend menschenwürdig handelt – ohne einen expliziten Bezug zu haben zu der Wirklichkeit, die wir Gott nennen.

Gottlos beten heißt für Sie radikal offen sein. Wie geht das zusammen mit dem Glauben an Jesus?
Brantschen: Jeder Begegnung tut Offenheit gut. Das gilt auch für die Begegnung mit Jesus. Je unvoreingenommener ich mich auf ihn einlasse, um so eher spricht er mich an, und ich werde fähig, mich auf seinen Weg, der auch der meine ist, einzulassen.

Sie sind in die Schule buddhistischer Lehrer gegangen. Was haben Sie daraus für die Nachfolge Jesu gelernt?
Brantschen: Im Zen-Buddhismus habe ich gelernt, dass alles und jedes – jedes Detail, jede Begegnung – von Bedeutung ist. Es ist nichts banal. Das kommt der Spiritualität des heiligen Ignatius sehr nahe: Gott suchen und finden in allen Dingen. Wirklich in allen – sogar im Gebet, wenn es richtig vollzogen ist. Was ich in Japan gelernt habe, ist das Ernstnehmen von Raum und Zeit, von konkreten Situationen – und in diesem Konkreten die Unendlichkeit, die Leere, das Nicht-Fassbare zu spüren. Anders gesagt: Jedes Ding, jede Situation, jedes Ereignis hat gleichsam die Ewigkeit in sich. Der Dichter und Mystiker Angelus Silesius sagt es so: „Zeit ist wie Ewigkeit. Und Ewigkeit wie Zeit, so Du nur selber nicht machst einen Unterscheid.“
Wenn wir wach und präsent sind, hören wir auf, in den Zeiten herumzuirren, die nicht uns gehören: Vergangenheit und Zukunft.

Sie sagen: „Wir können Gott finden in allen Dingen – sogar im Gebet“. Was meinen Sie damit?
Brantschen: Manches, was sich als Gebet präsentiert, verdient diesen Namen nicht. Ein Beispiel: Manchmal sprechen Menschen vor dem Essen ein Gebet. Und dann essen sie ohne jede Achtsamkeit, ohne Respekt vor der Kostbarkeit dieser Gaben. Und insofern sage ich: Man kann Gott auch im Gebet finden, vollzogen mit oder ohne Worte. Es darf bloss nicht automatisch und reine Routine sein. Es gibt dazu eine schöne Bibelstelle: Nicht jeder, der „Herr, Herr“ sagt tut den Willen des Vaters im Himmel.

Lauert nicht manchmal die Gefahr, dass man beim Beten um sich selbst kreist?
Brantschen: Beten bedeutet, nicht nur für sich selbst da zu sein, sondern für die ganze Welt. Eine Gestalt, die das für mich sehr schön verkörpert, ist Maria. Das Wesen ihres Lebens zeigt sich in dem Lied „Maria, breit den Mantel aus…“ Besonders in der Strophe: „Dein Mantel ist so weit und breit, er deckt die ganze Christenheit, er deckt die breite, weite Welt, ist aller Zuflucht und Gezelt“.
Liebe macht nicht bei der eigenen Gruppe, z.B. bei den Christen Halt. Sie ist grenzenlos, schliesst alle ein. Wir sind eingeladen, Einsicht und Mitgefühl zu leben, bei uns zu sein und bei den anderen und ihrer Not.
Echtes Gebet ist wie Ein- und Ausatmen. Wer nur einatmet, erstickt. Wer nur ausatmet, nur aktiv ist, verliert sich.
Es geht immer um Beides: Einatmen und Ausatmen, Aktion und Kontemplation – eine Innerlichkeit, die sich äußert.

Was macht für Sie das Leben der Christinnen und Christen aus?
Brantschen: Es ist die selbstlose Liebe, die Bereitschaft zu dienen. Das ist nichts, was unserem Wesen fremd ist.
Menschen haben keine Krämerseele, sondern eine offene, weite Seele. Uns geht es dann am besten, wenn wir ein weites Herz haben, einen offenen Blick und offene Arme. Diese Haltung ist allen Menschen möglich.

Autor:

Gilbert Rosenkranz aus Tirol | TIROLER Sonntag

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